Theologe Franz Feng spricht über die Situation der Katholiken in China

"Wir müssen geduldig sein"

Veröffentlicht am 24.11.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Kinder haben sich vor einem Altar in einer katholischen Kirche in China für ein Gruppenfoto aufgestellt.
Bild: © privat
China

Bonn ‐ Sein Großvater, ein hoher Beamter, wurde wegen seines Glaubens zur Strafe aufs Land versetzt. Franz Feng selbst ist sich jedoch sicher: Als bekennender Katholik kann man in China mittlerweile gut leben.

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Frage: Herr Feng, Sie sind in China, einem kommunistischen Land, geboren und aufgewachsen. Wie sind Sie selbst katholisch geworden?

Feng: Meine Familie ist seit fünf Generationen katholisch, ich bin also schon katholisch aufgewachsen. Noch in meiner Kindheit in den 1980er Jahren war das sehr schwierig. Viele Leute hatten damals Angst, dass die Kulturrevolution sich wiederholt und Christen erneut verfolgt werden. Mein Großvater zum Beispiel war ein hoher Beamter in der Regierung während der Kulturrevolution. Sein Vorgesetzter hat ihn eines Tages gefragt, ob er Katholik oder Beamter bleiben will. Mein Großvater hat dann gefragt, wo der Unterschied sei. Daraufhin hat der Vorgesetzte ihm gesagt, wenn er Kommunist bleiben wolle, könne er Vorgesetzter in einer großen Stadt werden. Wenn er aber Katholik bleiben wolle, dann müsse er sofort auf das Land gehen und werde alles verlieren. Mein Großvater hat sich für seinen Glauben entschieden und wurde auf das Land geschickt. Da ist er dann als einfacher, armer Bauer geblieben bis zu seinem Tod. Aber er war immer froh, dass er so entschieden hat, und er ist seinem Glauben immer treu geblieben.

Frage: In China gibt es nicht die "eine" katholische Kirche, oder? Es wird doch unterschieden in eine offizielle, regierungstreue Kirche und eine Untergrundkirche, die Rom die Treue hält.

Feng: Aus meiner Sicht gibt es nur eine katholische Kirche. Bis vielleicht vor 20 Jahren hat man unterschieden in eine offizielle und eine Untergrundkirche. Damals gab es auch viele Bischöfe, die nicht durch den Vatikan anerkannt waren. Zurzeit haben wir knapp 100 Bischöfe, von denen die meisten vom Papst anerkannt sind. Deswegen sollte man die Begriffe "Untergrundkirche" und "offizielle Kirche" mittlerweile vorsichtig verwenden. Aus meiner Sicht wäre es zutreffender, zu sagen, dass es Kirchen gibt, die bei den Behörden gemeldet sind, und solche, die es nicht sind. Beide sagen von sich, dass sie römisch-katholische Kirche sind, verbunden mit dem Papst, und dass sie in jeder Messe für ihn beten.

Frage: Wenn es so ist, wie Sie beschreiben – ist dann die Situation für Christen in China besser geworden?

Feng: Ja, das kann man so sagen. Es ist bekannt, dass die Religionsfreiheit in China eingeschränkt ist und dass man sie nicht mit der im Westen vergleichen kann. Aber man muss sagen, dass die Situation sich verbessert hat. Ich bin jetzt 38 Jahre alt. Wenn ich zurückschaue, wie es vor circa dreißig Jahren war… Damals durfte man vieles nicht machen, was heute erlaubt ist. Zum Beispiel war es in meiner Kindheit so, dass die Gottesdienste immer überwacht wurden. Da kamen dann Polizisten oder Staatsbedienstete, die die Messe beobachteten. Und wenn der Priester verreisen wollte, musste er zunächst eine Genehmigung von der Verwaltung einholen. Heute ist viel mehr möglich. Das Gesetz sagt, dass man zwar innerhalb der Kirche oder des Pfarrhauses machen kann, was man möchte, aber außerhalb nicht, man darf zum Beispiel nicht missionieren. Aber das steht eben nur auf dem Papier, in der Realität kann man in vielen Gegenden in China dennoch auf der Straße oder auf dem Markt missionieren. Zumindest im Norden Chinas, wo ich herkomme, ist das kein Problem. Aber China ist ein sehr großes Land, daher kann die Situation in verschiedenen Landesteilen ganz unterschiedlich sein.

