Ein Wallfahrtsort zwischen Glaube und Kommerz

Viva Lourdes Vegas

Veröffentlicht am 22.07.2013 um 00:00 Uhr – Von Michael Richmann – Lesedauer: 
Die Rosenkranzbasilika in Lourdes wird in Grün und Blau angestrahlt.
Bild: © KNA
Glauben

Lourdes ‐ Lourdes ist ein Wallfahrtsort zwischen Glaube und Kommerz. Der französischen Stadt eilt auch der Ruf voraus, aus dem Glauben Profit zu schlagen. Bleibt da noch Platz für Spiritualität?

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Aus dessen Zentrum ragen die Rosenkranzbasilika und die Basilika der Unbefleckten Empfängnis, die an der berühmten Grotte stehen, in der die heilige Bernadette einst die Jungfrau Maria erblickt haben will.

Jeden Tag tummeln sich dort tausende Gläubige und Schaulustige. Die einen erhoffen sich Heil und Besinnung, die anderen wollen sich den mythenbeladenen Ort ansehen. Denn Lourdes ist nicht nur heilig; dem Ort eilt auch der Ruf voraus, aus dem Glauben Profit zu schlagen. Bleibt da noch Platz für Spiritualität?

Die beleuchtete Kathedrale hebt sich von dem tiefblauen Abendhimmel ab.
Bild: ©KNA

Das Zentrum des Heiligen Bezirks: Die Rosenkranz-Basilika und die Basilika der unbefleckten Empfängnis, an der berühmten Grotte, in der die heilige Bernadette einst die Jungfrau Maria erblickt hat.

Einer der Pilger ist Johannes Vincent Fuhler. Die Neugierde hat ihn nach Frankreich geführt: "Es ist ein tolles Gefühl hier zu sein. Und es ist beeindruckend, was Lourdes an Kirchen und Bauwerken geschaffen hat." Er störe sich jedoch an den vielen blitzenden und blinkenden Fassaden und dem schwunghaften Handel mit Devotionalien. Oft benutzt er die Worte "Nippes" und "Mini-Las-Vegas". Mit ein paar Postkarten oder Marienfiguren könne er leben, „aber der Rest ist für mich schwer mit dem Glauben zu vereinbaren.“ Der 19-Jährige hat dem Ortskern bereits den Rücken zugewandt und sich zum Pic du Jer aufgemacht. Auf dem Weg zum Gipfel habe er sich einige Gedanken gemacht: "Einfach mal den Kopf freibekommen und bei sich selbst sein – dabei muss sich auch nicht alles um Gott drehen." Auf dem Berg hat er Ruhe gefunden. Die Arme in die Hüften gestemmt schaut er auf die Stadt: "Diese Glaubensindustrie muss man einfach ausblenden. Wenn einem das gelingt, ist es hier echt schön."

63 Prozent der Einnahmen sind Spenden

Die Marienerscheinung hat Lourdes reich gemacht: Allein an Spenden nimmt die "Association Diocésaine de Tarbes et Lourdes" pro Jahr etwa 19 Millionen Euro ein. Das sind 63 Prozent des Gesamteinkommens. Die Organisation gehört dem Bistum Tarbes und Lourdes. Sie kümmert sich um die Pflege des Heiligen Bezirks und der Basilika. Sie bezahlt auch die 30 hauptamtlichen Kapläne, die mehrfach täglich Messen für die knapp sechs Millionen Pilger pro Jahr abhalten. Hinzu kommen knapp 293 festangestellte Laien und weitere 120 Saisonarbeiter, die nur während der hochfrequentierten Sommermonate zum Einsatz kommen. Das Berichtet die französische Tageszeitung "Le Figaro" . Wer nicht selbst nach Frankreich kommt, hat die Möglichkeit, via Internet an Gottesdiensten vor der Grotte teilzunehmen und sogar Kerzen aufstellen zu lassen. Gegen eine Spende von mindestens 2,50 Euro – bezahlt mit der Kreditkarte – entzündet das Personal eine langstielige Kerze und stellt sie nahe der Grotte auf. Jedes Jahr werden 800 Tonnen Wachs verbrannt.

Uwe Barzen von der deutschsprachigen Pilgerseelsorge in Lourdes führt andere Zahlen ins Feld: "Die Wallfahrtsstätte ist immer noch dabei ist, die Kredite für die Krankenherbergen, die 1997 gebaut wurden, abzubezahlen. Sanierungen an Kirchen und Gebäuden werden seit Jahren aufgeschoben, Stellen werden abgebaut. Und durch das Hochwasser im Juni hat die Wallfahrtsstätte zusätzliche Belastungen in Millionenhöhe zu tragen." Daher könne von "Reich" keine Rede sein.

Bischof Franz-Josef Overbeck sitzt in schwarzer Soutane auf einem weißen Sofa.
Bild: ©Michael Richmann

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck auf Pilgerfahrt in Lourdes. Am Rande der Wallfahrt nahm er sich Zeit für ein kurzes Interview.

Franz-Josef Overbeck ist ebenfalls nach Lourdes gepilgert. Der Essener Bischof sitzt an einem Maisonntag an der Hotelbar des "Chapelle et Parc" und nippt an einem Glas Mineralwasser. Overbeck zieht eine klare Trennlinie zwischen dem Heiligen Bezirk und dem Rest der Stadt: "In Lourdes merkt man, dass die Kirche zwar Teil dieser Welt, dann auch wieder nicht von dieser Welt ist." Die Grotte sei ein Ort der Stille und des Gebets. Overbeck beschreibt sie wie eine Insel in der Hektik der modernen Welt. Eine Insel, auf der die Menschen Zeit für sich haben, nachdenken, miteinander sprechen oder beten. Eine Insel, die umgeben ist von – ja von was eigentlich? Der realen Welt?

