Luther war nicht der Erste!
Heute gibt es sie wie Sand am Meer: Bibeln in Landessprachen finden sich in unzähligen Haushalten weltweit. Jeder, der möchte, hat Zugang zu den Texten des Alten und Neuen Testaments. Erst kürzlich erschien die Heilige Schrift im deutschsprachigen Raum als neue "Einheitsübersetzung" – und die ist nur eine von vielen deutschen Übersetzungen. Doch das war nicht immer so. Lange Zeit war die Bibel allein Sache des Klerus, und das ausschließlich in lateinischer Sprache – der sogenannten "Vulgata"-Fassung. Der Besitz, die Lektüre, Übersetzung oder Auslegung der Schrift waren den Laien sogar verboten. Wann fingen die Menschen an, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen? Und warum hatte die Kirche lange etwas dagegen?
Tatsächlich entstanden bereits im achten und neunten Jahrhundert die ersten deutschen Bibelübersetzungen. Ihre Urheber waren Mönche, die mit ihrer handschriftlichen Arbeit jedoch eher Kleriker erreichen wollten, nicht das gemeine Volk. Bei diesem ergab sich ohnehin das Problem, dass viele Menschen zur damaligen Zeit weder lesen noch schreiben konnten; Zugang zur Heiligen Schrift hatten die meisten Laien im Mittelalter lediglich durch die "Biblia pauperum" – die Armenbibel –, die ausgewählte biblische Geschichten durch Bilddarstellungen erzählte. Die ersten Übersetzungen ins Alt- und Mittelhochdeutsche deckten zudem bei weitem nicht die gesamte Heilige Schrift ab. Es wurden vielmehr einzelne Teile des Alten und Neuen Testaments übersetzt oder mehrere Bücher zusammengefasst. Darunter fallen die sogenannten "Evangelienharmonien", gewissermaßen Zusammenschauen der vier Evangelien. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Evangelienharmonie des Benediktiners und Dichters Otfrid von Weißenburg aus dem Jahr 870.
Verbote durch die Kirche
Obwohl die frühen Übersetzungen Einzelwerke waren und in ihrer Qualität durchaus schwankten, nehmen sie einen hohen Stellenwert ein. Denn sie markieren den Beginn der Schriftlichkeit der deutschen Sprache. Ab dem zwölften Jahrhundert stieg dann auch unter lesekundigen Laien das Interesse, die Heilige Schrift zu lesen und auszulegen. In dieser Zeit entstanden religiöse Bewegungen wie die Katharer und Waldenser, die die Bibel selbst übersetzten und zu einem radikalen Umdenken bei Schriftverständnis und -auslegung aufforderten. Eine solche Emanzipation konnte der Kirche, die die Deutungshoheit über die biblischen Texte für sich allein beanspruchte, nicht gefallen.
Im Jahr 1199 verbot Papst Innozenz III. (1198 bis 1216) die Lektüre der Bibel bei privaten Zusammenkünften. Die Synoden im französischen Toulouse (1229) und spanischen Tarragona (1234) untersagten den Laien den Besitz des Alten und Neuen Testaments gänzlich; Psalter und Stundenbuch bildeten dabei eine Ausnahme. Betont wurde zudem, dass die Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen verboten sei. Entsprechende Verbote wurden später noch einmal erneuert, etwa durch Papst Gregor XI. (1370 bis 1378), der die Auslegung der Bibel ohne kirchliche Genehmigung und die Verbreitung entsprechender Schriften untersagte. Katharer und Waldenser wurden später als ketzerische Bewegungen gebrandmarkt und von der Inquisition verfolgt, die Katharer – auch Albigenser genannt – sogar gänzlich vernichtet. Doch die Verbreitung volkssprachlicher Übersetzungen der Bibel konnte dadurch nicht aufgehalten werden.
Ab dem 14. Jahrhundert breiteten sich Übersetzungen der Psalmen, Propheten, Evangelien oder neutestamentlichen Briefe immer weiter aus. Viele Verfasser blieben aus Angst vor der Inquisition allerdings anonym. Auch wurden erste Gesamtübersetzungen von Altem und Neuem Testament ins Deutsche angefertigt. Zwischen 1390 und 1400 entstand in Prag die sogenannte "Wenzelsbibel". Die Prachthandschrift stellt eine der ältesten vollständigen Übersetzungen des Alten Testaments in die deutsche Sprache dar. Als erste deutsche Vollbibel in gedruckter Form gilt die "Mentelin-Bibel", die in Straßburg entstand. Sie wurde 1466 veröffentlicht, also nur ein Jahrzehnt nach der legendären lateinischen Gutenberg-Bibel. Aufgrund ihrer hohen sprachlichen wie illustrativen Qualität wird die "Lübecker Bibel" aus dem Jahr 1494 als bedeutendste volkssprachliche Bibel vor der Reformation angesehen.
Wer übersetzt, verbrennt sich die Finger
Dass die Kirche hart durchgriff, wenn ihr Bibelübersetzer namentlich bekannt waren, zeigen die Fälle des englischen Theologen John Wyclif und des böhmischen Kirchenreformers Jan Hus. Wyclif hatte die Bibel Ende des 14. Jahrhunderts ins Englische übersetzt, Hus hatte etwa zur selben Zeit eine tschechische Übersetzung erstellt. Zudem verkündete er öffentlich, die Kirche halte die Bibel absichtlich vor dem Volk zurück, damit die Laien die "Irrtürmer" der Kleriker bei deren Predigten nicht bemerkten. Seine Aussagen brachten Hus eine Vorladung vor das Konzil von Konstanz (1414 bis 1418) ein. Nachdem er seine reformerischen Thesen nicht widerrief, wurde er wegen Häresie bei lebendigem Leib verbrannt – ebenso seine Schriften. Das gleiche Urteil sprach das Konzil über Wyclif – 30 Jahre nach seinem Tod. Man grub Wyclifs Gebeine noch einmal aus und verbrannte sie auf dem Scheiterhaufen.