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Hongkongs Altbischof Joseph Zen Ze-kiun hat den Vatikan aufgefordert, Chinas Christen stärker zu unterstützen. Die Kirche sollte die Untergrundkirchen zum Widerstand ermutigen, so der Kardinal.

Frage: Wie lebt man als Katholik in China? Kann man einfach so zur Sonntagsmesse gehen?

Feng: Ja, das ist überhaupt kein Problem. Auch in unserer Gemeindearbeit werden wir nicht gehindert. Viele Diözesen bieten zum Beispiel in den Schulferien Kurse für Kinder und Jugendliche zur Glaubensvertiefung an. Ordensangehörige können sogar im Habit rausgehen, Priester mit Römerkragen in die Öffentlichkeit treten. Das ist für uns mittlerweile ein Werkzeug, um zu missionieren: Viele Chinesen haben zum Beispiel noch nie eine Nonne gesehen. Sie werden dann neugierig und fragen nach. Diese Gelegenheit können wir nutzen, um unseren Glauben zu verkünden.

Frage: Gibt es berufliche oder gesellschaftliche Einschränkungen für Christen?

Feng: Wer in einer privaten Firma arbeitet, bei dem spielt der Glaube normalerweise keine Rolle, er ist kein Hindernis für die Karriere. Aber wer in einem staatlichen Betrieb oder einer Behörde arbeitet, für den kann es schwierig werden, wenn er eine gehobene Position wie etwa die Stelle eines Vorsitzenden anstrebt. Dazu muss man nämlich Mitglied der Kommunistischen Partei sein, und das geht nicht für gläubige Christen, denn es wird verlangt, Atheist zu sein. Im alltäglichen Leben jedoch spürt man keinen Unterschied zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen. Vielleicht ist es in kleinen Dörfern auf dem Land noch so, dass es Schwierigkeiten im Zusammenleben gibt, aber in großen Städten nicht.

Frage: Vor kurzem hat sich der chinesische Kardinal Joseph Zen Ze-kiun erneut dagegen ausgesprochen, Bischöfe anzuerkennen, die von der chinesischen Regierung ernannt worden waren. Wie sehen Sie das?

Feng: Wenn man sich die Zeichen der letzten Zeit anschaut, kann man sagen, dass sich die Beziehung zwischen China und dem Vatikan positiv entwickelt hat. Herausragend war da eine Bischofsweihe am 10.11.2016. Der Bischofskandidat war sowohl vom Vatikan als auch von der chinesischen Regierung anerkannt. Er war sogar zuvor von Papst Franziskus ernannt worden! Und bei der Weihe waren der Hauptzelebrant, die Konzelebranten und alle teilnehmenden Bischöfe auch vom Papst anerkannte Bischöfe. Das war das erste Mal seit vielen Jahren. Ich finde, dass das ein gutes Zeichen ist.

Bild: ©privat

Franz Feng ist Theologe und promoviert zurzeit in Deutschland

Frage: Die chinesische Regierung scheint also auf den Vatikan zuzugehen.

Feng: Kardinal Zen hat gewarnt, dass der Vatikan in dieser Angelegenheit vorsichtig sein muss. Meiner Meinung nach zu Recht, weil seit der Gründung der Volksrepublik China die Beziehungen zum Vatikan nicht gerade freundschaftlich waren und die Religionsfreiheit sehr eingeschränkt wurde. Man sollte sich also um eine normale diplomatische Beziehung bemühen und dafür gibt es gute Vorzeichen. Aber man darf das nicht übereilen, es gibt viel, über das man sprechen muss und das man prüfen muss. Wir sollten unseren Glauben nicht um jeden Preis verkaufen.

Frage: Wie groß ist denn das Interesse der Chinesen am Glauben?

Feng: Seitdem die Kommunisten China regieren, wird die kommunistische Ideologie mit der atheistischen Theorie an den Schulen unterrichtet, von der Grundschule bis zur Universität ist sie ein Pflichtfach – bis heute. Nach der Theorie sollen Kommunisten also Atheisten sein. Aber in der Tat ist es anders: Die meisten Chinesen glauben an eine Gottheit – oder zumindest praktizieren sie den traditionellen Ahnenkult und glauben an die Unsterblichkeit der Seelen. Aber das Interesse an Religionen ist durchaus da, vor allem bei den Studenten an den Universitäten, die sich mit westlicher Literatur beschäftigen: Sie haben viel Interesse am Christentum, denn sie lesen in der Literatur oft von Gott und Jesus. Dann wollen sie wissen, was sich dahinter verbirgt, und gehen in christliche Gemeinden, um nachzuforschen.

