"Missionierung hat einen negativen Beigeschmack"
"Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19): Die christliche Missionstätigkeit gründet sich auf eben diesen Befehl des auferstandenen Jesus Christus. Jeder getaufte Christ ist demnach zur Verkündigung und Verbreitung des christlichen Glaubens, des Evangeliums aufgerufen. Und von Anfang an hat die Kirche den Missionsbefehl ernstgenommen. Missionierung wurde später jedoch auch zu einem Paradebeispiel für die dunkle Seite der Kirchengeschichte. Zum Weltmissionssonntag hat katholisch.de mit Markus Luber SJ, Leiter des Frankfurter Instituts für Weltkirche und Mission, über die Wandlung des Missionsbegriffs in der Geschichte und das heutige Missionsverständnis der Kirche gesprochen.
Frage: Pater Luber, prinzipiell ist die Verbreitung einer lebensbejahenden, frohen Botschaft – wie wir Christen sie haben – doch etwas Positives. Trotzdem haben Begriffe wie "Mission" und "Missionierung" für viele Menschen einen faden Beigeschmack. Warum dieser schlechte Ruf?
Luber: "Mission" im religiösen Kontext hat heute tatsächlich noch immer einen negativen Beigeschmack. Das hat sicherlich mit der Missionsgeschichte zu tun – mit Zwangsmissionierungen, wie es sie immer wieder gegeben hat, auch in Europa. Mein Eindruck ist aber, dass es gar nicht unbedingt die mittelalterlichen Szenarien sind, die die Leute da im Hinterkopf haben, sondern eher die jüngere Kolonialgeschichte – diese Verquickung von Mission und gewaltsamer Kolonialisierung. Historisch belastet ist der Missionsbegriff sicherlich auch durch die Judenmission, die aber noch einmal ein ganz eigenes Thema darstellt. Man muss bei den Begriffen heute jedoch differenzieren. Im Alltag fallen Sätze wie "Hör auf mich zu missionieren!" oder "Willst du mich etwa missionieren?": Das Verb "missionieren" hat da eine eindeutig negative Konnotation. Dagegen stelle ich fest, dass der Begriff "Mission" heute immer stärker auch in positiven Kontexten auftaucht.
Frage: Mittelalterliche Zwangsmissionierung, Kolonialpolitik: Trotz dieser späteren Negativentwicklung steht die "Mission" auch ganz am Anfang der Kirche. Ist das Christentum, wie wir es heute kennen, ohne die frühe, intensive Missionstätigkeit überhaupt denkbar?
Luber: Nein. Mission war von Anfang an fester Bestandteil kirchlichen Lebens. Dieser Impetus am Anfang der Kirche, rauszugehen und nicht auf Israel begrenzt zu bleiben, der ist für das Christentum, wie wir es heute kennen, konstitutiv. Schauen wir in die Bibel, gab es bei Jesus Christus ja anfangs noch die Frage, ob das Heil allen gilt oder nur dem Haus Israel. Später ergeht von ihm dann der Missionsbefehl: Geht hinaus zu allen Völkern. Und bei Paulus wird die Notwendigkeit des Rausgehens als Ausdruck der Universalität der christlichen Botschaft dann ganz deutlich. Ohne die Missionsreisen der Apostel keine Ausbreitung des Christentums im damaligen Römischen Reich und darüber hinaus. Das Missionarische prägt das Christentum seit Beginn.
Frage: Während die Apostel die Menschen durch Worte überzeugen konnten, ging die Kirche aber später dazu über, den Glauben auch "mit dem Schwert" zu verbreiten. Warum dieser Wandel?
Luber: Im vierten Jahrhundert hatte sich die Kirche soweit etabliert, dass das Christentum Staatsreligion wurde. In der Folge wuchs die Versuchung, die eigene Sache auch mit Unterstützung der staatlichen Gewalt voranzutreiben und durchzusetzen. Ein Muster, das sich in der Kirchengeschichte öfter wiederholt hat. Man muss aber im Einzelfall konkret schauen, wie stark der Anteil an mit staatlicher Unterstützung durchgesetzter Missionierung tatsächlich war. Es ist nämlich so, dass die anderen Missionswege – also die Mund-zu-Mund-Weitergabe des Glaubens oder die friedliche Mission in Form von Katechese –, auch in diesen Zeiten nicht einfach erloschen sind. Die gab es also weiterhin. Aber ganz klar: Das neue Verhältnis von Kirche und Staat hat auch das Missionsverständnis und die Missionspraxis verändert – in Richtung Zwang und Gewalt.
