Liebschaften und Seilschaften
Dazu zählen, wie der italienische Vatikan-Journalist Luigi Accattoli vorab verrät, Bemühungen Benedikts XVI., die Vatikanbank zu reformieren und Geldwäsche zu unterbinden, der Missbrauchsskandal und Widerstände, denen der Papst bei seinem Versuch begegnete, gegen den "Schmutz in der Kirche" vorzugehen. Benedikt XVI. räumt demnach mangelnde Härte im Regieren ein. Er soll, so Accattoli, auch von einer "Schwulen-Lobby" im Vatikan gewusst haben.
Es seien vier bis fünf Personen gewesen, heißt es, und Benedikt XVI. sei es gelungen, die Gruppe zu zerschlagen. So weit, so gut. Aber von dieser Mitteilung fällt möglicherweise auch neues Licht auf andere Aussagen zur Existenz oder Nicht-Existenz von Seilschaften affektiv verbandelter Kurienmitarbeiter.
Verdacht auf eine Homosexuellen-Seilschaft
So hatte sich der frühere Schweizergarde-Kommandant Elmar Mäder einmal zum Gerücht eines Homosexuellen-Netzwerks geäußert: "Meine Erfahrungen sprechen für die Existenz eines solchen", sagte Mäder einer Schweizer Zeitung im Januar 2014. Der vatikanische Innenminister Erzbischof Angelo Becciu rügte ihn dafür: Mäder stelle Behauptungen auf, ohne Namen zu nennen. "Mein Büro steht offen. Wenn Elmar Mäder kommen und sagen will, auf wen er sich genau bezieht, stehe ich zur Verfügung", sagte Becciu. Der Vatikan gehe jedem begründeten Verdacht auf eine Homosexuellen-Seilschaft nach.
Dass es begründete Verdachtsfälle geben mag, machte der Fall Krzysztof Charamsa augenfällig. Der polnische Geistliche und Mitarbeiter der römischen Glaubenskongregation hatte sich im Oktober 2015 mit seinem katalanischen Partner geoutet. Nach seiner umgehenden Entlassung aus der Kurie erhob er bittere Vorwürfe: Für Millionen Homosexuelle weltweit mache die Kirche das Leben "zur Hölle", schrieb er an Papst Franziskus.
Der Klerus sei "voller Homosexueller", so Charamsa. Weiter appellierte er an "alle schwulen Kardinäle, schwulen Bischöfe und schwulen Priester, den Mut zu haben, diese fühllose, unfaire und brutale Kirche zu verlassen". Der Ruf fand kein vernehmbares Echo. Auch lassen sich daraus keine raschen Schlüsse ziehen: Eine Frage ist, ob es homosexuelle Kleriker gibt, eine andere, ob sie ihr priesterliches Keuschheitsgelübde aufgegeben haben, eine dritte, ob sie ein Netzwerk bilden.
Kardinal Camillo Ruini, ehemaliger Kardinalvikar für das Bistum Rom, dementierte jedenfalls die Existenz einer organisierten Gruppe Homosexueller im Vatikan. Einer Tageszeitung sagte er, es wäre eine "traurige Sache", wenn das Gerede wahr wäre. Er selbst habe keine Erkenntnisse, die den Begriff Schwulen-Lobby rechtfertigen würden. Ruini ist ein gewiefter Diplomat, und seine Äußerung vom Oktober 2015 muss nicht notwendig in Widerspruch zu der Interview-Aussage Benedikts XVI. stehen, der sich auf seine Amtszeit 2005 bis 2013 bezieht. Aber auch Papst Franziskus sprach noch im Juni 2013, drei Monate nach seiner Wahl, angeblich von korrupten Strömungen und homosexuellen Seilschaften in der Kurie.
Verlag nennt Buch eine "Sensation"
"Es ist die Rede von einer Schwulen-Lobby, und es ist wahr, es gibt sie ... Wir müssen sehen, was wir tun können", zitierte ihn ein Vorstandsmitglied der lateinamerikanischen Ordenskonferenz CLAR. Der Vatikan erklärte dazu, es habe sich um eine private Unterredung gehandelt; es gebe nichts zu kommentieren. Der CLAR-Vorstand ruderte vorsichtig zurück, gab an, das Zitat sei aus dem Gedächtnis wiedergegeben und nicht wörtlich zu verstehen.
Der Droemer-Verlag nennt das neue Seewald-Buch eine "Sensation"; Benedikt XVI. kündigt dort laut Accattoli an, er wolle seine persönlichen Notizen zu vielen Themen vernichten, wenngleich zum Leidwesen von Historikern. Mancher im Vatikan wir den Bücherherbst mit Spannung erwarten.