Frage: In den großen Shoppingmalls in jeder größeren Stadt in China kann man zur Weihnachtszeit Weihnachtsdekoration sehen und Weihnachtslieder hören. Wie passt das Fest mit ursprünglich christlicher Botschaft in ein Land unter kommunistischer Regierung?

Feng: Die Geschäftsleute nutzen alle Strategien, um mehr Geld zu verdienen. Sie haben zu diesem Zweck sozusagen das Fest nach China importiert. Die Geschäftsleute sind also viel schlauer als die Geistlichen – wie es schon im Evangelium steht (vgl. Lk 16,8) [lacht]. Wir Christen müssen auch solche Gelegenheiten zur Verkündigung finden und nutzen. Bis heute ist Weihnachten kein Feiertag in China, stattdessen sind die Kaufhäuser in der Heiligen Nacht offen, man kann vielerorts die ganze Nacht einkaufen gehen. Um die wahre Bedeutung des Festes wissen die meisten nicht. Aber die, die sich fragen, was das bedeutet, kommen dann schon mal in die Gemeinden. Besonders in der Heiligen Nacht: Dann besuchen immer viele Nichtgläubige die Kirchen, um zu erfahren, wie die Christen das Weihnachtsfest feiern. Manchmal sind es mehr Nichtgläubige als Gläubige, die fast schon in die Kirche stürmen. Das ist eine Ermutigung für mich!

Linktipp: Chinas Christen unter verschärfter Kontrolle

Mit immer neuen Regelungen und Gängeleien versucht die chinesische Regierung, die Religionsgruppen im Land unter Kontrolle zu halten. Das bekommen derzeit vor allem die Katholiken zu spüren. (Artikel von September 2016)

Frage: Glauben Sie, das Tauwetter wird anhalten und die Regierung weiterhin zulassen, dass Menschen konvertieren?

Feng: Ich bin da optimistisch. In diesen Zeiten werden die Regierungen, vor allem die chinesische, immer offener. Ich glaube auch, dass man die einmal geöffnete Türe nicht wieder zumachen kann, zum Beispiel wegen der internationalen Wirtschaft. Auch, dass viele Chinesen konvertieren, wird man nicht stoppen können. Ob die Zukunft besser sein wird, das kann ich nicht sagen, aber ich bin mir sicher, dass es nicht schlimmer wird.

Feng: Was ist denn Ihr Wunsch für die Zukunft?

Feng: Mein Wunsch ist, dass der Vatikan mit der chinesischen Regierung eine normale diplomatische Beziehung eingehen wird. Zugleich wünsche ich mir, dass die chinesische Regierung immer mehr für die Interessen des Volkes und des Landes eintreten wird, dass also mehr und mehr Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit herrschen werden. Da müssen wir aber geduldig sein, das weiß ich [lacht].

Frage: Franz ist ja kein chinesischer Name. Wie sind Sie zu Ihrem Vornamen gekommen?

Feng: Das ist mein Taufname. In der katholischen Kirche in China ist es Tradition, dass die Eltern oder die Paten einen Schutzpatron aussuchen. Das ist normalerweise ein westlicher Heiliger. Meine Eltern haben den Heiligen Franz Xaver für mich ausgesucht. Aber dieser Name steht nicht auf meinen Papieren. In China wissen nur meine Eltern und meine Priesterkollegen, dass ich Franz heiße [lacht]. Chinesische Heilige gibt es zwar seit dem Jahr 2000 auch, aber die werden nur selten als Patrone ausgewählt. Westliche Heilige sind viel bekannter und berühmter – und vielleicht auch stärker [lacht].

Zur Person

Franz Feng ist Theologe und promoviert zurzeit in Deutschland. Er hat von 2001 bis 2006 bereits in Deutschland Theologie studiert. Danach kehrte er nach China zurück, um dort im Priesterseminar zu arbeiten. Seit zwei Jahren ist er wieder in Deutschland.
Von Johanna Heckeley