Frage: Wie genau versteht die Kirche demgegenüber "Mission" heute?
Luber: Es ist vor allem ein dialogisches Missionsverständnis. Wichtig dafür sind die Respektierung der Religionsfreiheit und die Anerkennung der anderen Religionen – Früchte des Zweiten Vatikanums. Dass man sich also nicht mehr nur als ein Gegenüber versteht und sich allein in dieser Schablonierung von Wahr und Falsch begegnet. Dafür ist auch die im Dokument "Dei Verbum" formulierte Offenbarungstheologie wichtig: Wenn Gott mit den Menschen kommuniziert, dann können auch Missionare, wenn sie die Botschaft weitertragen, das nur über Kommunikation und Dialog tun, und nicht mit Zwang. Nicht zuletzt ist eine Zusammenschau von Inhalt und Praxis konstitutiv. Das betrifft die Entwicklungshilfe in den Missionsländern, Hilfe im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich, überhaupt im humanitären Bereich. Zeugnis von unserem Glauben also nicht nur im Wort, sondern auch in der Tat zu geben – das meint Mission heute.
Frage: Hierzulande dürfte den Menschen im Zusammenhang mit Gewalt schnell die Missionierung der Germanen, vor allem in den Sachsenkriegen Karls des Großen, in den Sinn kommen…
Luber: Das ist ein berühmtes Beispiel für die erwähnten Gewaltmomente. Es ging in erster Linie um territoriale Expansion, bei der aber die Verquickung von politischer Macht und religiösen Momenten deutlich wird. Die Eingliederung der Sachsen in das Fränkische Reich und die Christianisierung der heidnischen Gebiete gingen da Hand in Hand. Die Denkweise war dabei folgende: Zur vollständigen Assimilierung gehört auch die religiöse Assimilierung der Menschen. Zwangskonversion wurde dabei ein Mittel, um die Menschen auch politisch zu unterwerfen. Und die sich nicht unterwerfen wollten, mussten mit ihrem Leben zahlen oder sie wurden zwangsgetauft. Allerdings muss das alles vor dem Hintergrund eines Gesellschaftsmodells gesehen werden, in dem Politik, Kultur und Religion nicht fein säuberlich getrennte Sphären darstellten.
„Das biblische Zeugnis, die Lehre der Kirchenväter, die christliche Botschaft als Botschaft des Friedens: Das alles ist mit gewaltsamer Missionierung prinzipiell unvereinbar.“
Frage: Jetzt könnte man die These aufstellen: Ohne die Missionierung der Germanen wäre Deutschland heute noch heidnisch. Kann man das brutale Vorgehen deshalb aus heutiger Sicht als "notwendiges Übel" bezeichnen?
Luber: Nein. Da gilt der alte Grundsatz: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Man muss zwar immer die geschichtlichen Zusammenhänge betrachten und kann nicht allein von unserem heutigen Standpunkt aus werten. Aber das biblische Zeugnis, die Lehre der Kirchenväter, die christliche Botschaft als Botschaft des Friedens: Das alles ist mit gewaltsamer Missionierung prinzipiell unvereinbar. Und das hätte sich auch im Gewissen der damaligen, sich christlich nennenden Herrscher niederschlagen müssen. Man kann das Vorgehen somit historisch nicht entschuldigen. Aber dass die Sachsen durch das Schwert unterworfen wurden, ist auch nicht die ganze Missionsgeschichte. In Deutschland hatten wir schon sehr viel früher christlich geprägte Städte wie Trier, Köln, Regensburg oder Mainz. Oder denken Sie an die Kulturarbeit der Klöster. Das Christentum hätte hier also durchaus auch ohne die Zwangsmissionierung Fuß gefasst.
