Kurie vs. Bischofskonferenz
Papst Franziskus nimmt die Glaubenskongregation locker: Die Dogmatiker sollen reden, es kommt aber darauf an, etwas zu tun. So jedenfalls kann man interpretieren, was er dem Gedächtnisprotokoll eines Ordensmannes zufolge bei einer Audienz gegenüber südamerikanischen Ordensleuten im Juni 2013 gesagt haben soll: "Vielleicht wird sogar ein Brief der Glaubenskongregation bei euch eintreffen, in dem es heißt, dass ihr dies oder jenes gesagt hättet", heißt es da – die Ordensleute sollen sich aber keine Sorgen machen, meint der Papst: "Erklärt, wo ihr meint erklären zu müssen, aber macht weiter. Macht die Türen auf."
So locker ging Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der damalige Präfekt dieser Kongregation, nicht mit seinem Amt um. Kühl antwortete er einem Reporter der "Welt" auf die Frage nach dieser Begebenheit: "Das hat der Papst nicht gesagt. Ich habe ihn extra gefragt." Und er legte nach: "Die Kongregation hat im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenz Anteil am Lehramt des Papstes."
Römische Kurie spielt für Müller in einer anderen Liga
Es steht also Aussage gegen Aussage; zuzutrauen wäre Franziskus der nonchalante Umgang mit der immerhin ältesten und bedeutendsten Behörde der Kurie. Auch, wer sich nicht aufs Hörensagen verlässt, findet deutliche Unterschiede zwischen Franziskus und Müller, was die Kurie ist und zu leisten hat. Unterschiede, die möglicherweise mit zum überraschenden Aus Müllers nach nur fünf Jahren – also einer Amtszeit – an der Spitze der Glaubenskongregation geführt haben, und die auch den Kurs von Papst Franziskus bei seiner Kurienreform deutlich werden lassen.
Für Kardinal Müller gibt es im Wesentlichen den Papst, die Kurie und die Gemeinschaft der Bischöfe. Bischofskonferenzen sind ihm nur Verwaltungseinheiten, deren Kompetenz nicht über die ihrer Mitglieder hinausgeht. Eine gesunde Dezentralisierung – wie sie zum Programm von Franziskus gehört – bedeutet nach Müller nicht, "dass nun die Bischofskonferenzen 'mehr Macht' erhalten", schreibt er in einem 2015 im Osservatore Romano erschienenen Beitrag über "Theologische Kriterien für die Kirchen- und Kurienreform". Deutlich heißt es dort: "Die Bischofssynode, die Bischofskonferenzen und andere Zusammenschlüsse von Bischöfen gehören einer anderen theologischen Kategorie an als die römische Kurie."
Während die Kurie gleichsam zum Wesen der Kirche gehört, weil sie und das Kardinalskollegium aus dem Klerus des antiken Bistums Rom entstanden seien, mithin "eine dem Wesen nach geistliche Einrichtung" sei und so "keine profane Verwaltungsstruktur", findet Müller in seinem Aufsatz für die Bischofskonferenzen keine so klare ekklesiologische Aufgabenbestimmung; regionale Entscheidungsstrukturen kommen nur in negativen historischen Beispielen vor, in denen weltliche und geistliche Macht aus nationalistischem Antrieb unzulässig verquickt wurden. Gegenüber der französischen Zeitung "La Croix" betonte er 2015 deutlich, dass es nicht "die Kirche von Frankreich oder Deutschland" gebe, sondern allein "die Kirche von Paris, von Toulouse und so weiter". Bischofskonferenzen sind bestenfalls Ausdruck der Kollegialität.
Aus dem Konzilsdokument "Christus Dominus", dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche, zitiert Müller im Osservatore nur die Abschnitte über die Kurie. Dass die Konzilsväter dort aber auch den Wunsch äußern, "dass die ehrwürdigen Einrichtungen der Synoden und Konzilien mit neuer Kraft aufblühen" und sie die Bischofskonferenzen würdigen, erwähnt er nicht.
"Christus Dominus" gibt den Bischofskonferenzen allerdings in der Tat keine Kompetenzen über die der einzelnen Bischöfe hinaus – was für Müller ekklesiologisch schlüssig und wünschenswert ist, sieht für Franziskus anders aus. In "Evangelii Gaudium", dem ersten Apostolischen Schreiben seines Pontifikats, legt der neue Papst – acht Monate war er bei Veröffentlichung erst im Amt – auch programmatische Aussagen zu den Bischofskonferenzen vor. Auch er bezieht sich aufs Zweite Vatikanum, sieht dessen Auftrag aber noch nicht als verwirklicht an: Der in der dogmatischen Konstitution "Lumen Gentium" über die Kirche geäußerte Wunsch, mit den Bischofskonferenzen "die kollegiale Gesinnung [der Bischöfe] zu konkreter Verwirklichung" zu führen, sei, so Franziskus, "nicht völlig erfüllt, denn es ist noch nicht deutlich genug eine Satzung der Bischofskonferenzen formuliert worden, die sie als Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen versteht, auch einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität."