Der Weg zur Grotte führt wieder an den Geschäften mit ihren opulenten und den blinkenden Werbeschildern vorbei. Dort angekommen ist von der beschriebenen Insel nicht viel zu sehen. Tausende Menschen wuseln wie Ameisen durch den Bezirk, zur Grotte, zur Basilika, zum heiligen Wasser, zu den Kerzen. Die Schlange vor der Madonnen-Statue ist mehrere hundert Meter lang. Auch wenn die Angestellten ständig um Ruhe bitten und jeden freundlich aber bestimmt hinauskomplimentieren, der sich nicht an die Regeln hält, es ist laut. Etwas abseits der Grotte, wo die Kerzen aufgestellt werden, ist weniger Betrieb. Doch auch dort wird die Ruhe von den zahllosen Stimmen in Fetzen gerissen. Etwas Raum für Spiritualität gibt es trotzdem: Menschen einzeln oder in Gruppen vor ihren Kerzen, der Welt scheinbar entrückt blicken sie in die Flamme.

Von Kopf bis Fuß auf Pilger eingestellt

Doch die Pilger kommen nicht nur in den Heiligen Bezirk. Sie wollen reisen, schlafen, essen, einkaufen und Kerzen aufstellen. Die Infrastruktur ist beachtlich: Lourdes hat einen internationalen Flughafen, der Bahnhof wird jedes Jahr von etwa 400 Sonderzügen angesteuert, und am Stadtrand gibt es vier riesige Busparkplätze. Die Herbergen und Hotels bieten mehr als 12.000 Betten an – Lourdes selbst hat etwas mehr als 14.000 Einwohner. Der Pilger-Tourismus ist mit Abstand der größte Wirtschaftsfaktor in der Gemeinde. Der Schrein wurde 1860 eröffnet, seitdem kamen mehr als 200 Millionen Menschen. Damit ist Lourdes nach Paris die meistbesuchte Stadt Frankreichs.

„Diese Glaubensindustrie muss man einfach ausblenden. Wenn einem das gelingt, ist es hier echt schön.“

—  Zitat: Johannes Vincent Fuhler, Pilger in Lourdes

Hinter den Toren, die den Heiligen Bezirk vom Rest der Stadt abgrenzen, lässt der Glaube den Rubel rollen: Abziehbildchen der Heiligen Bernadette, Nachbildungen der Grotten-Madonna, Kerzen in allen Formen und Farben. Der Verkaufsrenner: Plastikmadonnen mit Krone zum Abschrauben; damit können die Pilger das begehrte Wasser von Lourdes mit nach Hause nehmen. In den 200 Andenkenläden kann jeder Tourist nach Herzenslust stöbern. Für Overbeck sind diese Devotionalien eine Möglichkeit, Religion greifbar zu machen: "Außerdem ist diese puristische Sicht auf den Glauben eine sehr mitteleuropäische Perspektive. In Südamerika gehört diese Form der Spiritualität unweigerlich dazu."

Dies sieht Jens-Michael Leinhäuser ähnlich. Der 25-Jährige ist bereits zum fünften Mal in Lourdes. Unter dem Arm trägt er fünf Kerzen in Richtung Grotte, die er für Freunde und Verwandte aufstellen möchte. An dem Trubel stört er sich nicht. Auch an dem Handel mit Andenken kann er nichts Anstößiges finden: "Das gehört einfach dazu. Und für mich macht es in der Tat einen Unterschied: Wenn ich einen Rosenkranz aus Lourdes bete, bete ich gezielt zur Gottesmutter in der Grotte."

Erst in der Dämmerung wird es ruhig

Zurück auf dem Platz vor der Basilika. Abends ziehen noch immer tausende Menschen zur Grotte, zur Basilika und zum heiligen Wasser – und noch immer ist es laut. Zur Dämmerung tritt der Ordnungsdienst auf. Meter für Meter räumt das Personal das Oval vor der Basilika: Zeit für die Lichterprozession. Es dauert circa 30 Minuten, bis sich die Menschen aufgestellt haben und ihre Kerzen angezündet haben.

Plötzlich ist Ruhe.

„Für mich macht es in der Tat einen Unterschied: Wenn ich einen Rosenkranz aus Lourdes bete, bete ich gezielt zur Gottesmutter in der Grotte.“

—  Zitat: Jens-Michael Leinhäuser.Pilger in Lourdes

Nur das Flüsschen Gave plätschert noch munter vor sich hin. Die Menschen schauen stumm in die Flamme ihrer Kerze und lauschen der Andacht, die in mehreren Sprachen aus den Lautsprechern ertönt. Und sonst hört man – nichts. Zeit, die Atmosphäre aufzusaugen; Zeit, sich von der Umgebung beeindrucken zu lassen; Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Der Blick in die vom flackernden Kerzenlicht beleuchteten Gesichter verrät, die Menschen sind in sich gekehrt. Es ist sogar Zeit, selbst eine Kerze aufzustellen und minutenlang in die Flamme zu starren. Danach dauert es eine Weile, bis die Gedanken zurückkehren. Der Weg ins Hotel führt um die Prozession herum – vorbei an Menschen, die in Flammen starren, an Menschen, die zuhören, an Menschen, die ihre Gedanken schweifen lassen und an Menschen, die leise vor sich hin beten. Es geht eine kleine Rampe hoch und direkt auf den Boulevard Rémi Sempé zu. Und dort blinkt und blitzt es wieder. Auf der Leuchtreklame steht "Alliance Catholique – wir sprechen Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch". Willkommen in Lourdes Vegas.

Von Michael Richmann