"Manchmal auch unbequem und unkonventionell"
Frage: Pater Wilmer, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt. Was waren nach der Wahl die ersten Gedanken, die Ihnen durch den Kopf gegangen sind?
Wilmer: Als ich hörte, dass ich gleich im ersten Wahlgang die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht hatte, war ich doch sehr bewegt. Das hatte ich überhaupt nicht erwartet. Das ist ja schon ein besonderer Moment: Alle 78 Stimmen wurden nacheinander laut verlesen. Irgendwann wusste ich dann, dass es auf mich zuläuft. Es entfaltete sich eine Dynamik und ein Wille der Mitbrüder: "Ja, der soll es machen." Ich kenne ja viele der wahlberechtigten Mitbrüder persönlich. Jetzt haben sie großes Vertrauen in mich gesetzt.
Frage: Was sind Ihre künftigen Aufgaben als Generaloberer?
Wilmer: Vor allem leite ich natürlich die Ordensgemeinschaft. Dabei werde ich viel unterwegs sein. Rund die Hälfte seiner Zeit nutzt der Generalobere in der Regel, um die verschiedenen Provinzen, Regionen, und Distrikte des Ordens zu besuchen und den persönlichem Kontakt zu pflegen. Im Generalkapitel – einer Art Leitungsteam, das alle sechs Jahre zusammenkommt – wollen wir eine Vision für die Zukunft der Ordensgemeinschaft entwerfen. Pater Leo Dehon hat die Herz-Jesu-Priester 1878 ja aus der sozialen Frage heraus gegründet und sich für die Rechte der Arbeiter eingesetzt. Jetzt müssen wir klären: Wo sind wir heute gefragt?
Frage: Was dient Ihnen dabei als Inspiration?
Wilmer: Eine Persönlichkeit pusht uns dabei ganz deutlich: Papst Franziskus. Er benutzt das Adjektiv "barmherzig" so oft wie kein anderes Wort. Das gibt die Marschrichtung vor. Im Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" wünscht er sich eine 'verbeulte Kirche' – eine Kirche, die hinausgeht, die sich schmutzig macht, die keine Angst hat vor der Straße. Er will keine Kirche, die nur bei sich selbst bleibt, die Angst hat vor Konflikten und daran krank wird. Unser Gründer Leo Dehon hat ähnliches gesagt. Schon Ende des 19. Jahrhunderts appellierte er: "Geht heraus aus den Sakristeien".
Frage: Was sind vor diesem Hintergrund die Ziele Ihrer Amtszeit?
Wilmer: Es liegt mir sehr am Herzen, dass wir uns bewusst aufmachen zu Menschen, die am Rand stehen. Sei es wegen materieller Not, geistiger oder psychischer Probleme. Außerdem brauchen wir eine Antwort auf eine zunehmend globalisierte Welt. In Europa und überall auf der Welt soll es daher Ordenseinrichtungen geben, die von Anfang an multikulturell arbeiten. Bisher war es meist so, dass zum Beispiel Italiener oder Franzosen mit einem Projekt begonnen und dann andere Landsleute dazu geholt haben. Aber dass wir von Anfang an international starten, stellt Projekte auf ganz andere Füße – und ist übrigens auch nicht ganz leicht.
Frage: Sie haben die Spiritualität der Herz-Jesu-Priester einmal auf die Formel "Mystik und Politik" gebracht. Was heißt das?
Wilmer: Auf der einen Seite heißt das, eine innere Verwurzelung zu haben in Jesu Christus. Pater Dehon hat einen Satz aus dem Galaterbrief zitiert, in dem der Apostel Paulus sagt: "Nicht nur ich lebe, sondern Christus lebt in mir." Aus dieser Kontemplation, der tiefen Verbindung zu Jesus von Nazareth heraus agieren wir. Da wird es politisch und auch manchmal unbequem, unkonventionell, da bekommt unser Handeln Wucht. Ich spüre eine ganz andere Freiheit, wenn ich aus einer engen Gottverbindung auf die Welt zugehe. Politisch sein heißt, sich mutig einzumischen in gesellschaftliche Diskussionen. Heute haben die Menschen viel zu viel Angst, die Dinge beim Namen zu nennen.
Frage: Was heißt das konkret?
Wilmer: Das hängt vom Ort ab. In Afrika, beispielsweise in Kamerun, geht es uns neben Bildung und Alphabetisierung auch darum, die Kindersterblichkeit zu senken. Dazu braucht es zum Beispiel sauberes Wasser, junge Frauen brauchen Wissen über Hygiene und Ernährung. In Asien geht es uns um den interreligiösen Dialog: Christen, Buddhisten, Hinduisten, Muslime sollten friedlich miteinander leben. In Deutschland ist ein wichtiges Thema schlicht die Gesprächsseelsorge. Es kommen viele Menschen – katholisch, evangelisch, gar nicht gläubig –, die ein Gespräch suchen. Sie stehen vor einer Entscheidung bei Partnerwahl, leben in einer zerbrechlichen Beziehung, fragen sich: In welcher Stadt will ich leben, welchen Beruf will ich ergreifen. Dafür wollen wir Zeit haben.
Frage: Das Generalkapitel, das Sie wählte, tagt bis in den Juni, am Ende steht auch eine Audienz bei Papst Franziskus. Was wollen Sie da konkret mit dem Papst besprechen?
Wilmer: (lacht) Also, "Besprechen" ist ein bisschen zu hoch gehängt. Franziskus empfängt das Generalkapitel der Herz-Jesu-Priester in einer Art Audienz. Sowohl mein Vorgänger Pater José Ornelas Carvalho SCJ als auch ich werden dann sprechen. Wir werden Franziskus sagen, dass er uns inspiriert. Unser Treffen in Rom steht unter der Überschrift "Barmherzig in Gemeinschaft mit den Armen". Es findet seinen Impuls im Schreiben "Evangelii Gaudium" und vielleicht noch mehr in dem, wie er den Menschen begegnet.