Nur Lippenbekenntnisse?
Emiliano Fittipaldi ist im Vatikan berüchtigt. Vergangenen Sommer saß der italienische Enthüllungsjournalist noch auf der Anklagebank im Gerichtssaal hinter dem Petersdom, weil er vertrauliche Unterlagen veröffentlichte. Mit seinem neuen Werk "Lussuria", zu deutsch "Wollust" oder "Unzucht", klagt er nun den Vatikan an. Sein Vorwurf: Papst Franziskus rede zwar von einer "Null-Toleranz-Strategie", im Vatikan und in der katholischen Weltkirche werde sexueller Missbrauch durch Priester jedoch bis heute weiter systematisch vertuscht.
Das rund 200-seitige Werk, das am Donnerstag in den italienischen Buchhandel kam, enthält keine spektakulären Neuigkeiten oder Überraschungen. Der Redakteur der Zeitschrift "L'Espresso" stützt sich weitgehend auf bereits bekannte Informationen. Anders als in seinem vorherigen Buch über die vatikanischen Finanzen kann Fittipaldi diesmal offenbar kaum auf interne vatikanische Unterlagen zurückgreifen.
Die Vertuschungsvorwürfe ausführlich behandelt
Ausführlich behandelt das Buch die Vertuschungsvorwürfe, die gegen drei Kardinäle erhoben werden, die Papst Franziskus besonders nahestehen: Der Australier George Pell, Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats, Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras und Francisco Javier Errazuriz Ossa aus Chile. Alle drei gehören dem Kardinalsrat an, der Franziskus bei der Kurienreform und der Leitung der Weltkirche berät. Die Vorwürfe sind bekannt, die Beschuldigten bestreiten sie, ein abschließendes Urteil aus der Ferne fällt schwer, es bleibt ein unguter Beigeschmack. Pell wies Fittipaldis Darstellung in einer Mitteilung bereits umgehend zurück.
Dem Vatikan selbst wirft Fittipaldi vor allem vor, dass er Bischöfe nicht generell dazu verpflichtet, Verdachtsfälle von sexuellem Missbrauch den staatlichen Behörden anzuzeigen. Bischöfe sind nach den geltenden vatikanischen Normen nur dann dazu verpflichtet, wenn die Gesetze ihres Landes dies vorschreiben. Zudem beruft sich Fittipaldi auf einen Bericht der UN-Kinderschutzkommission aus dem Jahr 2014, der den Vatikan scharf kritisierte. Der Bericht wies allerdings nachweislich Fehler und Ungenauigkeiten auf, die auch von nichtkirchlichen Beobachtern beanstandet wurden. Fittipaldi stört das anscheinend nicht. Die journalistische Sorgfalt kommt hier wie auch sonst in seinem Buch oft zu kurz.
Linktipp: Enthüllungsbuch: Italiens Kirche vertuscht Missbrauch
2015 hatte er mit seinem Buch über die vatikanischen Finanzen die zweite "Vatileaks"-Affäre ausgelöst. In seinem neuen Werk erhebt Emiliano Fittipaldi nun schwere Vorwürfe gegen die Kirche Italiens.Kein gutes Haar lässt Fittipaldi auch an der päpstlichen Kinderschutzkommission. Abgesehen von dem Vorschlag, einen Gebetstag für Missbrauchsopfer einzuführen und einigen Workshops habe das Gremium bislang so gut wie nichts bewegt, lautet sein vernichtendes Urteil. Der deutsche Jesuit Hans Zollner, Mitglied des Gremiums, wies die Vorwürfe am Donnerstag zurück. Fittipaldis Einlassungen zu der Kommission wimmelten von Fehlern, Ungenauigkeiten und Vermutungen, sagte der Leiter des Kinderschutzzentrums der Päpstlichen Universität Gregoriana der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Zweifellos legt Fittipaldi den Finger jedoch in manch offene Wunde. So erinnert er etwa daran, dass der Vatikan im Juni 2015 offiziell die Einrichtung eines Gerichts für Bischöfe ankündigte, die sexuellen Missbrauch vertuschen. Dann folgte jedoch rund ein Jahr später ein päpstlicher Erlass, der zwar die Möglichkeit schuf, Bischöfe kirchenrechtlich zu sanktionieren, die im Kampf gegen sexuellen Missbrauch ihre Sorgfaltspflicht verletzten - von einem eigenen Gericht, das diese Fälle entscheidet, war allerdings keine Rede mehr. Die Gründe blieben offen. Die Entscheidung über solche Fälle liegt also weiter beim Papst. Das ist nach den Worten Fittipaldis aber für Missbrauchsopfer inakzeptabel.