Solche Schreckensszenarien hielten ein Jahrhundert später den Mönch Martin Luther nicht davon ab, seine Thesen für eine Kirchenreform zu verbreiten und sich an eine eigene Übersetzung der Heiligen Schrift zu machen. Zwischen 1521 und 1522 übersetzte er zunächst das Neue Testament aus dem Griechischen. Dabei griff er auf die sächsische Kanzleisprache – gewissermaßen das Hochdeutsch seiner Zeit – zurück und verwendete somit eine allgemeinverständliche Sprache. Das unterschied seinen Text von vielen bis dahin entstandenen Übersetzungen, die sich oft regionaler Sprachen bedienten. Von 1523 bis 1534 übersetzte Luther auch das Alte Testament aus dem Urtext. Die sogenannte Lutherbibel – die kürzlich erst in einer neuen revidierten Fassung erschienen ist – verbreitete sich rasch in allen Teilen der Bevölkerung und beeinflusste die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Sprache nachhaltig.
Luther war in Sachen Bibelübersetzung also bei weitem nicht der Erste – sein Werk ist dennoch von außerordentlicher Bedeutung. Auch die katholische Kirche konnte in der nachreformatorischen Zeit nur schwer bei ihrem vollständigen Bibelverbot für Laien verbleiben. Bereits kurz nach der Veröffentlichung der Lutherbibel erschienen sogenannte "Korrekturbibeln" oder auch "Gegenbibeln", die als katholische Übersetzungen vermeintliche Fehler des Reformators korrigierten. Die Kirche tat sich mit der Übertragung in die Landessprachen allerdings weiterhin schwer und sprach Verbote aus. Das gegenreformatorische Konzil von Trient (1545 bis 1563) etwa betonte, dass lediglich die jahrhundertealte lateinische Vulgata-Übersetzung für die Kirche "authentisch" und "allein anwendbar" sei. Dennoch war der Stein durch Luther ins Rollen gekommen und nicht mehr aufzuhalten: In den darauffolgenden Jahrhunderten entstand eine Fülle katholischer Bibelübersetzungen, die letztlich in die Einheitsübersetzung mündeten. Weltweit ist das Buch der Bücher bis heute in weit über 2.000 Sprachen übersetzt worden.
Eine Frage der Qualität
Der Vergleich zwischen vorreformatorischen Bibelübersetzungen und der Lutherbibel offenbart große sprachlich-qualitative Unterschiede. Das zeigt exemplarisch die folgende Gegenüberstellung der Verse 1 bis 7 aus dem 38. Kapitel des Buches Genesis; die Einheitsübersetzung aus dem Jahr 2016 dient dabei als Beispiel für eine aktuelle Übersetzung:
"Otmar-Bibel" (Augsburg, 1507):
1 In der zeit gieng judas ab von sinen brüdern und keret ein zu aim man odolamiten mit namen hyram 2 Unnd sahe da ain tochter ains menschen chananei mit name sue Unnd do er sy hett genomen zu ainem weibe. er gieng ein zu ir 3 Sy empfieng un gebar ainen sune. un er hieß seinen namen her. 4 Anderwayd empfieng sy ain frucht. do der sune ward geboren. er nante in onan. 5 Unnd sy gebar den dritte den nennet er sela. Do der was geboren sy höret auf fürbas zu geberen 6 Aber judas gab her seynem erstgebornen sun ain weyb mit namen thamar. 7 Un her der erstgeboren jude was ain schalck in dem angesichte des herren. darumb ward er erschlagen von im.
Lutherbibel (Wittenberg, 1545):
1 Es begab sich vmb die selbige zeit / das Juda hinab zoch von seinen Brüdern / vnd thet sich zu einem Man / von Odollam / der hies Hira. 2 Vnd Juda sahe daselbs eines Cananiters mans Tochter / der hies Suha / vnd nam sie. Vnd da er sie beschlieff / 3 ward sie schwanger / vnd gebar einen Son den hies er Ger. 4 Vnd sie ward aber schwanger vnd gebar einen Son /den hies sie Onan. 5 Sie gebar abermal einen Son /den hies sie Sela / vnd sie war zu Chesib / da sie jn gebar. 6 Vnd Juda gab seinem ersten Son / Ger / ein weib / die hies Thamar. 7 Aber er war böse fur dem HERRN / darumb tödtet jn der HERR.
Einheitsübersetzung (Stuttgart, 2016):
1 Um jene Zeit verließ Juda seine Brüder und begab sich hinunter zu einem Mann aus Adullam, der Hira hieß. 2 Juda sah dort die Tochter eines Kanaaniters namens Schua. Er nahm sie und kam zu ihr. 3 Sie wurde schwanger, gebar einen Sohn und gab ihm den Namen Er. 4 Sie wurde abermals schwanger, gebar einen Sohn und gab ihm den Namen Onan. 5 Und noch einmal gebar sie einen Sohn und gab ihm den Namen Schela. Juda war in Kesib, als sie ihn gebar. 6 Juda nahm für seinen Erstgeborenen Er eine Frau namens Tamar. 7 Aber Er, der Erstgeborene Judas, missfiel dem Herrn und so ließ ihn der Herr sterben. (Gen 38,1-7)