Enthüllungsjournalist Nuzzi hatte über "Preseminario San Pio X" berichtet

Nach Missbrauchsvorwurf Ermittlungen im Vatikan

Veröffentlicht am 18.11.2017 um 17:40 Uhr – Lesedauer: 
Vatikan

Vatikanstadt ‐ Mehrere Medien hatten über einen möglichen Missbrauch unter Seminaristen des Jugendseminars "San Pio X" auf vatikanischem Boden berichtet. Nun sollen die schwerwiegenden Vorwürfe aufgeklärt werden.

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Der Vatikan hat nach jüngsten Berichten über sexuellen Missbrauch in einem Jugendseminar auf vatikanischem Boden Ermittlungen aufgenommen. Das teilte der Heilige Stuhl am Samstag mit. "Unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse, die sich jüngst ergaben, ist eine neue Untersuchung im Gang, um völliges Licht in die tatsächlich vorgefallenen Ereignisse zu bringen", erklärte das vatikanische Presseamt.

Zeuge: Mutmaßlicher Täter wurde zum Priester geweiht

Der italienische Autor Gianluigi Nuzzi hatte in einem Buch Berichte über mutmaßlichen Missbrauch Minderjähriger im vatikanischen "Preseminario San Pio X" öffentlich gemacht. Der italienische Sender "Italia 1" griff diese Vorwürfe vergangenes Wochenende in der Sendung "Le Iene" ("Die Hyänen") auf.

In dem TV-Beitrag sagte ein ehemaliger Ministrant, sein Zimmernachbar sei vor seinen Augen mehrfach von einem Seminaristen sexuell missbraucht worden. Die Ereignisse sollen sich vor etwa zehn Jahren zugetragen haben, er habe diese später beim geistlichen Leiter angezeigt und sei daraufhin der Bildungseinrichtung für angehende Seminaristen verwiesen worden. Der mutmaßliche Täter sei 2017 zum Priester geweiht worden, obwohl die Vorwürfe gegen ihn bekannt gewesen seien. In dem im Seminar "San Pio X" werden Jungen im Alter von 11 bis 14 Jahren auf eine mögliche spätere Ausbildung als Priester vorbereitet.

Themenseite: Missbrauch

Der Missbrauchsskandal erschütterte die katholische Kirche in ihren Grundfesten. Seit 2010 die ersten Fälle bekannt wurden, bemüht sich die Kirche um Aufarbeitung der Geschehnisse. Katholisch.de dokumentiert die wichtigsten Etappen.

Zu den Vorwürfen heißt es in der Vatikanmitteilung, im Jahr 2013 seien nach dem Eingang anonymer wie nicht anonymer Hinweise mehrfach Untersuchungen zu dem Fall aufgenommen worden, sowohl durch die Leitung des Seminars, als auch durch den Bischof von Como, da sein Bistum für die Ausbilder verantwortlich sei. Damals seien jedoch keine "entsprechenden Bestätigungen" gefunden worden. Die angezeigten Taten hätten sich auf vergangene Jahre bezogen und Schüler betroffen, von denen einige zum Zeitpunkt der damaligen Untersuchungen nicht mehr am Institut waren.

Der heutige Bischof von Como, Oscar Cantoni, mahnte unterdessen Ehrlichkeit an. Es gehe darum, "die Realität zu sehen, ohne auf den aussichtslosen Versuch zurückzugreifen, irgendetwas verheimlichen zu wollen", schrieb er am Wochenende in einem Brief an seine Diözese. Aus dem Schreiben zitierte die italienische Tageszeitung "Avvenire" am Sonntag. Der Bischof mahnte zugleich, keine Gefühle von Verdacht und "Alarmismus" zu nähren, solange "die sichere Wahrheit" nicht herausgefunden worden sei.

In seinem Buch mit dem Titel "Peccato originale" (dt. Sündenfall) zitiert Nuzzi unter anderem aus Briefen des Zeugen Kamil Tadeusz Jarzembowski an kirchliche Verantwortungsträger, in denen dieser über die Vorwürfe berichtet, sowie aus einigen Antwortschreiben.

Nuzzi ist in Italien als Enthüllungsjournalist bekannt. 2012 hatte er mit der Publikation vertraulicher Dokumente aus der Kurie den ersten sogenannten "Vatileaks"-Skandal ausgelöst. Im Herbst 2015 veröffentlichte er ein Buch über Geldverschwendung in der Kurie. Dafür wurden er und sein Kollege Emiliano Fittipaldi, der zeitgleich ein Buch zum selben Thema herausbrachte, im Vatikan vor Gericht gestellt, aber freigesprochen.

Messdiener im Petersdom

Das "Preseminario San Pio X" ist ein 1956 gegründetes Konvikt mit Sitz im Vatikan, unweit des Vatikangästehauses Santa Marta. Es nimmt Mittelschüler auf, die am Beruf des Priesters interessiert sind. Laut eigenen Angaben wurden mehr als 80 Besucher der Einrichtung später Priester oder Ordensleute. Eine Besonderheit ist, dass die Schüler als Messdiener im Petersdom eingesetzt werden. (gho/dpa/KNA)

19.11.2017, 11.30 Uhr: ergänzt um Statement des Bischofs von Como