Mahnungen aus Mater Ecclesiae
Im stillen Gebet wollte er fortan leben, erklärte Papst Benedikt XVI. Anfang 2013 zur Ankündigung seines Rücktritts. Aber still ist er seither in seinem Altersruhesitz, dem Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan, nicht geblieben. Häufiger als viele andere Bischöfe im Ruhestand hat sich der emeritierte Papst zu Wort gemeldet und dabei jedes Mal große Aufmerksamkeit erhalten. Denn während die meisten amtierenden Oberhirten die Umstände der Zeit eher beobachten als kommentieren, beharrt Benedikt auf seiner Mahnung vor dem Niedergang der Kirche.
Kardinal Joachim Meisner habe seinen Lebensabend in der Gewissheit verbracht, "dass der Herr seine Kirche nicht verlässt, auch wenn manchmal das Boot schon fast zum Kentern angefüllt ist", schrieb Benedikt XVI. zur Beisetzung seines Freundes am vergangenen Samstag. In diesen Worten steckt eine sonderbare Mischung aus Pessimismus und Vertrauen, wie sie typisch für zukunftsskeptische Katholiken ist: Es wird schlimm, aber wir haben Gott auf unserer Seite.
Die zahlreichen Kritiker des ehemaligen Papstes fühlten sich beinahe zwangsläufig bestätigt in ihrer Meinung, dass Benedikt XVI. aller Fortschritt ein Gräuel sei. Solche Aussagen und ihre Interpretation sorgten über die Jahre für ein öffentliches Bild Ratzingers als dem großen Feind der Moderne. Und tatsächlich lässt sich insbesondere auf die relativ kurze Zeit seit dem historischen Rücktritt vor gut vier Jahren eine Entwicklung in Benedikts Wortwahl feststellen: hin zur Dramatik.
Seinen Rücktritt erklärte er am 10. Februar 2013 vor den Kardinälen mit seinen schwindenden Kräften; diese würden nicht mehr ausreichen, "das Schifflein Petri zu steuern". Keine Rede davon, dass sich die Kirche, die mit dem nautischen Bild umschrieben wird, in einer akuten Gefahrenlage befinden würde. Zwei Wochen später, bei seiner letzten Generalaudienz, erklärte der scheidende Papst, dass er sich in seinem Pontifikat gefühlt habe "wie Petrus mit den Aposteln im Boot auf dem See Gennesaret". Da habe es angenehme und gute Tage gleichermaßen gegeben wie schwere Zeiten und Gegenwind. Der Rückblick Benedikts XVI. klang damals ausgewogen, nachdenklich, aber nicht defätistisch, wie nun zur Beerdigung seines Weggefährten Meisners.
Trauer um einen strammen Hirten
Vielleicht ist es aber auch nur die Wehmut, die das Gedenkwort des alten Papstes an dieser Stelle so dunkel erscheinen lässt. Denn Benedikt XVI. betrauert nicht nur den Tod eines Freundes, sondern vor allem den Verlust eines Gläubigen, wie er seinem Idealbild entsprach: Leidenschaftlich, überzeugt und entschieden wider eine "Diktatur des Zeitgeistes" eintretend. Bereits vor einigen Wochen hatte Benedikt für einen anderen Gleichgesinnten ähnlich lobende Worte gefunden, als er ein Nachwort für ein Buch Kardinal Robert Sarahs beisteuerte. Die Kirche müsse dem amtierenden Papst Franziskus dankbar sein, dass dieser den Kardinal zum Chef der Liturgiebehörde gemacht hat, urteilt er darin. Und das passt, denn auch der "geistliche Lehrer" Sarah ist ein Mann nach Benedikts Geschmack. Anders als vielen Katholiken gerade in Deutschland, bei denen der Kardinal etwa mit seiner Forderung nach der Rückkehr zur Messe "ad orientem" Unmut hervorruft, gilt er dem Altpapst als starker Kämpfer gegen den Zeitgeist.
Linktipp: Kardinal Meisner im Kölner Dom beigesetzt
Kardinal Joachim Meisner ist im Kölner Dom beigesetzt worden. Beim Requiem zeigte sich, dass Meisner hohes Ansehen in der Kirche genoß, denn aus dem Vatikan wurden gleich zwei Würdigungen verlesen.Diese Rede von der "Diktatur des Zeitgeistes" bezeichnete ein Kommentator jüngst als den "Lieblingspopanz" des ehemaligen Papstes. Bei einer umfassenderen Betrachtung trifft man auf ein Phänomen, das Ratzinger bereits als Chef der Glaubenskongregation, stärker noch in seiner Zeit als amtierender Pontifex beobachtete und zu bekämpfen versuchte. Denn dieser Zeitgeist ist für ihn der Relativismus, die negativste Erscheinung der westlichen Postmoderne. Was für einen Großteil der Gläubigen – auch der Bischöfe – die hinzunehmende Folge einer organischen Entwicklung ist, sieht Benedikt XVI. als Krankheit der Gesellschaft. Und deren Diagnose dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Joseph Ratzinger als erster Papst im 21. Jahrhundert gewählt wurde. Doch anders als noch im April 2005 macht er sich damit heute mehr Feinde als Freunde, was nun auch die deutlichen Reaktionen auf sein Gedenkwort zeigen.
Benedikt XVI. zeigt Sympathie für seinen Nachfolger
Doch es geht zu weit, nun auch eine Feindschaft zwischen dem amtierenden Papst Franziskus und Benedikt XVI. zu deklarieren. Wenn man dem Emeritus nicht unterstellen will zu lügen, kann man dies etwa in seinem bislang größten Bruch des Schweigens, seinen "Letzten Gesprächen" aus dem vergangenen Jahr nachlesen. Mit großer Zuneigung und Wohlwollen spricht er in diesem Interviewband über seinen Nachfolger und dessen Reformkurs in der Kirche. Wenn er heute nämlich das Boot "manchmal" kurz vor dem Kentern sieht, dann heißt das vor allem "mancherorts". Denn in seinem Interview erklärte Benedikt XVI., dass die frische Dynamik des Lateinamerikaners Franziskus für die Kirche auch deshalb notwendig sei, weil das schwächelnde Kircheneuropa keine "impulsgebende Kraft" mehr darstelle. Der alte Mann aus dem katholischen Herzen Bayerns sieht im anpackenden Franziskus vom anderen Ende der Welt vielleicht die gerade richtige Medizin gegen die Krankheiten der Zeit.
Sei es jedoch das jüngste Buch Benedikts XVI., seine Parteinahme für Sarah oder auch das – immerhin auf Initiative des Kölner Erzbischofs, Kardinal Rainer Maria Woelki, entstandene – Gedenkwort für den verstorbenen Meisner: Benedikt spricht stets auf Nachfrage, aber er schweigt nicht. Stattdessen pocht er weiter vehement auf das, was er seit jeher gefordert hat: Statt Anbiederung an den Zeitgeist brauche es umso festeren Glauben. Wie schon zu seinen aktiven Zeiten hört er dafür laufend Gegenrede. Und zu Recht muss sich Benedikt dafür kritisieren lassen, dass er sein gelobtes Schweigen nicht hält. Doch das allein macht aus seinen Mahnungen noch lange keine Kriegserklärung an die Kirche der Gegenwart.