Frage: Ein weiteres dunkles Kapitel der Missionsgeschichte war die Verbindung von Mission und gewaltsamer Kolonialisierung ab dem 16. Jahrhundert…
Luber: Bei der neuzeitlichen, europäischen Expansion – an erster Stelle betrifft das die heutigen lateinamerikanischen Länder und die Karibik – kamen neben Abenteurern und Kaufleuten auch sehr schnell Ordensleute in die Neue Welt, um das Christentum dort zu verbreiten. Da herrschte teilweise die Vorstellung, dass die Vorsehung den amerikanischen Kontinent als einen Ersatz für kirchliches Wachstum eröffnet hat, nachdem man in Europa ganze Länder an die Reformation verloren hatte. Die indigene Bevölkerung, die teils vertrieben, teils getötet, teils versklavt wurde, hat dann sehr schnell die Gewalt der Konquistadoren allgemein mit "den" Christen gleichgesetzt. Und in der Tat gab es wie im Mittelalter auch hier die Verquickung von staatlicher Gewalt und kirchlicher Etablierung. Aber es gab auch Beispiele wie den Dominikaner Bartolomé de Las Casas, der die Stimme gegen diese kolonialen Praktiken erhoben hat. Er machte deutlich: Mit dem Geist des Evangeliums ist das alles nicht vereinbar. Oder die Reduktionen der Jesuiten, die Zufluchtsorte geschaffen haben, an denen die Indios dem Zugriff der Kolonialmächte Spanien und Portugal und der Sklavenhändler entzogen waren. Das waren auch Widerstandsakte gegen staatliche Gewalt.
Frage: Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich der Missionsbegriff dann grundlegend gewandelt. Warum ging man zu einer anderen Vorstellung über?
Luber: In der Tat war das Zweite Vatikanum der Ort, an dem ein neues Missionsverständnis dokumentiert wurde. Hier waren erstmals in größerem Maße Bischöfe aus den Missionsländern auf einem Konzil präsent. Und die brachten ihren Kontext mit und führten ihren noch immer dominierenden europäischen Amtskollegen die weltkirchliche Realität vor Augen. Dass beispielsweise in Indien Christen eine kleine Minderheit bilden und mit anderen, dominierenden Religionsgemeinschaften koexistieren. Sie lebten somit im Alltag bereits ein ganz anderes Verhältnis, das sich mit dem alten Anspruch, die ganze Welt christianisieren zu können, nicht vereinbaren ließ. Die Vertreter aus den Missionsgebieten hatten also ihren entsprechenden Einfluss. Außerdem wurde auf dem Konzil ein anderes Selbstverständnis der Kirche entwickelt, ein Dekret zur Religionsfreiheit verabschiedet und die Erklärung "Nostra aetate" abgegeben, die das Verhältnis zu den nicht-christlichen Religionen neu bestimmte: Entsprechend musste auch die Idee der christlichen Mission neu definiert werden.
Frage: In Deutschland spielen Glaube und Religion eine immer geringere Rolle. Brauchen wir hierzulande wieder eine neue Missionsbewegung im Sinne einer Glaubenserneuerung und wie könnten diese aussehen?
Luber: Die Situation stellt sich ja nicht einheitlich dar – allein im Vergleich Ost- und Westdeutschland. An manchen Orten braucht es eine Glaubenserneuerung. An anderen muss man ganz von vorne anfangen im Sinne einer Erstverkündigung. Papst Franziskus sagt: Mission erwächst aus der Freude am Evangelium. Und er meint damit Folgendes: Das Evangelium muss mich erst emotional berühren, bevor es in meinem Leben eine wirkliche Rolle spielen kann. Und das ist auch hierzulande unsere Aufgabe: den Menschen Räume zu eröffnen, in denen sie ihre Erfahrungen mit dem Evangelium machen. Dafür müssen wir die ganze Palette an Möglichkeiten nutzen – sei es die traditionelle Face-to-Face-Verkündigung, seien es kirchliche Internetplattformen und Social-Media-Kanäle, seien es Events wie Katholiken- oder Weltjugendtage. Und natürlich muss die Kirche zu politischen und gesellschaftlichen Themen weiter und verstärkt ihre Stimme erheben. Dann werden die Menschen hellhörig und merken: Die haben wirklich etwas zu sagen und ihre Botschaft ist auch für unser Leben heute noch relevant.