"Viele Frauen fühlen sich von der Kirche abgestoßen"
Frage: Frau Oehler, Sie vertreten die internationale katholische Frauenorganisation "Voices of Faith" bei der Vorsynode. Warum ist es wichtig, dass diese Gruppe dort mitdiskutiert?
Oehler: Weil "Voices of Faith" sich einem Thema widmet, das gerade auch junge Menschen angeht. Nämlich der Frage, welche Rolle moderne, ausgebildete, ambitionierte Frauen in unserer katholischen Kirche spielen können. Wir vertreten die Auffassung, dass diese Frauen ganz gezielt in Entscheidungspositionen gesetzt werden müssen. Die Kirche braucht wieder weibliche Vorbilder. Denn wenn man junge Menschen fragt, an was sie beim Wort "katholische Kirche" denken, ist viel vom Papst, den Bischöfen oder Priestern die Rede. Aber ich fürchte, dass kaum jemand an irgendeine Form von weiblichem Gesicht dieser Institution denken würde. Und das, obwohl die Kirche so viele Frauen hervorgebracht hat, die Weltgeschichte mitgestaltet haben. Heute dagegen verlassen viele junge Frauen die Kirche. Deshalb ist diese Frage gerade für die Zukunft so wichtig.
Frage: Bei der Jugendsynode soll es um die Berufungen junger Menschen gehen. Zu was konkret sind denn junge Frauen berufen?
Oehler: Es hat jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht seine individuelle und persönliche Berufung. Die Frage nach der "weiblichen" Berufung ist für mich wie die Forderung nach einer "Theologie der Frau", die man jetzt angeblich unbedingt braucht. Es ist aber eine veraltete, ja auch scholastische Denkweise, zu sagen, der Mann sei die Norm und die Frau das Abweichende, das wir jetzt erforschen müssten. Die Kirche muss ein Ansprechpartner sein für alle jungen Menschen und ihnen dabei helfen, ihre Berufung zu finden. Sie wäre dabei glaubwürdiger, wenn sie Frauen, die ein modernes Leben führen wollen, auch auf Augenhöhe begegnen würde. Das muss sich auch in ihrer Organisation widerspiegeln. Wir haben ja schon Frauen in Führungspositionen, nur sieht man die nicht. Es gibt in Deutschland Ordinariatsrätinnen, Theologieprofessorinnen und so weiter. Aber wo Kirche sichtbar wird, bei wichtigen Anlässen etwa, ist immer noch der Klerus präsent. Insofern betrifft das genauso männliche Laien.
Frage: Sie bezeichnen die Suche nach dem spezifisch Weiblichen in der Kirche als scholastisches Gedankenspiel. Ist das aber nicht genau das, was "Voices of Faith" macht? Ihre Vertreterinnen fordern immer wieder sehr prominent neue Rollen für Frauen, auch Weiheämter.
Oehler: "Voices of Faith" vertritt als Organisation keine Position zur Weihe. Es geht vielmehr darum, Frauen in Leitungspositionen zu bringen. Und natürlich gehört dazu auch, zu betonen, dass Frauen andere Fähigkeiten mitbringen als Männer. Nur beide Geschlechter zusammen bilden in der Komplementarität den gesamten Menschen ab. Joseph Ratzinger hat das sinngemäß so gesagt: Mann und Frau sind dazu berufen, einander Brücke zum Schöpfer zu werden. Es geht um das Zusammensein, das Zusammenwirken auf Augenhöhe.
„Es gibt in der Kirche eine Misogynie.“
Frage: Das klingt insgesamt so, als ob man nur herausstellen müsste, was in der Kirche eigentlich bereits vorhanden ist. Braucht es dann die tiefgreifenden Reformen, wie Sie sie fordern, überhaupt noch?
Oehler: Ja – und zwar zum Beispiel mit Blick auf die Verbindung von Leitung und Weiheamt. Die hat das Zweite Vaticanum richtiggehend zementiert. Das war vorher nicht so. Äbtissinnen zum Beispiel hatten früher eine ganz andere Leitungsgewalt. Sie konnten über Gemeinden in ihrem Gebiet bestimmen oder entscheiden, welcher Priester wo eingesetzt wird. Dabei haben Äbtissinnen bekanntermaßen keine Weihe. Hubert Wolf hat dazu Interessantes veröffentlicht. Ich will anfragen, ob jede Leitungsfunktion zwangsläufig eine Weihe braucht.
Frage: Davor müssen aber wahrscheinlich noch ganz andere Probleme beseitigt werden, wenn man Ihren Mitstreiterinnen folgt. Bei der jüngsten Konferenz von "Voices of Faith" hat die frühere irische Präsidentin Mary McAleese beklagt, die Kirche sei eine "der letzten großen Bastionen des Frauenhasses". Ist das tatsächlich so?
Oehler: Was Mary McAleese da beschrieben hat, kann ich und können bestimmt ganz viele Frauen nachfühlen. Es gibt in der Kirche eine Misogynie. Die ist spürbar, umso klerikaler das Umfeld wird. Es ist schmerzhaft, das einzugestehen, weil die Kirche ja eigentlich ein Ort sein sollte, an dem man sich wohl und geborgen fühlt. Aber das ist als Frau an manchen Punkten tatsächlich schwierig. Ich habe auch schon Abwertung und Feindlichkeit gegenüber meiner Weiblichkeit erlebt. So ein Verhalten sollte keinen Platz haben in der katholischen Kirche, aber man stößt immer wieder darauf.
