Mehr als eine karitative Geste
Während man Johannes XXIII. auch in nichtkirchlichen Kreisen als genialen Erneuerer würdigt, wird Paul VI. zwar zugestanden, dass er für das Gelingen des Zweiten Vatikanum (1962-1965) maßgeblich verantwortlich war; ansonsten aber sehen ihn viele als Zauderer und halbherzigen Reformer, der das Rad der Geschichte mit der allzu oft auf das Thema "Pille" verkürzten Enzyklika "Humanae vitae" wieder zurückgedreht habe. Wie ungerecht dieses Urteil ist, zeigt das Ereignis, das vor 50 Jahren die Welt bewegte: Am 13. November 1964 legte Paul VI. feierlich die Tiara ab.
Zuvor war die die päpstliche Krone stets mehr als eine prächtige Kopfbedeckung. Seit dem Mittelalter war sie das herausragende Erscheinungsmerkmal des Papstes: die kegelförmige Haube mit den drei eingesetzten Ringkronen, die den Machtanspruch des Bischofs von Rom sinnfällig zum Ausdruck brachte.
Der weltliche Charakter der Tiara
Nach der Krönungsmesse folgte stets eine pompöse Übergabezeremonie vor den Augen der Bevölkerung auf dem Petersplatz. Sie oblag dem ersten unter den Kardinaldiakonen, der dabei stets die folgenden Worte sprach: "Empfange die dreifach gekrönte Tiara und wisse, dass Du der Vater der Fürsten und Könige, der Lenker des Erdkreises und der Vikar Jesu Christi, unseres Erlösers, auf Erden bist." Der weltliche Charakter der Tiara kam darin zum Ausdruck, dass sie nur bei höfischen Auftritten getragen wurde; bei Gottesdiensten dagegen trug der Papst die Mitra.
Die Tiaren erhielten die Päpste meist aus ihren Heimatdiözesen. So war es auch 1963, nachdem Giovanni Battista Montini, Kardinal und Erzbischof von Mailand, zum Papst gewählt worden war und den Namen Paul VI. angenommen hatte. Das Bistum Mailand gab eine Tiara in Auftrag, die den Geist der Zeit und das Wesen des neuen Amtsinhabers künstlerisch widerspiegeln sollte: ohne pompöses Dekor, nur spärlich mit schlichten Goldreifen und Edelsteinen besetzt und von einem futuristischen Zackenrelief umgeben. Insgesamt erinnerte das Stück an eine Raketenform, was der Tiara den Beinamen "Raumschiff" einbrachte. Eine Assoziation, die durchaus zu einem Papst des Raumfahrtzeitalters passte.
Moderner als sein Ruf
Dieser Papst war jedoch noch weitaus moderner, als die Mailänder erwartet hatten. Denn ein knappes Jahr später legte Paul VI. seine Tiara in einem feierlichen Akt auf dem Altar der Peterskirche ab. Danach schenkte er sie den amerikanischen Katholiken, um ihnen für ihre Spendenbereitschaft zu danken. Das geschah in der dritten Periode des Zweiten Vatikanischen Konzils, die das Problem der Armut in der Welt als Schwerpunktthema hatte.
Kardinal Spellmann nahm die Tiara mit nach New York, wo sie gewissermaßen auf Tournee ging, um Geld für karitative Zwecke, unter anderem für die Armen- und Sterbehäuser von Mutter Teresa, einzusammeln. Seit dem 30. Juni 1968 wird sie dauerhaft in der Memorial Hall des National Shrine of the Immaculate Conception in Washington aufbewahrt. Im vergangenen Jahr kehrte sie für kurze Zeit nach Europa zurück, um bei der Ausstellung "Pracht und Prunk der Päpste" im Utrechter Catharijneconvent die Besucher zu beeindrucken.
Doch die Trennung von der Papstkrone war mehr als eine karitative Geste. Sie brachte den Verzicht auf weltliche Macht zum Ausdruck und setzte damit einen endgültigen Schlussstrich unter die Herrschaftsansprüche des mittelalterlichen Papsttums. Pauls Nachfolger Johannes Paul I. und Johannes Paul II. sind diesen Weg weitergegangen. Sie verzichteten ganz auf eine Krönungsfeier mit Tiara und setzten an deren Stelle eine deutlich schlichtere Amtseinführung, bei der ihnen lediglich das Pallium, die weiße Schulterbinde der Erzbischöfe, überreicht wurde, was bei beiden insofern eine Doppelung darstellte, als sie dieses Attribut als Metropoliten von Venedig beziehungsweise Krakau bereits besaßen.
Benedikt XVI. (2005-2013) vollendete schließlich den Abschied von der Tiara, indem er auch im Papstwappen die Mitra an deren Stelle setzte. Somit wurde Franziskus der erste neuzeitliche Papst, der sich bei Amtsbeginn gar nicht mehr mit dem alten Machtsymbol der Päpste auseinandersetzen musste.
Von Guido Bee (KNA)