Nicht nur das Idealbild sehen
In insgesamt 46 Fragen zu den unterschiedlichsten Aspekten von Ehe und Familie hatte sich der Vatikan an die Gläubigen gewandt, um ihre Ansichten zu erfahren.
Kritik an Sprache und Umfang des Fragebogens
Deutliche Kritik übten sie an der schwer verständlichen Sprache und am Umfang des Fragebogens, heißt es in der am Montag veröffentlichten Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). In den diözesanen Rückmeldungen seien deshalb auch die Erfahrungen der Fachleute für Ehe- und Familienpastoral, der Familienbildungsstätten und der bischöflichen Beratungsgremien einbezogen worden.
Die Formulierungen gingen laut Umfrage zudem zu sehr von einem Idealbild der Familie aus, das den sozialen Realitäten in Deutschland nicht gerecht werde. Dadurch fände die Umfrage auch keine "wertschätzenden Sprache für Beziehungsformen, die weder dem kirchlichen Ideal entsprechen noch innerlich in jedem Fall auf Ehe und Familie hin orientiert sind".
Die Gläubigen sind weder mit dem bisherigen Umgangen mit wiederverheiraten Geschiedenen noch mit der kirchlichen Einstellung zu gemischtkonfessionellen Ehen und sogenannten Zivilehen zufrieden. Viele Katholiken erwarten von der Kirche in diesen Bereichen konkrete Veränderungen. Kritisch beurteilen sie außerdem, dass die Frage nach gelebten homosexuellen Partnerschaften genauso wenig gestellt wird wie die Fragen nach Methoden der Empfängnisregelung. Die waren im ersten Fragebogen noch Thema und werden von den Gläubigen "als eine der Hauptursachen für die Kluft zur kirchlichen Lehre" gesehen.
Gläubige: Auch Zivilehen werschätzen
Die Frage nach dem Umgang mit Katholiken, die nur standesamtlich verheiratet sind, fand nach Angaben der deutschen Bischöfe einen besonders großen Widerhall. "Eine Pastoral, die in diesen Verbindungen nur einen sündhaften Weg sieht und entsprechend zur Umkehr aufruft, ist nicht hilfreich, da sie im Widerspruch zu den positiven Erfahrungen steht, die die Paare in diesen Lebensgemeinschaften machen", fasst die DBK die Stoßrichtung der Rückmeldungen zusammen.
Die Gläubigen wiesen darauf hin, dass auch in Beziehungen ohne Trauschein und in zivilen Ehen Werte wie Liebe, Treue, Verantwortung füreinander und für Kinder gelebt würden. Vor diesem Hintergrund müsse auch das Ehesakrament neu bewertet werden. Es sei "vor allem als Geschenk zu verkünden, dass das Ehe- und Familienleben bereichert und stärkt, und weniger als ein zu verwirklichendes Ideal".
Sollten Wiederverheiratete zur Kommunion zugelassen werden?
Wie bereits im vergangenen Jahr, ist den Gläubigen der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ein großes Anliegen. Das betrifft insbesondere die Zulassung zur Kommunion. Der Ausschluss von den Sakramenten steht laut Angaben der DBK "für den weitaus größeren Teil der Katholiken in Widerspruch zu ihrer Glaubensüberzeugung, dass Gott jede Sünde verzeiht, die Chance der Umkehr eröffnet und einen Neubeginn im Leben ermöglicht". Die Gläubigen wünschen sich jedoch keine "im Verborgenen vollzogenen pastoralen Ausnahmen, sondern strukturelle Lösungen".
Dabei gehe es nicht um eine generelle, sondern eine an Kriterien gebundene Zulassung von Wiederverheirateten zur Kommunion. Insgesamt spielt das Thema "wiederverheiratete Geschiedene" aus Sicht der Gläubigen eine Schlüsselrolle für die Synode im Herbst im Vatikan: "Die Erwartung, dass die Bischofssynode in diesem Punkt neue Wege der Pastoral eröffnet, ist unter den Gläubigen sehr hoch." Hier gehe es um die Glaubwürdigkeit der Kirche.
Ähnlich ist das Echo auf die Fragen zu den gemischtkonfessionellen Ehen. Auch hier wünschen sich die Gläubigen, dass nicht-katholische Partner stärker in das Gemeindeleben eingebunden wird – bis hin zur Zulassung zu den Sakramenten. Den Ausschluss von der Kommunion bewerten sie als "Hindernis" für das Glaubensleben der Familie.
