Vom Supermarktleiter zum Priester
Markus Nowag ist ein Spätberufener. Der heute 33-Jährige arbeitete als Filialleiter bei einer namhaften Supermarktkette und war viele Jahre mit einer Frau liiert. 2013 dann die Entscheidung, Priester zu werden. Ohne Abitur ging das jedoch nur im Studienhaus St. Lambert in Lantershofen, südlich von Bonn. Dieses deutschlandweit einzigartige Seminar ermöglicht eine Priesterausbildung für Spätberufene auf dem dritten Bildungsweg. Am Sonntag, 15. April, wurde Nowag schließlich in seiner Heimatgemeinde in Essen-Katernberg zum Diakon geweiht, im kommenden Jahr folgt die Priesterweihe. Dann wird er der einzige Neupriester seines Jahrgangs im Bistum Essen sein, wo es schon seit 2015 lediglich eine Priesterweihe pro Jahr gegeben hat. Ein Interview.
Frage: Herr Nowag, zunächst herzlichen Glückwunsch zur Ihrer Weihe. Wie fühlt man sich als frisch gebackener Diakon, und wie haben Sie die Zeremonie erlebt?
Nowag: Ehrlich gesagt fühle ich mich noch genauso wie vorher. (lacht) Die Zeremonie mit dem Weihbischof, der Familie und Freunden war natürlich etwas ganz Besonderes in meinem Leben. Sie ist aber irgendwie auch ein wenig an mir vorbeigeflogen, da man an einem solchen Tag sehr nervös und angespannt ist. Noch habe ich gar nicht richtig realisiert, dass ich jetzt Diakon bin. Das Ganze muss wohl erst noch ein wenig nachklingen.
Frage: Nach einer Priesterlaufbahn sah es in Ihrem Leben zunächst nicht aus – Sie waren Leiter eines Supermarkts. Welche Rolle spielten für Sie Glaube und Kirche vor Ihrer Entscheidung, Priester zu werden?
Nowag: Beides spielte immer schon eine große Rolle in meinem Leben. Wenn man es so will, habe ich die klassische "kirchliche Laufbahn" durchlebt: Ich war Messdiener und Messdienerleiter, im Pfarrgemeinderat aktiv, habe mich als Lektor und Kommunionhelfer engagiert. Den Gedanken, Priester zu werden, hatte ich dabei immer mal wieder. Doch ich hatte auch meinen Job und jahrelang eine feste Freundin. Einige Zeit habe ich deshalb auch mit dem Ständigen Diakonat geliebäugelt. Dann ging die Beziehung auseinander. Trotzdem hat es aber immer noch ein paar Jahre gedauert, bis ich mich entschlossen habe, ins Priesterseminar zu gehen. Der entscheidende Auslöser fehlte noch.
Frage: Wie sah der aus?
Nowag: Es war zunächst schon ein Prozess. Mir wurde immer mehr bewusst, dass mich meine Arbeit nicht richtig erfüllt. Wenn ich zum Beispiel in der Osternacht die Kirchenglocken gehört habe, während ich bis 21 Uhr noch im Laden arbeiten musste, spürte ich deutlich, wieviel lieber ich dort sein wollte. Dann kam eine Woche, in der ich unglaublich viel Stress auf der Arbeit hatte, irgendwie unzufrieden mit allem war, und zum Ausgleich abends das Taizé-Gebet in meiner Heimatkirche besucht habe. Dabei hatte ich plötzlich – so etwas hört sich immer etwas komisch an, aber es war so – ein ganz bestimmtes Gefühl: als ob dich jemand in den Arm nimmt und sagt "Versuch es einfach". Am nächsten Tag habe ich mich dann direkt beim Regens gemeldet.
Frage: Also ein echtes Berufungserlebnis?
Nowag: Bei dem Begriff bin ich immer ein wenig vorsichtig. Ich habe jetzt keine Marienerscheinung oder ähnliches gehabt. Da kam also keiner, der gesagt hat: "Markus, du musst jetzt Priester werden." Aber ich hatte dieses deutliche Gefühl, dass es der richtige Weg ist. Dann habe ich es gemacht und muss sagen: Jetzt bin ich zum Diakon geweiht und habe es bislang nicht bereut.
