TV-Star löst letztes Rätsel Teilhard de Chardins
Fast hätte Paul Bentley aufgegeben: Seit Tagen suchte der Schauspieler, bekannt vor allem für seine Rolle in der Fantasy-Serie "Game of Thrones", im Archiv der Jesuiten nach einem Dokument in den Akten des Theologen und Naturwissenschaftlers Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955). An einem Freitagnachmittag, kurz vor der Schließung des Archivs und kurz vor seinem Rückflug nach Schottland, fand er dann doch noch, was er suchte: Die "sechs Lehrsätze", die der Jesuitenpater Teilhard 1925 unterzeichnen musste.
Damals war der Ordensmann Professor für Geologie am Pariser Institut Catholique und forschte über die Evolution des Menschen. Sein Versuch, die Erbsünde aus dem Blickwinkel seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisse neu zu interpretieren, lenkte die Augen des Heiligen Offiziums auf ihn, der Vorgänger-Behörde der heutigen Glaubenskongregation. Sechs Lehrsätze sollte Teilhard unterzeichnen, um seine Rechtgläubigkeit zu demonstrieren. Wie diese Sätze lauteten, war der Forschung bisher nicht bekannt. Außerhalb der Mauern der Glaubenskongregation und des Jesuitenordens hatte sie wohl niemand je zu Gesicht bekommen – bis jetzt.
Benedikt XVI. öffnete die Archive
Zunächst hatte Bentley in den Archiven des Vatikans gesucht. Papst Benedikt XVI. hatte 2006 verfügt, die Akten des Pontifikats Pius XI., das in die Zeit des Verfahrens gegen Teilhard fällt, für Wissenschaftler einsehbar zu machen. Die Öffnung nahm Bentley zum Anlass für die Recherche, doch ohne Erfolg: Keine Spur von den Dokumenten. Fündig wurde er schließlich im Archiv der Ordenszentrale der Jesuiten. Dass das Dokument mit den sechs Thesen bis zur Recherche von Bentley all die Jahre unerkannt in den Archiven lag, erklärt der Entdecker so: "Niemand war so neugierig wie ich."
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Bentley, der in "Game of Thrones" den Hohenpriester "High Septon" spielt, plante schon seit Jahren ein Stück über den kontroversen Jesuiten zu schreiben. Der Priester und Paläontologe faszinierte ihn seit seiner Schulzeit an einer Jesuitenschule. Ihn interessiere vor allem der Konflikt zwischen dem Naturwissenschaftler und seiner Kirche, sagte er gegenüber dem "Scottish Catholic Observer". Für sein Stück habe er aber die zuvor nicht bekannten "sechs Lehrsätze" benötigt. Teilhard habe monatelang mit sich gerungen, ob er den Lehrsätzen zustimmen könne. "Er musste alle sechs unterschreiben und war dazu auch bei fünf davon bereit. Der vierten These konnte er als Wissenschaftler aber nicht zustimmen", so Bentley – zunächst: Am Ende fügte sich der Jesuit und unterschrieb alle Lehrsätze.
Veröffentlichung steht noch aus
Der genaue Inhalt der sechs Thesen wurde in der vergangenen Woche bei einer Konferenz der Universität Edinburgh vorgestellt, bei der auch Ausschnitte aus Bentleys Teilhard-Stück "Inquisition" erstmals in einer szenischen Lesung aufgeführt wurde. Einer breiteren Öffentlichkeit werden die Lehrsätze jedoch erst in den nächsten Monaten mit Erscheinen eines Artikels des Edinburgher Theologen David Grumett zugänglich. Gegenüber katholisch.de verrät Grumett aber schon, worum es darin geht: "Die ersten drei Thesen sind dem Dekret des Tridentinischen Konzils über die Erbsünde von 1546 entnommen." Durch die Unterzeichnung sollte sich Teilhard dazu bekennen, dass Adam durch den Sündenfall seine ursprüngliche Heiligkeit und Gerechtigkeit verloren hat und dass diese Ursünde auf seine Nachkommen bei der Fortpflanzung übergeht. Auch die Thesen fünf und sechs sind laut Grumett der Lehre der Kirche entnommen: In ihnen geht es um das Verhältnis von Glauben und Vernunft, wie es das Erste Vatikanische Konzil 1870 festgelegt hatte. Glaube stehe demnach über der Vernunft, und es könne keinen Widerspruch zwischen Glaube und Vernunft geben. "Die sechste These hält fest, dass es unmöglich ist, das Dogma im Licht fortschreitender Erkenntnis neu zu interpretieren", erläutert Grumett.
Rom will Teilhard de Chardin zum Schweigen bringen
Die vierte These, die zu unterschreiben Teilhard am meisten in Gewissenskonflikte brachte, ist nicht direkt lehramtlichen Dokumenten entnommen: "Das ganze Menschengeschlecht hat seinen Ursprung in einem ersten Stammvater, Adam." Die These wurde im Vatikan speziell für Teilhard geschrieben, erläutert Grumett: "Die These ist dazu entworfen worden, Teilhard zum Schweigen zu bringen und ihn davon abzuhalten, seine Evolutionstheorie weiterzuentwickeln."
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Teilhard ging davon aus, dass die Ursünde nicht auf eine einzige geschichtlich bestimmbare Handlung zurückgeht, sondern bereits mit Erschaffung der Welt angelegt ist. "Daher konnte er auch nicht an ein ursprüngliches Paradies glauben, in dem alles perfekt war", erklärt Grumett die Beweggründe des Jesuiten für seine Erbsündentheologie: "Er sah das Paradies stattdessen als Teil des himmlischen Ziels, zu dem wir alle bestimmt sind." Das Paradies sei mehr eine in der Zukunft liegende Hoffnung als ein Ort in der Vergangenheit. "Teilhard dachte, dass seine Interpretation die Sünde ernster nimmt als die traditionelle Sicht, die den Ursprung der Sünde an einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sieht."
Kommt die Rehabilitation?
Neben den "sechs Lehrsätzen" hat der Schauspieler und Autor Bentley auch Korrespondenz zu dem Vorgang gefunden, mit denen Grumett die letzte Forschungslücke zum Leben Teilhards schließen will. Für Teilhard war die Beanstandung seiner Arbeit durch den Vatikan ein großer Einschnitt: Er legte seine Pariser Professur nieder und ging auf Betreiben des Jesuitengenerals nach China. Mit dem Exil wollten seine Oberen ihm ein kirchliches Verfahren ersparen, wie aus der Korrespondenz hervorgeht.
Grumett betont, dass Teilhard "immer ein treuer Mann der Kirche" geblieben sei – auch wenn Rom seine Theologie offiziell bis heute kritisch sieht. Sieben Jahre nach seinem Tod hatte der Vatikan 1962 öffentlich erklärt, dass Teilhards Werke "schwere Irrtümer" enthielten und von der katholischen Lehre abwichen. Doch vielleicht wird diese Einschätzung bald revidiert: 2017 hatte der Päpstliche Kulturrat die Bitte an Papst Franziskus gerichtet, Teilhard zu rehabilitieren. Franziskus hat sich in "Laudato si" ausdrücklich auf den französischen Jesuiten berufen; auch sein Vorgänger Benedikt XVI. hat ihn wiederholt zitiert.