Lehmann: Papst hat der Kirche Freiheit zurückgegeben
Lehmann äußerte sich bei einer Veranstaltung eines internationalen Theologenkongresses zur Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), das am 8. Dezember vor 50 Jahren endete. Das Konzil gilt als wichtigstes katholisches Ereignis des 20. Jahrhunderts. In seinem Vortrag appellierte der Kardinal an die Kirche und alle Anwesenden, weniger um sich selbst zu kreisen und sich stattdessen um die Dinge zu kümmern, "die wirklich wichtig sind". Angesichts der Globalisierung habe die katholische Kirche als Weltkirche "eine große Chance". Dafür dürfe sie aber nicht zentralistisch handeln.
Die im belgischen Löwen lehrende deutsche Theologin Annemarie C. Mayer sagte, wenn Franziskus sein Programm einer "heilsamen Dezentralisierung" umsetze, werde das nächste Konzil nicht mehr im Vatikan stattfinden, sondern "vielleicht sogar in München". Der italienische Kirchenhistoriker Massimo Faggioli beklagte eine wachsende Zersplitterung unter den Katholiken. Der bei manchen festzustellende "permanente Wille, den anderen anzuschwärzen, auch den Papst", erinnere ihn an die Sicherheitsmaßnahmen auf internationalen Flughäfen, wo Passagiere gebeten würden, jedes verdächtige Gepäckstück zu melden.
Franziskus ist ein "kluger Jesuit"
Die Katholiken müssten sich fragen lassen, ob sie nur untereinander den Glauben teilten oder ob sie auch dem Glauben des anderen vertrauten, so Faggioli. Dem Papst attestierte der Wissenschaftler, ein "kluger Jesuit" zu sein. Franziskus lebe das Zweite Vatikanische Konzil, ohne ständig von ihm zu reden. Faggioli lehrt an der US-Universität St. Thomas im Bundesstaat Minnesota.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, mahnte dazu, die großen Konzilstexte nicht nur wie einen Schatz zu hüten, sondern sie als Quelle für die Gegenwart zu nutzen. Sie seien ein "Impuls, weiterzudenken und den Faden neu aufzugreifen", sagte er am Dienstagmorgen während eines Gottesdienstes mit den Teilnehmern der internationalen Theologentagung. Viele Anregungen von damals seien "noch längst nicht ausgestritten".
"Das Konzil ist beendet, das Konzil beginnt", sagte der Erzbischof von München und Freising in Anspielung auf ein Wort des deutschen Theologen Karl Rahner. Nach dem Zweiten Vatikanum habe die Kirche Höhen und Tiefen erlebt. "Wenn wir auf die Texte, den Geist und die theologischen Debatten schauen, dürfen wir dankbar sein", erläuterte Marx. "Aber wir dürfen nicht aufhören. Das Konzil hat uns Aufbrüche geschenkt, die wir in einer neuen Weise für heute aufgreifen können und müssen."
Marx: Keine "Mehrklassengesellschaft" in der Kirche
Die große Konzilskonstitution "Lumen gentium" habe bewusst gemacht, dass alle Getauften eine Sendung hätten und es in der Kirche keine "Mehrklassengesellschaft" gebe, sagte Marx. Er erinnerte an die jüngsten Worte von Papst Franziskus zu einer synodalen Kirche. Der Kardinal kritisierte, das Dokument "Dei verbum" zur Offenbarung sei noch viel zu wenig weitergedacht worden. Es gehe um eine lebendige Tradition, "nicht um eine abgegrenzte Sache und eine Ansammlung von Sätzen".
Die Konstitution "Gaudium et spes" wiederum rufe die Christen zu einer lebendigen Zeitgenossenschaft auf, so der Vorsitzende. "Kirche ist auch lernende Kirche, nicht nur lehrende Kirche. Sie steht offen vor der Geschichte und vor den Zeichen der Zeit." Diese Zeitgenossenschaft gelte auch mit Blick auf Armut und Leiden der Menschen, auch auf Klimawandel oder Flüchtlinge
Der dreitägige Kongress unter dem Motto "Das Konzil eröffnen - Theologie und Kirche unter dem Anspruch des Zweiten Vatikanischen Konzils" endet am Dienstag. Nach Veranstalterangaben nahmen 200 Forscher aus aller Welt teil. Zum Abschluss soll eine Erklärung zur Gegenwartsbedeutung der epochalen Versammlung veröffentlicht werden. (bod/KNA)
08.12.2015, 11.31 Uhr: ergänzt um das Statement von Kardinal Marx