Linktipp: Franziskus dreht sein Personalkarussell
Nach nur fünf Jahren muss Kardinal Gerhard Ludwig Müller die Leitung der Glaubenskongregation abgeben. Um diese Entscheidung von Papst Franziskus ranken sich viele Rätsel. Klar ist: Sie ist Teil eines groß angelegten Personalumbaus. Und dieses Programm hat im Vatikan schon jetzt viel verändert.Vier Jahre später steht diese Stärkung der Bischofskonferenzen kirchenrechtlich noch aus; in der Verkündigung des Papstes dagegen haben sie unter Franziskus ungleich mehr Teil am Lehramt der Kirche als unter seinen Vorgängern – und wohl auch als in der Ekklesiologie Müllers. Ein Blick in die Fußnoten päpstlicher Dokumente ist lehrreich. Benedikt XVI. hat in seinen drei Enzykliken nicht einmal eine Äußerung einer Bischofskonferenz angeführt, in "Caritas in Veritate" immerhin päpstliche Ansprachen an Bischofskonferenzen. Bei Franziskus wird der Fußnotenapparat ungleich länger und vielfältiger – und er legt Wert auf Bischofskonferenzen aus aller Welt; vor allem das Schlussdokument der 5. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik im brasilianischen Aparecida wird immer wieder angeführt. Kein Wunder: Der damalige Kardinal Jorge Bergoglio saß dem Textausschuss für das Dokument der Bischofsversammlung vor. 23 der 217 Fußnoten in "Evangelii Gaudium" beziehen sich auf Dokumente von Bischofskonferenzen, in der Umweltenzyklika "Laudato si" sind es 25 von 172, und in "Amoris Laetitia", das sich vor allem auf das Schlussdokumente der Familiensynoden bezieht, immerhin noch 10 von 391 Fußnoten.
Das Verhältnis zur Kurie ist weit weniger wertschätzend. Franziskus' Weihnachtsansprachen an die Mitarbeiter der Kurie stehen spätestens seit 2014, als er "15 Krankheiten der Kurie" diagnostizierte, nicht im Ruf eines besinnliches Abschlusses des Arbeitsjahres. Wie Müller legt Franziskus Wert darauf, dass die Kurie keine bloße Behörde, sondern Teil der Sendung der Kirche ist und damit einen geistlichen Auftrag hat: "Wir können uns gut die römische Kurie als ein kleines Modell der Kirche vorstellen, also wie einen 'Leib', der ernsthaft und täglich danach sucht, lebendiger zu sein, gesünder, harmonischer und mehr vereint in sich selbst und mit Christus", sagte Franziskus damals. In der konkreten Ausgestaltung der Bedeutung der Kurie sind die Unterschiede aber nicht zu übersehen.
Kardinal Müller stellte 2015 gegenüber "La Croix" seine Aufgabe quasi als Ausputzer des chaotischen Pastoral-Pontifikats Franziskus' dar: Der Papst sei eben kein großer Theologe. "Papst Franziskus ist sehr pastoral, und die Glaubenskongregation hat die Aufgabe, ein Pontifikat theologisch zu strukturieren.
Die kuriale Weihnachtsansprachen im folgenden Jahr liest sich – wiederum in einer Fußnote – wie eine Klarstellung dessen, wer Koch und wer Kellner im Vatikan ist: "So erinnert [das Konzil] uns vor allem daran, dass die Kurie ein Hilfs-Organismus für den Papst ist, und stellt zugleich klar, dass der Dienst der Organismen der Römischen Kurie immer nomine et auctoritate des Papstes ausgeübt wird." Im Übrigen handle die Kurie subsidiär "auf das Wohl der Teilkirchen wie auch auf die Unterstützung ihrer Bischöfe hin ausgerichtet".
Viel wurde in den vergangenen Tagen über die Gründe für Müllers Entlassung vermutet: Versäumnisse bei der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs, mangelnde Loyalität bei der Umsetzung von "Amoris Laetitia", persönliche Spannungen, möglicherweise auch die autoritäre Leitungspersönlichkeit des Papstes aus dem Orden, der den "Kadavergehorsam" in seinen Statuten hat.
Geht es nach den ekklesiologischen Grundüberzeugungen der beiden Beteiligten, wird eine weitere Erklärung plausibel: Franziskus hat eine Richtungsentscheidung getroffen. Franziskus mag die Glaubenskongregation nicht ekklesiologisch überhöhen, er erkennt und nutzt sie aber als zentrale, wohl wichtigste Behörde seiner Kurie. Dort braucht er einen Mann an der Spitze, der seinen Reformkurs und seine Vision der Kirche mitträgt: Feldlazarett statt societas perfecta.