Frage: Haben Sie nie mit Ihrer Entscheidung gehadert?
Nowag: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass man nie zweifelt. Es kann immer Krisen geben, und die werde ich wohl auch weiterhin haben. Aber ich hatte nie den Gedanken aufzuhören. Man weiß schon, was einen trägt und einem Halt gibt. Der große Vorteil ist ja, dass ich beide Lebensweisen kennengelernt habe: die Lebensweise, mit jemand zusammen zu leben, und jetzt diese ganz andere Lebensweise. Hätte ich nach der Schule direkt die Priesterlaufbahn eingeschlagen und die andere Seite nicht gesehen, hätte ich wohl immer das Gefühl gehabt, dass ich was verpasst hätte. Jetzt habe ich beide kennengelernt und weiß, was mir mehr gibt.
Frage: Mit dem Zölibat haben Sie also keinerlei Probleme?
Nowag: (lacht) Naja. Man ist immer noch Mann, das wird ja nicht einfach weg-geweiht. Allerdings muss ich ganz ehrlich sagen, dass diese ewige Debatte um den Zölibat mir zu oberflächlich ist. Denn er wird immer nur auf das Sexuelle reduziert. Mir persönlich fehlt das Sexuelle nicht, im Moment zumindest nicht. Vielmehr fehlt es einem, mal in den Arm genommen zu werden, dass jemand da ist, bei dem man sich abends auf dem Sofa anlehnen kann. Da ist es, was fehlt. Der rein körperliche Akt, auf den der Zölibat immer beschränkt wird – gerade in den Medien –, greift also viel zu kurz. Ich vergleiche den Zölibat mit einer Ehe. Es kann gut gehen, es kann scheitern. Und wenn es schief geht, dann muss man ehrlich sein, aufhören und nicht ein doppeltes Spiel spielen.
Frage: Ihre Ausbildung hatten Sie in Lantershofen, wo man die Priesterlaufbahn auch ohne Abitur einschlagen kann. Wo sehen Sie die Unterschiede zum klassischen Priesterseminar?
Nowag: Lantershofen ist insofern etwas Besonderes, als dass die Seminaristen dort alle gestandene Männer sind – zumindest der größte Teil. Als ich angefangen habe, waren wir 40 Leute im Haus. Der jüngste war 25, der älteste 54. Alle hatten bereits Lebenserfahrung sammeln können und standen vorher in einem Beruf. Man darf ja nicht vergessen: Wir haben in Lantershofen alle unsere Arbeit und das bisherige Leben aufgegeben. Wenn der Regens da von heute auf morgen gesagt hätte "Sie sind raus", dann hätten wir alle erstmal vor dem Nichts gestanden. Von daher herrschte eine ganz andere Atmosphäre und ein anderes Leben und Arbeiten als in den "gewöhnlichen" Priesterseminaren.
Frage: Der Priestermangel ist in Deutschland allgegenwärtig. Denken Sie, dass es hierzulande keine Berufungen mehr gibt – oder hören viele Menschen einfach nur nicht mehr darauf?
Nowag: Ich würde sagen, dass es nach wie vor Berufungen gibt. Die meisten Leute haben aber einfach Angst, ihre Berufung zu leben; wohl deshalb, weil das nicht mehr gesellschaftsfähig erscheint. Wenn man heute sagt, man will Priester werden, dann ist man entweder homosexuell oder pädophil. Das sind die Vorurteile, die auf einen zukommen und mit denen man sich auseinandersetzen muss. Diesen Kampf wollen viele vielleicht nicht kämpfen. Wenn ich eine Empfehlung geben müsste, würde ich jedem sagen, dass er es ausprobieren sollte, wenn er eine Berufung in sich fühlt. Abbrechen kann er immer noch, aber es überhaupt nicht zu versuchen, halte ich für den falschen Weg.
