Vom Konzil ins "Zölibad"
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es um den Klerus schlecht bestellt. Geistliche Herren aus dem Adel wälzten ihre Seelsorgepflichten auf niedere Kleriker ab, die ihrerseits nur oberflächlich ausgebildet, unterbezahlt und moralisch wenig gefestigt waren. Die wenigsten konnten sich ein langes Theologiestudium leisten. Es hagelte Beschwerden. Zu Beginn des Reformationszeitalters war "die Achtung vor dem Priestertum so gesunken, dass sich kaum mehr jemand weihen lassen wollte", weiß der Eichstätter Historiker Franz Heiler.
1560, als Martin von Schaumberg zum Eichstätter Bischof gewählt wird, sind zwei Drittel seiner Diözese bereits protestantisch geworden. Seine Wähler haben ihm auferlegt, dass er den geistlichen Personalmangel lindern und dazu eine neue Schule errichten müsse. Doch das Domkapitel weigert sich, bei der Finanzierung mitzuwirken - und dann zieht auch noch die Pest ihre tödlichen Kreise.
Spirituell, sprachlich und seelsorglich ausbilden
Erfinder des Priesterseminars ist aber nicht Schaumberg, sondern das Konzil von Trient . Die um katholische Reformen bemühte Bischofsversammlung beschließt im Sommer 1563, dass die Priester einer Diözese künftig in einer Einrichtung namens Seminar ("Pflanzstätte") herangezogen werden sollen. Die Kandidaten, bevorzugt aus ärmeren Familien, sind seit frühester Kindheit gemeinsam spirituell, sprachlich und seelsorglich auszubilden, lautet die Vorgabe. Von Schaumberg kommt das gerade recht. Nur ein Jahr später ist das Eichstätter Priesterseminar fertig.
Blüte- und Krisenzeiten wechseln sich ab. Mal gehen dem Seminar die Zöglinge aus, mal die Professoren. Immer wieder steht die Einrichtung mangels Geld kurz vor dem Aus. So vernichten Weltwirtschaftskrise und Inflation nach dem Ersten Weltkrieg alle Rücklagen. Der Regens reist 1924 nach Übersee und wirbt in den USA bei Absolventen des Seminars um Spenden.
450 wechselvolle Jahre
Das Auf und Ab lässt sich auch am Personalstand ablesen. 1819 beherbergt das Collegium Willibaldinum nur noch einen einzigen Alumnen, 1939 platzt das Haus mit 621 Studenten aus den Nähten. Im Krieg gegen Napoleon wird Ende des 18. Jahrhunderts ein Lazarett einquartiert, wenig später eine Forstschule. Auch als Suppenküche und Schauspielerunterkunft muss die Einrichtung zwischenzeitlich herhalten.
Zweimal erlangt das Seminar überregionale Bedeutung: Im Kulturkampf suchen Theologiestudenten ab Mitte des 19. Jahrhunderts Zuflucht in Eichstätt, zuerst aus der Schweiz, dann aus ganz Deutschland. Diese Entwicklung wiederholt sich unter den Nationalsozialisten, als Eichstätt zeitweilig die einzige geöffnete theologische Ausbildungsstätte in Süddeutschland ist, von der Gestapo argwöhnisch beäugt.
International und legendär
Auch heute ist die Belegschaft wieder international. Von den derzeit 34 Mitgliedern der Hausgemeinschaft stammen fünf aus Schwarzafrika und je ein Kandidat aus Holland, Tschechien und Bosnien-Herzegowina. Vor wenigen Tagen sind zwei neue Seminaristen aus Indien eingetroffen. Dazu kommt der Austausch mit dem benachbarten Collegium Orientale, in dem 34 Männer aus Osteuropa während ihres Theologiestudiums in Eichstätt wohnen.
Einen legendären Ruf erwirbt sich die Badeanstalt des Eichstätter Priesterseminars. Unter Anleitung eines ehemaligen Ingenieurs errichteten die Bewohner Mitte des 20. Jahrhunderts ein Wasserbecken, mit eigenen Schwimmzeiten für die Schwestern aus der Hauswirtschaft. Der Spitzname lautet standesgemäß "Zölibad". In den 1990er Jahren ist Schluss mit dem feuchten Vergnügen. Das Bad, in dem Generationen von Internatsschülern und Studenten ihre bestandenen Prüfungen gefeiert haben, wird abgerissen. Heute befindet sich ein Hartplatz auf dem Areal.
Christoph Renzikowski (KNA)