Die Herausforderungen der päpstlichen Kinderschutzkommission

Zollner: Natürlich gibt es Widerstand

Veröffentlicht am 08.03.2017 um 13:30 Uhr – Lesedauer: 
Zollner: Natürlich gibt es Widerstand
Bild: © KNA
Missbrauch

Rom ‐ Die Opfervertreterin Marie Collins ist aus der päpstlichen Kinderschutzkommission zurückgetreten. Wie geht es nun weiter? katholisch.de hat mit dem Jesuiten Hans Zollner gesprochen.

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Bei ihrer Einsetzung 2014 gehörten der päpstlichen Kinderschutzkommission zwei Opfervertreter an: der Brite Peter Saunders und die Irin Marie Collins. Bereits im Februar 2016 hatte Saunders eine "Auszeit" angekündigt, weil er unzufrieden war. Vor einer Woche ist nun auch Collins zurückgetreten. Ihre Begründung: "hartnäckiger Widerstand" in der Kurie. Der Jesuit Hans Zollner gehört der Kommission ebenfalls an. Mit ihm hat katholisch.de über Collins' Rücktritt, die Kompetenzen des Gremiums und das erschreckende Thema Missbrauch gesprochen.

Frage: Pater Zollner, die Kinderschutzkommission sollte auch den Opfern des Missbrauchs eine Stimme geben. Mit dem Rücktritt von Marie Collins gehört nun aber kein Betroffener mehr dem Gremium an. Ist die Kommission damit gescheitert?

Zollner: Natürlich sind der Schock und die Enttäuschung über den Rücktritt von Marie groß. Ich glaube aber, dass nicht einmal sie selbst von einem Scheitern der Kommission sprechen würde. Sie hat in all ihren Interviews seit dem Rücktritt betont, dass sie eine positive Bilanz der Arbeit der Kommission zieht. Marie wird auch weiterhin mit der Kommission sowie dem Kinderschutzzentrum CCP der Universität Gregoriana zusammenarbeiten. Ich selbst würde ebenfalls nicht von einem Scheitern sprechen. In nicht einmal drei Jahren haben wir einiges bewegt, das jetzt leider durch Maries bedauernswerten Rücktritt nicht gewürdigt wird.

Frage: Was wäre das?

Zollner: Es sind Dinge, an denen Marie selbst mitgewirkt hat. Einer der wichtigsten Punkte ist die Schulung von neuen Bischöfen und von Vatikanpersonal, die es vor rund einem Jahr noch gar nicht gegeben hat. In Australien, Südafrika, Irland oder Polen haben gerade Gebetstage für Missbrauchsopfer stattgefunden, die auf unsere Initiative hin entstanden sind. Das ist mehr als eine schöne Geste, da sich Kirche und Gesellschaft dadurch mit dem Thema Missbrauch auseinandersetzen müssen. Auch für das Apostolische Schreiben "Wie eine liebende Mutter" aus dem Juni 2016, in dem es um den Umgang mit Bischöfen geht, die Missbrauch vertuscht haben, haben wir Ideen geliefert.

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Frage: Trotz der Erfolge ist mit Marie Collins ja die zweite Opfervertreterin aus der Kinderschutzkommission ausgeschieden. Vor einem Jahr hatte bereits Peter Saunders eine "Auszeit" genommen. Wieso funktioniert die Zusammenarbeit nicht?

Zollner: Die beiden Fälle muss man sicher unterscheiden. Peter Saunders' Auszeit ist genau gesehen eine Suspendierung, da er gegen die internen Regeln der Kommission verstoßen hat. Er hat aus Sitzungen berichtet und damit gegen das Prinzip der Vertraulichkeit verstoßen, das wir zuvor gemeinsam beschlossen hatten. Er hat außerdem als Mitglied der Kommission diese und den Papst öffentlich kritisiert. Bei Marie gab es andere Gründe. Sie spricht davon, dass einige Männer im Vatikan nicht verstehen, wie wichtig das Thema ist. Dass die Glaubenskongregation im Dezember erklärt hat, Briefe von Missbrauchsopfern nicht beantworten zu können, hat das Fass für sie zum Überlaufen gebracht. Ihre Geduld wie auch ihre Kraft waren am Ende.

Frage: Wo genau liegt das Problem?

Zollner: Alle, und besonders Betroffene von Missbrauch wie Marie wollen, dass es beim Thema Aufarbeitung und Prävention von Kindesmissbrauch schnell und konsistent vorangeht. Doch man muss leider sagen, dass nicht alle Vatikanmitarbeiter und auch nicht alle Bischofskonferenzen oder Bischöfe mit der Schnelligkeit, Klarheit und Intensität reagieren, wie es nötig wäre.

