Vollkaskoversicherung für das Jenseits
Diese Form der von Perault entwickelten Ablasskampagne dominierte die geistliche Landschaft des ausgehenden Mittelalters und führte direkt in die Reformation. Raimund Peraudi, unter diesem Namen ist er in Deutschland bekannt, predigte nicht einfach den Ablass, wie es andere schon seit Generationen vor ihm getan hatten. Sondern er entwickelte das Konzept der vier Gnaden: den vollständigen Ablass für die Lebenden, den Ablass für die Verstorbenen, einen Ablassbrief für die Todesstunde und die Teilhabe am Gebet der ganzen Kirche.
Diese vier Gnaden waren eine Art Vollkaskoversicherung für das Jenseits, die dafür sorgte, dass man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die so sehr gefürchtete Zeit im Fegefeuer auslassen konnte und direkt in die ewige Seligkeit einging. So viel Gnade brauchte einen entsprechenden Rahmen. Unter dem großen Kreuz in der Mitte der Kirche, das mit dem Wappen des Papstes geschmückt war, forderten Peraudi und seine Mitarbeiter in zahlreichen Gottesdiensten und Andachten die Menschen zur Umkehr auf.
Verbindung von Geld und Gnade
Schließlich waren die Ablässe nicht als Freibrief für enthemmtes Sündigen gedacht. Wer also sein persönliches Sündenkonto bereinigen und Vorsorge für die Zukunft treffen wollte, musste erst die Beichte ablegen und konnte dann je nach Einkommen gestaffelt einen Beitrag in den Geldkasten unter dem Kreuz werfen. Ohne Beichte und Reue war der Ablass wirkungslos. Gilt heute die Verbindung von Geld und Gnade als anstößig, so war das damals keineswegs so. Faktisch hatten die teilweise enormen Summen aus den Ablasskampagnen die Funktion von Steuern oder einer Schwarmfinanzierung, nur eben mit jenseitiger Wirkung.
Rom belohnte den französischen Domdekan mit dem roten Kardinalshut und schickte ihn gleich wieder auf die Reise. Bis zu seinem Tod im Jahr 1505 verkündete Peraudi im Auftrag des Papstes verschiedene Ablässe in Frankreich, Deutschland und Skandinavien. Diese Kampagnen standen unter einem übergeordneten Zweck wie der Nachfeier des römischen Heiligen Jahres oder um Geld zu sammeln für den Kampf gegen die Feinde der Christenheit. Peraudis Beispiel folgend, wurde dann auch neben anderen Ablässen auch der für den Neubau der römischen Peterskirche in Form einer solchen Kampagne verkündet.
Ablasskampagnen personal- und kostenintensiv
Wenngleich sich die Ablasskampagnen mit dem begleitenden Ritual in Form von Prozessionen, Andachten und Gottesdiensten als interaktive Multimedia-Events präsentierten, litten sie doch unter dem strukturellen Problem, dass sie personal- und kostenintensiv waren. Auf die Ablasskampagnen geht der Spruch zurück: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt". Gemeint war das als zündendes Argument für den Ablass für die Verstorbenen.
In England hieß es: "In half an hour at the most the soul is with the Holy Ghost." In Frankreich fielen die Sous in troncs. Die Pariser Sorbonne hat diesen Spruch mehrfach zensuriert und 1518 sogar übereifrige Ablassprediger aus dem Verkehr gezogen. In Deutschland war es Martin Luther, der mit seinen 95 Thesen den Ablasskampagnen langfristig ein Ende setzte.