"Kirchen in der DDR Rückenwind gegeben"
Der Kardinal erinnerte auch an die Rolle der Kirchen insgesamt bei der friedlichen Revolution. Vor allem die evangelische Kirche habe sich große Verdienste erworben. "Aber auch viele Katholiken haben ihren Beitrag geleistet", betonte Marx. Die Kirchen hätten den Oppositionellen Schutzräume geboten sowie geholfen, dass die Konflikte mit dem SED-Regime nicht gewaltsam ausgetragen worden seien. Zudem hätten sie "das mühsame Geschäft der Moderation" übernommen, so der Erzbischof in Anspielung auf die Runden Tische nach dem Fall der Mauer.
Klagen, dass die neuen Bundesländer "nicht christlicher geworden" seien, bezeichnete Marx als "kurzatmige Sicht". Es sei Aufgabe der Kirche, sich in kritischen Zeiten "absichtslos" auch für die Menschen zu engagieren, die ihnen nicht angehören. Der Chef des Bundespräsidialamtes, Staatssekretär David Gill, würdigte ebenfalls die von den Kirchen eröffneten Freiräume. Dort hätten Regimekritiker eigene Ideen und Initiativen entwickeln können und gelernt, vor großem Publikum frei zu reden, so der frühere Bürgerrechtler.
Marx: Mauerfall ermutigt zur Einigung Europas
Nach Einschätzung von Marx ist der Mauerfall Ansporn für die Einigung Europas. Auch dabei sei ein "langer Atem" erforderlich, wie ihn die Freiheitsbewegungen im Osten Europas bewiesen hätten, sagte er. Dies gelte derzeit besonders in der Auseinandersetzung um die Ukraine. Dort würden auch die Werte Europas "verhandelt", so Marx.
Marx kritisierte, das Erbe der Bürgerrechtler spiele heute eine "irritierend geringe Rolle in der Gesellschaft". Auch die politische Vernunft brauche jedoch "prophetische Kraft" und ein Gespür für Veränderungspotenzial, statt sich nur "in den Verhältnissen einzurichten". Dabei müsse sich die Politik der geschichtlichen Wunden bewusst sein. Dann könne Versöhnung gelingen, wie das deutsch-polnische Verhältnis belege. Zwischen den kulturellen Großräumen Europas gebe es jedoch noch "großes Unverständnis", so der Münchner Erzbischof.
Polnischer Botschafter würdigt Kontakte zwischen Systemkritikern
Der frühere Erfurter Bischof Joachim Wanke nannte vor allem das Engagement des Mainzer Kardinals Karl Lehmann. Der damalige Vorsitzende der Bischofskonferenz habe nach der friedlichen Revolution immer wieder Mut gemacht und geholfen, die Kirche in beiden Teilen Deutschlands zusammenzuführen. Zudem habe das Zentralkomitee der deutschen Katholiken als höchste Laienvertretung über die Zeit der Teilung hinaus den Christen in Ostdeutschland wichtige Hilfe geleistet.
Der polnische Botschafter Jerzy Marganski würdigte die Kontakte zwischen Systemkritikern in Polen und der DDR. Sie hätten "sehr viel voneinander gelernt". Zwar habe Polen im November 1989 nach der politischen Integration der Gewerkschaft Solidarnosc bereits eine halbdemokratische Regierung gehabt. Der Mauerfall sei dann jedoch "das Siegel gewesen, das die Richtigkeit des Weges bestätigte".
Der katholische Militärbischof in Bosnien-Herzegowina, Tomo Vukcic, erinnerte an die Folgen, die das Ende der kommunistischen Herrschaft im damaligen Jugoslawien auch hatte. Der Zerfall des "ungewollten Staates" habe zu einem Krieg mit über 100.000 Toten und zahlreichen Vertriebenen geführt. Bischof Wanke bezeichnete es als eine Aufgabe der Kirchen, "an den Fundamenten eines europäischen Hauses mitzubauen". Dabei könne die gemeinsame Erinnerung an die Leidenserfahrungen der Völker "auch im früheren Jugoslawien zur Versöhnung beitragen". (luk/KNA)