Umstritten, streitlustig, standhaft
De mortuis nil nisi bene. Wenn man von den Toten nicht gut sprechen kann, so schweige man. Nach dem Tode Kardinals Joachim Meisner wird dieser Grundsatz zwischenmenschlichem Anstandes für manche zur Herausforderung. Denn das öffentliche Bild des langjährigen Kölner Erzbischofs zeigt einen stets im Wind der Lehre segelnden Steuermann, der sich mit seinem Kurs oft mehr Feinde als Freunde machte. Zuletzt hatte Meisner diese Wahrnehmung selbst mit seiner öffentlichen Kritik am Papst befördert.
Wer sein Leben und Wirken verstehen will, muss es jedoch umfassender betrachten. Die Biographie des Menschen Joachim Meisner spiegelt – wie so viele andere seiner Generation – die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Geboren wurde er am Weihnachtstag des Schicksalsjahres 1933 in Breslau. Damit war der Familie die Flucht praktisch vorherbestimmt: Zu Fuß verließ Meisner mit seiner Mutter und den drei Brüdern im Jahr 1945 die schlesische Heimat, um sich vor der anrückenden Roten Armee zu retten. Den Vater Walter, einen Kaufmann, hatte der 12-jährige Joachim da bereits im Krieg verloren.
Erst Banklehre, dann Theologiestudium
Die Flüchtlingsfamilie kam im Osten des neuen Deutschlands an. In Thüringen fand Meisner eine neue Heimat, machte seinen Schulabschluss und trat – nach einer Banklehre – das Theologiestudium an. Sein Klerikerleben begann im April 1962 in Neuzelle, nahe der neuen deutschen Ostgrenze, wo er von Bischof Ferdinand Piontek zum Diakon geweiht wurde. Im Dezember desselben Jahres, drei Tage vor seinem 29. Geburtstag, empfing Meisner in Erfurt von Weihbischof Josef Freusberg die Priesterweihe.
Nach ersten Dienstjahren in der Seelsorge stieg Meisner bald in der innerkirchlichen Hierarchie auf. Ab 1966 stand er für neun Jahre dem Erfurter Caritasverband vor. 1975 dann ernannte ihn Papst Paul VI. zum Weihbischof in Erfurt. Dessen Nachfolger, Papst Johannes Paul II., betraute Meisner schließlich im Jahr 1980 mit der bis dahin wohl größten Aufgabe seines Lebens: Als neuer Bischof der geteilten Stadt Berlin stand Meisner fortan im Brennpunkt des Ost-West-Konflikts. Später wurde ihm als Vorsitzender der sogenannten Berliner Bischofskonferenz der katholischen Bischöfe in der DDR die Vertretung der kirchlichen Interessen gegenüber dem Regime anvertraut.
Linktipp: Kardinal Meisner ist gestorben
Kardinal Joachim Meisner ist tot. Er ist überraschend im Urlaub in Bad Füssing "friedlich eingeschlafen", berichtete das Erzbistum Köln am Mittwochmorgen. Meisner war 25 Jahre Erzbischof von Köln und prägte in dieser Zeit die deutsche Kirche.Das Leben im Einflussbereich des Sozialismus prägte Meisners Leben auch lange über den Fortbestand der DDR hinweg. "Meisner ließ sich in all den Jahrzehnten in der DDR nie von den Kommunisten beeindrucken", fasst es das Erzbistum Köln heute in Worte. Und nicht nur verwehrte er sich der Staatsideologie: Der fromme Flüchtling widersetzte sich mit seiner ganzen Person dem radikalen Atheismus. Eine Haltung, die Meisners theologische und kirchenpolitische Positionen bis zuletzt prägte. Schon ein leiser Zweifel an der Glaubenstreue war für ihn unzulässig.
Heimliche Priesterweihen in der Privatkapelle
Das machte ihm zum Gleichgesinnten des Papstes. Mit Johannes Paul II. verband ihn schließlich nicht nur eine persönliche Freundschaft, sondern auch die Biographie: Beide hatten das Grauen des Krieges aus nächster Nähe erlebt, um später als Gläubige in einem gottfernen Regime zu leben, für das sie nicht weniger als Abscheu empfanden. Und beide kämpften als Bischöfe auf jeweils ihre Weise gegen den atheistischen Staatssozialismus an; Karol Wojtyla etwa mit einem provokanten Kirchenneubau in Krakau, Joachim Meisner durch geheime Priesterweihen in seiner kleinen Privatkapelle, wie er später selbst berichtete.
Aber auch das verband die beiden Kirchenmänner aus dem Osten: Meisner und Wojtyla waren ebenso bekannt wie berüchtigt für ihre Grundhaltung des Konservatismus, des Bewahrens. So machte der Papst Meisner schon früh zu seinem Verbündeten, als er den damals 49-Jährigen im Jahr 1983 in das Kardinalskollegium aufnahm. Wichtiger als seine Tätigkeiten im Vatikan war jedoch Meisners dritte und letzte bischöfliche Wirkungsstätte. Ende 1988 setzte Johannes Paul II. seinen Freund gegen die Widerstände des Metropolitankapitels als neuen Erzbischof von Köln ein; ein Ruf, den auch Meisner selbst nur widerstrebend annahm.