Frage: Beispielsweise wenn Ordensfrauen eine Ausbeutung durch Vatikan-Prälaten beklagen?
Oehler: Das ist ein aktuelles Beispiel, das zeigt, dass dieses Problem besteht, ja.
Linktipp: Warum Frauen in Leitungspositionen die Kirche stören
Frauen in kirchlichen Führungspositionen? Die Theologin Andrea Qualbrink hat diese Entwicklung wissenschaftlich untersucht. Dabei fand sie nicht nur Männer, die Karrieren im Weg standen.Frage: Ist die Jugend der Teil der Kirche, der bei der Lösung des Problems vorangehen muss?
Oehler: Die junge Generation hat mit diesem Thema bestimmt weniger Probleme. Da herrscht ein viel selbstverständlicherer Umgang zwischen den Geschlechtern. Gleichzeitig ist das Thema mit Blick auf die Jugend auch besonders dringend. Viele junge Frauen distanzieren sich ja gerade wegen dieser Probleme überhaupt erst von der Kirche. Sie fühlen sich abgestoßen. Ich bin selber eine glückliche Katholikin und mein Glaube gibt mir unglaublich viel Kraft. Ich erlebe in dieser Kirche Gott und spüre seine Liebe und Gnade in den Sakramenten. Das hat mein Leben verändert. Und deshalb schmerzt es mich, dass andere junge Menschen wegbleiben.
Frage: Es gibt in der Kirche aber auch einen wachsenden Teil junger Menschen, der sich auf Glaubensformen stützt, besonders in der Liturgie, die klar vom hierarchischen Gefälle ausgehen. Wie passt das zusammen?
Oehler: Das muss man trennen: Die Liturgie ist etwas anderes als die Verwaltung und die Leitung der Kirche.
Frage: Sie ist Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens, also noch viel zentraler.
Oehler: Genau, eben etwas genuin Anderes. Ich selbst teile ja diese Faszination für die Liturgie, auch für den alten Ritus. Da komme ich auch immer wieder in einen Konflikt, weil sich die Frauenfrage da noch einmal ganz anders stellt. Aber zugleich glaube ich, dass die Liturgie in erster Linie keine politische Sphäre ist. Sie wird leider viel zu oft dazu gemacht.
Frage: Wie erklären Sie einem säkularisierten Jugendlichen, dass Sie für die Gleichberechtigung der Frau in der Kirche eintreten, gleichzeitig aber gerne zur Tridentinischen Messe gehen?
Oehler: Vielleicht am besten über den Gedanken der Demut. In der Tridentinischen Liturgie geht es mir und vielen anderen jungen Menschen so, dass man in eine tiefere Form des Gebets findet. Da stehen die persönliche Gottesbeziehung und die Anbetung im Vordergrund. In diesem Moment kann ich sagen: Jetzt geht es nicht um das, wovon ich denke, dass es richtig ist, sondern jetzt füge ich mich in die Weisheit und die Tradition der Kirche. Es geht in dem Moment um Spiritualität und nicht um politische Fragen. Und bei diesen vertraue ich auch auf den Heiligen Geist – damit dieser wirken kann, muss aber natürlich diskutiert werden.
Frage: Um politische Fragen wird es dann wohl bei der Vorsynode gehen. Haben Sie schon einen "Schlachtplan" für die anstehenden Debatten?
Oehler: (lacht) Nein. Wir haben zwar einen Ablaufplan bekommen, aber ich habe trotzdem noch große Fragen, wie genau die Diskussionen vonstatten gehen. Auch inhaltlich muss man sehen, wo der Schwerpunkt hingeht. Ich habe natürlich zwei Themen, die mir wichtig sind und die ich stark machen möchte: Über das eine haben wir schon ausführlich gesprochen, die Rolle von Frauen in der Kirche. Und das andere ist auch angeklungen: die Liturgie. Jeder junge Mensch trägt in sich die Sehnsucht nach Gott und nach Transzendenz, davon bin ich überzeugt. Wir müssen dafür sorgen, dass die jungen Menschen in der Kirche auch entsprechend spirituelle Erfahrungen machen können.
Frage: Wie bereiten Sie sich auf die Debatten vor?
Oehler: Wir haben dazu sehr gute Vorlagen mit ausführlichen Texten und Fragen bekommen. Aber natürlich mache ich mir auch darüber hinaus Gedanken. Ich habe in den letzten Wochen zum Beispiel mit Priestern gesprochen und sie gefragt, wie sie Jugendarbeit und die Jugend wahrnehmen. Und natürlich habe ich auch mit jüngeren Menschen gesprochen und versucht, mir ein Bild zu machen.
Frage: Welche Botschaft möchten Sie mit Ihrer Person bei dieser Vorsynode verbunden wissen?
Oehler: Ich denke, das habe ich deutlich gemacht: Es muss sich etwas für junge Frauen in der Kirche ändern. Die Frauenfrage muss diskutiert werden!
Frage: Wie groß ist der Respekt vor dieser Aufgabe, im Vatikan mitzudiskutieren?
Oehler: Es ist eine Ehre, eingeladen zu sein, an diesem weltkirchlichen Teil der Kirchengeschichte mitzuwirken. Dessen bin ich mir bewusst und habe wirklich Respekt davor. Ich werde versuchen, aus dem Gebet Kraft und Inspiration zu ziehen.