Theologe Thönissen zum Dokument "Reformation in ökumenischer Perspektive"

"Luther vermittelt wichtige Einsichten"

Veröffentlicht am 10.08.2016 um 00:01 Uhr – Von Norbert Zonker (KNA) – Lesedauer: 
Der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der Münchener Erzbischof Kardinal Reinhard Marx bei einem ökumenischen Gottesdienst.
Bild: © KNA
Ökumene

Bonn  ‐ Das Reformationsgedenken 2017 ist ein Thema für Katholiken, sagt die Deutsche Bischofskonferenz. Jetzt hat sie dazu eine Arbeitshilfe vorgelegt. Der Paderborner Theologe Wolfgang Thönissen erklärt, worum es geht.

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Frage: Professor Thönissen, die Deutsche Bischofskonferenz hat zum Gedenkjahr 2017 eine Arbeitshilfe mit dem Titel "Reformation in ökumenischer Perspektive" herausgegeben. Wie lautet kurz gefasst die zentrale Botschaft der rund 200 Seiten?

Thönissen: Seit dem Konflikt des Jahres 1521 war Martin Luther für Katholiken Ketzer und Kirchenspalter. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein blieb er der katholischen Kirche fremd. Noch die letzten Auseinandersetzungen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ließen an ihm kein gutes Haar. Es ist erst der katholischen Lutherforschung im 20. Jahrhundert gelungen, dieses Bild tiefgreifend zu revidieren. Sie hat mit zu den ökumenischen Impulsen des 20. Jahrhunderts geführt. Vor allen Dingen der lutherisch-katholische Dialog auf Weltebene hat durch seine maßgebenden ökumenischen Dokumente zu einem neuen Bild Martin Luthers beigetragen. Er ist danach "Zeuge des Evangeliums Jesu Christi".

Frage: An wen richtet sich die Arbeitshilfe vor allem? Was soll damit erreicht werden?

Thönissen: Die Arbeitshilfe der Bischofskonferenz wendet sich in erster Linie an Theologinnen und Theologen, die vorrangig im ökumenischen Dialog engagiert sind. Dazu gehören natürlich in erster Linie die Pfarrer der Gemeinden, aber auch die pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pfarreien. Ebenso ist auch an die Theologinnen und Theologen, die in der Bildungsarbeit tätig sind, gedacht. Ihnen hilft diese Arbeitshilfe dabei, die Eckpunkte einer objektiven Auseinandersetzung mit der Theologie Martin Luthers und der Reformatoren aufzunehmen. Dabei kommen zwei Dinge in den Blick: einmal die ökumenischen Dokumente, an denen die katholische Kirche selbst mitgearbeitet hat, dann aber auch diejenigen Texte, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausgehend zu einer solchen Verständigung beigetragen haben.

Wolfgang Thönissen im Porträt
Bild: ©KNA

Wolfgang Thönissen, leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn.

Frage: Wie groß ist nach ihrer Wahrnehmung bisher das Interesse in den katholischen Gemeinden und Institutionen am protestantischen Reformationsjubiläum?

Thönissen: Das Interesse an dem bevorstehenden Reformationsjubiläum ist insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zeitpunkt nur wenig ausgebildet. Es ist ein Ereignis unter Christen. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau feststellen, ob das bevorstehende Ereignis nicht doch auch noch größeres Interesse wecken wird. Auf einer anderen Ebene stehen aber die Beobachtungen aus der ökumenischen Zusammenarbeit zwischen katholischen und evangelischen Gemeinden. Hier kann man mit großer Freude wahrnehmen, dass sich viele Partnergemeinden in den letzten Monaten auf den Weg gemacht haben, das Jubiläum gemeinsam zu begehen. Im Vordergrund steht dabei die Vorbereitung von Gottesdiensten. Hier hilft die vom lutherisch-katholischen Dialog auf Weltebene erarbeitete Broschüre "Vom Konflikt zur Gemeinschaft" weiter. Auch die vorbereitete Liturgie erfreut sich in den Gemeinden großer Beliebtheit. In diesem Zusammenhang möchte die Arbeitshilfe die notwendigen theologischen Grundlagen von katholischer Seite bereitstellen, um angemessen das Reformationsgedenken aus katholischer Sicht mitgestalten zu können. Grundsätzlich müssen wir festhalten: das Reformationsjubiläum des Jahres 2017 ist das erste in einem ökumenischen Zeitalter.