Keine moralischen Ermahnungen
Beim Themenkomplex "Homosexuelle" zeigt sich die Kritik an der Formulierung des Fragebogens. Hier wird in den Fragen von "homosexuellen Tendenzen" gesprochen, was die Leser als diskriminierend wahrgenommen haben. "Die meisten Katholiken akzeptieren homosexuelle Beziehungen, wenn die Partner Werte wie Liebe, Treue, gegenseitige Verantwortung und Verlässlichkeit leben, ohne deshalb homosexuelle Partnerschaften mit der Ehe gleichzusetzen", heißt es in der Zusammenfassung.
Auf die Fragen, wie mit dem Rückgang der Geburten begegnet werden könnte, wird vor dem sprichwörtlichen erhobenen Zeigefinger gewarnt: "Im Sinn einer moralischen Ermahnung an die Verantwortung für die Weitergabe des Lebens zu appellieren, erweist sich in dieser Situation als wenig hilfreich. Sich ein Kind zu wünschen, ist eine höchstpersönliche Angelegenheit zweier sich liebender Menschen", lautet der Tenor ihrer Antworten. Gleichzeitig lehne eine Großzahl der kirchennahen Katholiken Abtreibung ab. Außerdem wird in den Antworten auf den Fragebogen deutlich, dass die Angebote der katholischen Kirche im Bereich der Kindererziehung ein hohes Ansehen genießen – von Kindertagesstätten bis hin zu Hochschulen und kirchlichen Handreichungen zum Thema.
Liebe, Treue, Vertrauen als zentrale Werte
Allgemein sehen die deutschen Bischöfe die aktuelle Familienpastoral der Kirche mit einem deutlich wahrnehmbaren Zwiespalt konfrontiert: hohe Wertschätzung von Partnerschaft, Elternschaft und Familie auf der einen und der Rückgang staatlicher und kirchlicher Eheschließungen auf der anderen Seite. Das fordere die Kirche dazu heraus, das Evangelium von der Familie neu zu verkünden und dabei "die Erfahrungen und sittlichen Überzeugungen der Familien und der Seelsorger zu berücksichtigen". Dafür gelte es, sich von Überheblichkeit freizumachen und eine sensible und demütige Sprache zu finden.
Als zentrale Werte von Ehe und Familie nennen die Gläubigen Liebe, Treue, Vertrauen, gegenseitige Hilfe und Unterstützung – auch in Zeiten langer Krankheit oder Not –, Sicherheit und Verlässlichkeit, Wertschätzung und respektvolle Akzeptanz. Eine kirchliche Pastoral und Ehekatechese könne deshalb auf offene Ohren stoßen, wenn sie den Menschen – ausgehend von ihrer jeweiligen Lebenssituation – beim Gelingen einer Paarbeziehung unterstützt, heißt es in der Stellungnahme. Obwohl es bereits gute kirchliche Angebote zur Stärkung der Paarkommunikation gebe, sollen künftig verstärkt Ehepaare mit in die Familienpastoral einbezogen werden, die bereits lange verheiratet sind, um von ihren Erfahrungen zu berichten.
Mehr Präsenz für das Thema Ehe gefordert
Die deutschen Bischöfe halten außerdem fest, dass das Bewusstsein der Familie als "Hauskirche" in Deutschland nicht sehr stark ausgeprägt ist. Deshalb müsse die Ehe als Thema in den Gemeinden präsenter sein: beispielsweise in der Predigt, in Gebetstexten und Fürbitten, aber auch in speziellen Gottesdiensten etwa für Ehejubilare oder in Segnungen von Ehepaaren und Familien. Auch bedürfe es einer "selbstkritischen Reflexion der Lehre und Verkündigung dahingehend, ob die aus früheren Jahrhunderten stammende Abwertung der ehelichen gegenüber der zölibatären Lebensform bereits hinlänglich aufgearbeitet ist".
Zeitgleich bedürfe es auch der Stärkung, Förderung und Weiterentwicklung einer spezifisch ehelichen und familiengemäßen Spiritualität, "die den Eheleuten hilft, aus der Gnadenquelle des Ehesakraments heraus ihre Sendung in Kirche und Welt zu erfüllen". Allerdings würden gemeinsame Rituale, den Glauben im Alltag zu leben, durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen erschwert, sodass es häufig nicht einmal mehr gemeinsame Mahlzeiten gebe und gemeinsame Zeit in der Familie zum knappen Gut werde. Hier müsse die Kirche Anregungen und Hilfen geben. Das gelte jedoch nicht nur für die klassische Familie, sondern ebenso für alleinerziehende Mütter und Väter, unverheiratete Paare, Patchwork-Familien und Ehen in Krisensituationen.
Von Gabriele Höfling und Björn Odendahl