Zauderer und Prophet
Vor einer offiziellen Seligsprechung ist noch der Nachweis einer Wunderheilung auf seine Fürbitte hin erforderlich. Paul VI. hat das von Johannes XXIII. (1958-1963) eröffnete Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) fortgeführt, abgeschlossen und dessen Beschlüsse umgesetzt.
Mit Montini, der am 26. September 1897 als Giovanni Battista im norditalienischen Brescia geboren wurde, bestieg 1963 ein Vatikandiplomat den Stuhl Petri. Nach kurzer Pfarrseelsorge war Montini über drei Jahrzehnte im Staatssekretariat tätig, ab 1937 als Substitut (Innenminister) und enger Vertrauter von Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, dem späteren Pius XII.
In dieser Funktion sorgte Montini während des Zweiten Weltkriegs und unter der deutschen Besatzung maßgeblich dafür, dass in kirchlichen Gebäuden Roms wie auch im Vatikan jüdische Flüchtlinge versteckt wurden. 1954 ernannte Pius XII. ihn zum Erzbischof von Mailand, um ihm pastorale Erfahrung im größten Bistum Europas zu ermöglichen. Beim Konklave nach dem Tod von Johannes XXIII. war Montini Favorit und wurde am 21. Juni 1963 im fünften Wahlgang gewählt.
"Nie wieder Krieg!"
Als Papst setzte Paul VI. das Konzil fort. Als erster Papst der Moderne unternahm er im Januar 1964 eine Auslandsreise, ins Heilige Land. Sein Treffen mit Patriarch Athenagoras in Jerusalem legte den Grundstein für eine neue Ökumene. Als "Jahrhundert-Rede" galt ein Jahr später seine Ansprache vor der UNO in New York mit dem leidenschaftlichen Appell: "Nie wieder Krieg!"
Nach dem Konzil passte Montini die vatikanische Kurie den neuen Aufgaben an. Er errichtete Behörden für eine sich der Welt öffnenden Kirche: für die Ökumene, für Gerechtigkeit und Frieden, für Laien und Familie, für interreligiösen Dialog und Medien. Zudem begann er eine Neufassung des Kirchenrechts CIC, die 1983 abgeschlossen wurde.
Paul VI. steht zweifach im Schatten: seines populären Vorgängers Johannes XXIII. (1958-1963) und seines charismatischen Nachfolgers Johannes Paul II. (1978-2005). Manchem Zeitgenossen galt er als zaudernd und zögerlich; Journalisten karikierten ihn als "römischen Hamlet". Freilich leitete er die Kirche in einer schwierigen Phase großer Umbrüche. Paul VI. litt an deren Folgen - etwa den vielen Laisierungen von Priestern oder dem massiven Einbruch des Gottesdienstbesuchs.
Prägende Sozialenzykliken
Sein Bemühen, die Umbrüche des Konzils behutsam umzusetzen, ging Reformern nicht weit genug. Konservativen Kreisen war er zu progressiv. Die von seinem Außenminister Agostino Casaroli gestaltete vatikanische "Ostpolitik", die mit kleinen Schritten einen Modus vivendi für die Kirchen im Sozialismus suchte, irritierte konservative Politiker nicht nur in Deutschland. Sein polnischer Nachfolger zog die Pläne zur Gründung einer DDR-Bischofskonferenz sofort zurück und schaltete um auf Offensive gegenüber den Kommunisten.
Breite Beachtung fand Paul VI. durch seine prophetischen Friedens und Sozialenzykliken. Durch sie zählt er zu den großen Päpsten des 20. Jahrhundert. Prägend blieb etwa das Zitat seines Dritte-Welt-Schreibens Populorum progressio, wonach "der neue Name für Friede Entwicklung heißt". Auf Kritik und Häme stieß hingegen sein Schreiben Humanae vitae (1968), in dem er die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung als schwerwiegendes Problem beschrieb. Erst Jahrzehnte später wurde die umfassende Sicht auf die personale Würde des Menschen deutlicher erkannt.
Paul VI. wäre der vierte selige Papst des 20. Jahrhunderts. Pius X. (1903-1914) wurde bereits zum Heiligen erhoben. Im Jubiläumsjahr 2000 wurde Johannes XXIII. seliggesprochen, 2011 auch Johannes Paul II. Auch für Pius XII. (1939-1958) hat der Vatikan den heroischen Tugendgrad bestätigt; allerdings wird sein Verfahren durch politische Erwägungen beeinflusst. Daher spricht Vieles dafür, dass Paul VI. als nächster in den Kreis der Seligen aufgenommen wird.
Von Johannes Schidelko