Der Papstvertraute Meisner war nun auch Oberhirte der größten Diözese Deutschlands. Damit hatte seine Stimme umso mehr Gewicht. Und er brachte sie in zahlreiche kirchliche und gesellschaftliche Debatten ein. Dabei setzte er inhaltlich und stilistisch seinen aus der DDR erprobten Kampf gegen eine säkulare Öffentlichkeit fort; dies jedoch nun freilich im katholischen Rheinland. Ein Thema, das ihm dabei besonders am Herzen lag, war der Lebensschutz. Im Jahr 1999 hatte er großen Anteil daran, dass die katholische Kirche in Deutschland die gesetzliche Schwangerenkonfliktberatung einstellte. Der Ausstieg erfolgte auf päpstliche Aufforderung und gegen den Willen der meisten deutschen Katholiken – inklusive vieler Bischöfe. Noch kurz vor seinem Ruhestand machte Meisners rigorose Haltung im Jahr 2013 bundesweit Schlagzeilen. Nachdem einer vergewaltigten Frau in zwei katholischen Kliniken die "Pille danach" verweigert wurde, verteidigte der Kardinal die katholische Linie; allerdings nicht, ohne das zusätzliche zugefügte Leid der Frau anzuerkennen und um Verzeihung zu bitten.
Mit manchen Worten brachte Meisner sich in Erklärungsnot
Während Meisner sich in Sachen Lebensschutz stets auf die Vorgaben der Lehre stützen konnte, brachte er sich mit anderen Aussagen zuweilen selbst in Erklärungsnot. Im Jahr 2007 sorgte er binnen wenigen Wochen mit zwei Äußerungen zur Kunst für Empörung: Zunächst kritisierte er ein neues Glasfenster des berühmten Künstlers Gerhard Richter im Kölner Dom. Das abstrakte Farbenspiele passe besser in eine Moschee, befand er. Später warnte er bei der Eröffnung eines diözesanen Kunstmuseums vor einer Trennung von Kunst und Kultus; dies würde zu einer "entarteten Kultur" führen. Neben vielen anderen kritisierte auch der Zentralrat der Juden die Aussage als "Rückgriff auf den Nazi-Wortschatz". Ähnlich großen Aufruhr erzeugte Meisner im Jahr 2014 mit einem misslungenen Lob für kinderreiche katholische Familien: Eine solche ersetze ihm gleich drei Familien islamischen Glaubens, ließ er die Welt wissen.
Trotz solcher Grenzverletzungen – die er stets einräumte und bedauerte – stand Meisner zu seinem Konservatismus. Denn dieser war für ihn eine Frage des Glaubens, für den er zeitlebens mit viel Verve eintrat. Im Jahr 2005 lud er als Gastgeber Katholiken aus aller Welt zum Weltjugendtag nach Köln ein. Die jugendlich-lockere Glaubensfreude sprang, so konnte man den Eindruck haben, dabei auch auf den damals 72-Jährigen über. 2013 lud der Kardinal wiederum an den Rhein, diesmal zum Eucharistischen Kongress. Mit der Anbetung im Zentrum war dies ein Glaubensfest nach Meisners Geschmack. Demgegenüber konnte er mit den Katholikentag, die vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ausgerichtet werden, wenig anfangen. Mit dem auch von bischöflicher Seite anerkannten obersten Laiengremium lag Meisner im Dauerclinch. Als Kuratoriumsmitglied unterstützte er stattdessen das Forum Deutscher Katholiken, den deutlich kleineren und konservativen Gegenpart des ZdK.
Vorbehalte gegen manche Auswüchse des Katholizismus in Deutschland waren es wiederum, die Meisner ab 2005 eng mit dem neuen Papst verbanden. Joseph Ratzinger hatte es trotz seiner bayerischen Abstammung während seines Pontifikats ausgerechnet in Deutschland besonders schwer; nicht jedoch bei Meisner. So euphorisch der Kölner Erzbischof jedoch 2005 aus dem Konklave zur Wahl Benedikts XVI. trat, so erschüttert war er im Jahr 2013 von dessen Amtsverzicht. Es dauerte, bis er seinem Freund diesen Schritt verziehen hatte.
Kein letztes Wort zu den "Dubia"
Denn gerade in Fragen des kirchlichen Dienstes galt für Meisner das Motto: ganz oder gar nicht. Dem war er etwa gefolgt, als er sich gegen seine persönlichen wie auch ganz öffentliche Widerstände auf den Erzbischofsstuhl von Köln setzte. Und dieses Motto dürfte ihn auch geritten haben, als er sich im Herbst 2016 mit drei anderen Kardinälen an den amtierenden Papst Franziskus wandte. In aufsehenerregender Weise wurde die harsche Kritik der vier am päpstlichen Schreiben "Amoris laetitia" und die Forderung einer Klärung später öffentlich. Man mag dem streitbaren Meisner unterstellen, dass er sich vom aufrichtigen Wunsch nach einer tiefgreifenden Debatte getrieben sah. Die neue pastorale Offenheit des Papstes, mit der er auf die Umstände der Zeit zu reagieren versuchte, dürften ihm Unbehagen bereitet haben. Meisner sah die Kirche in einem Kampf gegen Relativismus und Säkularismus, der stattdessen mit den Waffen des Katechismus zu kämpfen war. Äußern wollte er sich zu seinen Motiven allerdings nicht mehr. Es sei mit dem Brief alles gesagt, ließ er auf Anfrage wissen.
Nun ist Kardinal Meisner am Mittwochmorgen in seinem bayerischen Urlaubsort Bad Füssing gestorben. Seit seiner Emeritierung im Jahr 2014 hatte er ein Leben außerhalb des Blickfelds der Öffentlichkeit geführt; dies jedoch stets in Blickweite des Kölner Doms, den er noch immer regelmäßig zum Gebet aufsuchte. Die letzten Lebensjahre widmete er der Vorbereitung auf das, woran er immer unerschütterlich geglaubt hatte. Das Ewige Leben an der Seite Christi war für ihn keine Möglichkeit, sondern eine von Gott zugesagte Sicherheit. So wie es sein bischöflicher Wahlspruch aus dem 2. Korintherbrief sagte: "Unsere Hoffnung für Euch steht fest."