Ein "System" der Vertuschung
Besonders hart geht Fittipaldi mit der katholischen Kirche seines Heimatlandes Italien ins Gericht: Auf der Apenninhalbinsel sieht er weiter ein "System" der Vertuschung von sexuellem Missbrauch am Werk. Dass die Italienische Bischofskonferenz bislang nicht zur Avantgarde im Kampf gegen sexuellen Missbrauch gehört, ist ein offenes Geheimnis. Auch wenn in Fittipaldis Buch das meiste nicht neu, vieles verkürzt und einiges falsch ist: Es führt trotz allem vor Augen, dass die katholische Kirche im Kampf gegen sexuellen Missbrauch noch viel tun muss.
Interview mit dem deutschen Jesuiten Hans Zollner
Der deutsche Jesuit Hans Zollner ist Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission. Er weist die Vorwürfe Fittipaldis im Interview zurück.
Frage: Der Autor Fittipaldi wirft dem Vatikan schwere Versäumnisse im Kampf gegen sexuellen Missbrauch vor. Franziskus rede zwar viel über eine "Null-Toleranz-Strategie", tatsächlich blieben jedoch weiter viele Täter unbehelligt. Was sagen Sie dazu?
Zollner: Das Buch wimmelt von Fehlern, Ungenauigkeiten und Vermutungen. Es scheint mir zudem nicht auf dem aktuellen Stand zu sein. Es nimmt nur die Entwicklung bis 2014 oder Anfang 2015 zur Kenntnis. Das kann ich in jedem Fall für die Passagen über die päpstliche Kinderschutzkommission sagen, der ich ja selbst angehöre. Es gilt nach meinem Eindruck aber auch für weite Teile des Buches insgesamt. Das Anliegen Fittipaldis, die Kirche zu einem entschlossenen Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch zu ermahnen, ist sicher gut und richtig. Doch es wird durch diese Mängel diskreditiert.
Frage: Können Sie konkrete Fehler benennen?
Zollner: Fittipaldi schreibt etwa, die Kommission habe sich bislang nur dreimal getroffen und erweckt den Eindruck, wir seien nahezu untätig und erfolglos gewesen. Richtig ist hingegen: Wir haben seit ihrer Gründung acht Sitzungen gehabt, zudem dutzende Sitzungen in den Arbeitsgruppen. Hinzu kommen zahlreiche Workshops weltweit, die jedes Mitglied veranstaltet hat. Der Papst hat viele unserer Vorschläge aufgegriffen. So etwa die seit September bestehende Möglichkeit einer kirchenrechtlichen Sanktionierung von Bischöfen, die ihrer Sorgfaltspflicht im Kampf gegen sexuellen Missbrauch nicht nachkommen.
Frage: In dem Buch werden etliche Fälle genannt, in denen Priester, die wegen sexuellem Missbrauch vorbestraft oder verdächtigt waren, weiter in der Seelsorge eingesetzt wurden. Fittipaldi erhebt hier schwere Vorwürfe gegen die Glaubenskongregation. Wie kann das sein?
Zollner: Zu einzelnen Fällen kann ich nichts sagen. Das müsste ein Vertreter der Glaubenskongregation tun. Die Fälle, die Fittipaldi nennt, sind allerdings nicht neu. Über sie wurde bereits in den Medien berichtet.