Neue Ansätze für Ehe- und Sexualmoral
In ihrer Auswertung stellen die deutschen Bischöfe fest, dass es eine "große Differenz zwischen den Gläubigen und der offiziellen Lehre " der Kirche gebe. Dies betreffe vor allem die Themen wiederverheiratete Geschiedene, Verhütung und Homosexualität. In all diesen Bereichen werde die kirchliche Lehre nur von wenigen Gläubigen verstanden oder akzeptiert.
Bischöfe: Neuansatz bei Beurteilung von gescheiterten Beziehungen
Als Gegenmittel empfiehlt die Bischofskonferenz, die Kirche solle sich so äußern, dass sie vom "Vorurteil der Leibfeindlichkeit und einer lebensfeindlichen Gesetzesethik" befreit werde. Es komme darauf an, "die zentrale Botschaft der Kirche von Ehe und Familie in ihrer unbedingten Bejahung des Lebens und des Leibes in einladender Weise zu vermitteln". Auch sei ein "Neuansatz" bei der Beurteilung des Scheiterns menschlicher Beziehungen notwendig, weil die Gläubigen die Argumente der Kirche in dieser Frage "nicht mehr verstehen". Für die Weltbischofssynode im Oktober empfiehlt die Konferenz eine aktive Beteiligung von Eheleuten und Familien an den Vorbereitungen sowie an den Beratungen der Synode.
In dem 18 Seiten langen Papier kritisiert die Bischofskonferenz vatikanische Dokumente und Verlautbarungen zum Thema Ehe und Familie. Sie seien durch ihren "sprachlichen Duktus und ihren autoritativen Ansatz nicht dazu angetan, das Verständnis der Gläubigen zu wecken und zu finden" Die eigenen Bemühungen der katholischen Kirche in Deutschland um Beratung und Hilfe für Eheleute und Familien werden in dem Papier hervorgehoben, insbesondere unter Verweis auf die zahlreichen Beratungsstellen und die aktive Familienpastoral.
Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis
Zugleich stellt die Konferenz selbstkritisch fest: "Die kirchliche Lehre über Ehe und Familie spielt in der Jugendarbeit eine nur geringe Rolle. Nur vereinzelt wird in Predigten auf das katholische Familienbild Bezug genommen." Zudem erschwerten die Säkularisierung der Gesellschaft und die Erfordernisse des flexiblen Arbeitsmarktes das Beten und das religiöse Leben in den Familien.
Ein Auseinanderklaffen von kirchlicher Lehre und Praxis stellt das Papier auch beim Thema Empfängnisverhütung fest. Das 1968 in der Enzyklika "Humanae vitae" formulierte Verbot künstlicher Verhütungsmethoden werde "von der großen Mehrheit der Katholiken als unverständlich abgelehnt und in der Praxis nicht beachtet". Verhütung werde von den Katholiken nicht als sündhaft betrachtet und sei auch nicht Gegenstand der Beichte. Anders bei der Abtreibung: Sie werde im Einklang mit dem Lehramt "von der großen Mehrheit der Katholiken abgelehnt".
Gläubige verstehen Ausschluss von Sakramenten nicht
Den Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten können laut dem Papier die meisten deutschen Katholiken "nicht nachvollziehen". Sie forderten stattdessen eine "Pastoral des Respekts vor der Gewissensentscheidung des Einzelnen und einen barmherzigen Umgang mit Scheitern, der auch die Wiederzulassung zu den Sakramenten ermöglicht". Vorschläge, zerbrochene Ehen durch Nichtigkeits-Verfahren im Nachhinein zu annullieren, lehnten die meisten betroffenen Katholiken ab. Sie betrachteten ihre Ehe keineswegs als "nichtig", sondern als gescheitert.
Ein differenziertes Bild hat die Umfrage mit Blick auf die rechtliche Stellung homosexueller Lebensgemeinschaften ergeben. So betrachte eine Mehrheit der deutschen Katholiken es als ein "Gebot der Gerechtigkeit", solche Lebensgemeinschaften rechtlich anzuerkennen und Homosexuelle zu respektieren. Eine Öffnung des Rechtsinstituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften werde hingegen unter Katholiken "überwiegend abgelehnt".
Gesamtgesellschaftlich erwartet die Deutsche Bischofskonferenz eine Diskussion darüber, ob die eingetragene Partnerschaft und die Ehe "in ein einziges Rechtsinstitut überführt werden sollen", das dann für hetero- und homosexuelle Paare offensteht. Hierzu nehme die katholische Kirche in Deutschland eine "deutlich ablehnende und warnende Haltung" ein. (KNA)