Frage: Im kommenden Jahr werden Sie zum Priester geweiht – und sind damit der einzige Neupriester im Bistum Essen. Ein Problem für Sie?
Nowag: (lacht) Nein. Ich bin Einzelkind und weiß, wie es ist, wenn man alleine ist. In den letzten Jahren waren die Neupriester im Ruhrbistum ja immer alleine. Es war also abzusehen, und von daher ist es für mich auch kein Problem.
Frage: Die Situation im Bistum Essen ist im Vergleich zu vielen anderen Diözesen noch einmal eine besondere. Die Stichworte lauten: Gemeindefusionen und Kirchenschließungen. Halten Sie diese strukturellen Reformen für den richtigen Weg?
Nowag: Ich schätze es, dass unser Bischof einen sehr klaren Blick für notwendige Veränderungen hat und danach auch handelt. Sonst wären wir – salopp gesagt – vielleicht irgendwann so pleite, dass gar nichts mehr gehen würde. Das Bistum Essen ist in Sachen Strukturreformen sicherlich Vorreiter und steht für manche Entscheidungen auch in der Kritik. Doch andere Bistümer sind vielleicht in fünf oder sechs Jahren in derselben Situation und müssen dann vielleicht viel schneller handeln, als wir es jetzt tun. Deshalb hoffe ich, dass wir da in eine gute Zukunft gehen.
Frage: Sie sehen also kein Problem darin, wenn den Leuten ihre Heimatkirche gewissermaßen vor der Nase dicht gemacht und vielleicht sogar abgerissen wird?
Nowag: Ich kann jeden verstehen, der über solche Veränderungen traurig oder wütend ist. Mir würde es auch schwer fallen, wenn ich meine kirchliche Heimat verlieren würde. Aber ich denke, manchmal kann auch ein harter Einschnitt nützlich sein, um neu aufzubrechen. Ganz wichtig ist es, den Leuten, die jetzt ihre Heimat verlieren, wirklich eine neue Heimat zu geben. Und dafür sind wir als Geistliche da, das ist unsere Aufgabe. Wir müssen diese Menschen mitnehmen und mit ihnen gemeinsam den neuen Weg gehen.
Frage: Wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken, als Priester künftig eventuell eine Großpfarrei zu leiten und mehr als Manager denn als Seelsorger arbeiten zu müssen?
Nowag: Ich sage es mal so: Als Supermarktleiter habe ich auch immer in den Regalen gehangen und Produkte eingeräumt – also nicht nur geleitet, sondern "mit angepackt". Und so werde ich auch als Priester – wenn ich verstärkt Managementfunktionen übernehmen muss – trotzdem meine Messen feiern und als Seelsorger für die Menschen da sein. Ich habe keine Angst vor einer solchen Herausforderung. Und nebenbei: Ich glaube, dass es mir zugutekommt, dass ich aus meinem alten Beruf heraus in der Lage bin, auch mal eine Bilanz zu lesen und ähnliches zu tun. Doch solche Verwaltungsaufgaben dürfen nie im Vordergrund stehen, denn dafür wird man nicht Priester.
Frage: Wie muss denn ein Priester heute sein, und wie wollen Sie ganz persönlich Priester sein?
Nowag: Ich finde, man muss einfach zu der Region und den Menschen in dieser Region passen. Wenn ich in einem frommen Dorf in Bayern arbeite, muss ich ganz anders Pfarrer sein als etwa in Duisburg-Marxloh. Persönlich möchte ich als Priester also nah an den Menschen sein, und da kommt mir natürlich zugute, dass ich ein Kind des Ruhrgebiets bin und hier auch nicht weg möchte. Außerdem will ich mich nicht verbiegen lassen. Die Leute, die mich kennen, sagen mir immer wieder, dass ich meine Bodenständigkeit nicht verloren hätte. Das Ultrafromme liegt mir vielleicht nicht, aber ich bin eben wie ich bin und so möchte ich Priester sein. Durch die Weihe wird man ja kein anderer Mensch.