Frage: Würden Sie sagen, dass es bei Opfervertretern vielleicht auch eine überhöhte Erwartungshaltung gegeben hat?

Zollner: Ich würde sagen, dass den meisten Menschen nicht klar ist, welche Aufgabe und welche Kompetenzen die Kinderschutzkommission hat – obwohl es vielfach erläutert worden ist. Die Kinderschutzkommission ist ein Beratungsgremium des Papstes. Sie macht Vorschläge, die der Papst aufnimmt, unter Umständen modifiziert und dann weitergibt. Sie hat keine rechtlichen Kompetenzen. Im Fall von Missbräuchen kann nicht sie, sondern können nur die Glaubenskongregation sowie die Heimatbischöfe und Provinziale die Täter verurteilen.

Opfervertreter Peter Saunders nimmt seit Anfang Febraur eine "Auszeit" von seiner Mitarbeit in der vatikanischen Kinderschutzkommission.
Bild: ©picture alliance / AP Photo

Opfervertreter Peter Saunders nimmt seit Anfang Febraur 2016 eine "Auszeit" von seiner Mitarbeit in der vatikanischen Kinderschutzkommission.

Frage: Als ehemaliges Mitglied wird Marie Collins ja um die Aufgaben und Kompetenzen gewusst haben. Sie kritisiert ja auch nicht die Kommission selbst, sondern den "hartnäckigen Widerstand" einiger Kurienmitarbeiter. Wie sehen Sie das?

Zollner: Natürlich gibt es Widerstand, aber nicht speziell gegen Opfervertreter oder die Kinderschutzkommission. Das ganze Thema Missbrauch ist zutiefst schrecklich und erschreckend. Sich damit auseinanderzusetzen und sich dem zu stellen, erfordert viel Mut. Und ich glaube, dass das vielen Klerikern, aber auch Nicht-Klerikern sehr schwer fällt. Das beschränkt sich nicht nur auf die Kurie. Ich habe am Montag – drei Jahre nach Einrichtung der Kommission – zum ersten Mal vor italienischen Bischöfen in Bologna über das Thema sprechen können. Ähnlich war es vor ein paar Wochen in Ecuador und Kolumbien, und ähnlich wird es nächste Woche in Malawi sein. Man muss konstatieren, dass das Thema Missbrauch noch nicht weltweit angekommen ist. Nicht in der Kirche, aber auch nicht in der Gesellschaft. Aber heute lässt es sich nicht mehr wegwischen. Das ist auch ein Verdienst der Kommission: Sie hat es in die Weltöffentlichkeit getragen. Die Frage bleibt, ob sich die Verantwortlichen in der Kirche dem Thema aktiv und aus eigener Motivation stellen oder erst dann, wenn Skandale öffentlich werden.

Frage: Oder wenn es Befehle aus Rom gibt...

Zollner: Das ist ein Metathema bei der ganzen Sache. Auf der einen Seite kritisiert man Rom – zum Teil zu Recht –, dass nicht kohärent mit dem Thema Kindesmissbrauch umgegangen wird. Auf der anderen Seite setzen Bischofskonferenzen bis heute Anweisungen der Glaubenskongregation aus dem Jahr 2011 nicht um. Man kann sich natürlich fragen, warum niemand diese zur Rechenschaft zieht. Ganz einfach: Weil die Kirche keine Mechanismen hat, ganze Bischofskonferenzen zu sanktionieren. Auch fünf Jahre nach Ablauf der von Rom gesetzten Frist haben zum Beispiel einige westafrikanische Länder keine Richtlinien für den Umgang mit Missbrauchsopfern und Tätern.

Frage: Wie geht es nun mit der Arbeit der Kinderschutzkommission weiter? Wird eine Opfervertreterin nachnominiert?

Zollner: Das glaube ich deshalb nicht, weil das erste dreijährige Mandat der Kommission mit Ende dieses Kalenderjahres ausläuft. In den nächsten Wochen werden wir dem Papst Vorschläge unterbreiten, wie es weitergehen soll. Das bedeutet aber nicht, dass die Stimmen der Opfer ohne Marie nicht mehr repräsentiert wären. Seit ihrem Rücktritt habe ich viel Post und Anrufe von Betroffenen bekommen, die uns zum Weitermachen auffordern. Und das werden wir tun. Die Arbeit der Kommission wird weitergehen – auch nach 2017.

Zur Person

Der Jesuit Hans Zollner lehrt am Institut für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er gilt als einer der führenden kirchlichen Fachleute auf dem Gebiet des Sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche und gehört der päpstlichen Kinderschutzkommission an.
Von Björn Odendahl