Frage: Warum sollten sich auch die Katholiken mit Luther und der Reformation befassen?

Thönissen: Es gehört zu den großen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, dass hinter der Abgrenzung und der Verurteilung Martin Luthers ein Theologe zu entdecken ist, der der katholischen Theologie und dem katholischen Glauben wichtige Einsichten vermitteln kann. Papst Benedikt XVI. hat dies bei seinem Besuch 2011 im Augustinerkloster in Erfurt deutlich gemacht. Martin Luther ist für seine und für unsere Zeit ein Gottsucher. Er hat diese Suche nach Gott in eine neue Sprache gegossen und damit auch für unsere Zeit Wege der Begegnung mit Gott beschritten. Zum Zweiten: Martin Luther führt Christen zur Hochschätzung der Heiligen Schrift. Drittens: Martin Luther führt den Christen direkt zu Christus selbst. Natürlich gibt es keinen Christus ohne die Kirche, aber im Mittelpunkt des kirchlichen Handelns und Lebens steht Jesus Christus. Er ist das Maß und die Norm des christlichen Lebens.

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Frage: Luthers Reformanliegen, heißt es in der "Theologischen Hinführung" der Broschüre, stellen "für Katholiken und Lutheraner auch heute noch eine geistliche und theologische Herausforderung dar". Inwieweit lassen sich die beiden Konfessionen auf diese Herausforderung ein?

Thönissen: Der intensive, seit 50 Jahren geführte lutherisch-katholische Dialog war immer auch ein Gespräch über die Theologie Martin Luthers. Insoweit sind die in diesem Dialog erzielten Ergebnisse aus der impliziten Auseinandersetzung mit Martin Luther erwachsen. In den zentralen Fragen der Rechtfertigungslehre und in Fragen der Heiligen Schrift in Verbindung zur Tradition hat es wichtige und weitreichende Verständigungen gegeben. Ich erinnere an die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" von 1999. Sie ist nicht nur eine Erklärung zwischen den lutherischen Kirchen und der katholischen Kirche, sie wurde auch von der methodistischen Kirche anerkannt. Derzeit bereitet die Weltgemeinschaft der Reformierten Kirche eine zustimmende Erklärung vor. Auch die Anglikanische Kirche bewegt sich hier. Sich in diesen Fragen und auch anderen Fragen nicht mehr zu verurteilen und zu verunglimpfen, ist ein wichtiger Beitrag zum Frieden der Konfessionen. Der theologische Streit des 16. Jahrhunderts ist vorüber.

Frage: Das vergangene Jahrzehnt war durch eine gewisse Ernüchterung in der Ökumene gekennzeichnet. Welche ökumenischen Erwartungen haben Sie im Blick auf 2017?

Thönissen: Natürlich sind längst nicht alle Fragen zwischen den noch getrennten Kirchen geklärt. Die Frage der Eucharistiegemeinschaft bleibt derzeit unbeantwortet. Doch können wir andererseits feststellen, dass die Kirchen gemeinsam auf dem Weg der weiteren Annäherung sind. Es kommt heute darauf an, den Glauben an Jesus Christus gemeinsam zu profilieren. Die großen Kirchen in Deutschland wollen hier energisch voranschreiten. Auch die gemeinsam geplanten Gottesdienste zum Reformationsjubiläum lassen hoffen, dass die ökumenische Gottesdienstpraxis intensiviert wird. Zum Dritten ist wichtig, dass die Kirchen in der Gesellschaft wieder mehr gemeinsames Profil zeigen, in der Frage der Sterbehilfe, in der Frage des Umgangs mit der Stammzellforschung, in der Flüchtlingsfrage, und auch und vor allem in der Frage der Begegnung der Religionen einschließlich des Zeugnisses für Religionsfreiheit.

Von Norbert Zonker (KNA)