Zwischen Traum und Albtraum
Fast wie eine Vorsehung wirkt es nach den neuen politischen Entwicklungen, dass schon vor vier Jahren beschlossen wurde, den Staat 2016 zum Schwerpunktland des Weltgebetstags zu machen. "Als wir diese Herausforderung 2012 annahmen, konnten wir uns nicht einmal ansatzweise vorstellen, welche Dinge in unserem Land passieren würden", sagt Ormara Nolla. Sie ist die Vorsitzende des Kubanischen Weltgebetstagskomitees und hat mit rund 20 Christinnen verschiedener Konfessionen die diesjährige Gottesdienstordnung für den Gedenktag vorbereitet, der traditionell am ersten Freitag im März auf der ganzen Welt begangen wird.
Reich Gottes wie die Kinder annehmen
2016 steht er unter dem Motto "Nehm Kinder auf und ihr nehmt mich auf". Durch diesen Leitsatz wollen die Frauen das oft nicht ganz einfache Zusammenleben der unterschiedlichen Generationen auf Kuba in den Blick nehmen. Auch der zentrale Lesungstext aus dem Markus-Evangelium nimmt diesen Gedanken auf (Mk 10,13-16): In den Versen aus dem sogenannten Kinderevangelium mahnt Jesus die Gläubigen, das Reich Gottes derart anzunehmen wie auch die Kinder es tun würden.
Der Gottesdienstentwurf für den Weltgebetstag geht auch auf die Situation der Frauen auf Kuba ein, deren Lage ambivalent ist: Einerseits ist trotz eingeschränkter Meinungs- und Pressefreiheit die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Verfassung niedergeschrieben. Doch hinkt die Wirklichkeit diesem Anspruch deutlich hinterher. Wie das deutsche Komitee für den Weltgebetstag berichtet, lastet oft eine doppelte Last auf den Schultern der Frauen: Sie sind berufstätig, aber gleichzeitig verantwortlich für Haushalt, Kinder und die Pflege Angehöriger.
Immer wieder in die Schlagzeilen geraten auch Maßnahmen des kubanischen Regimes gegen die sogenannten "Damen in Weiß" – eine Gruppe von Frauen, deren Männer oder Söhne wegen des Eintretens für Meinungs- und Pressefreiheit verhaftet wurden. Sie schließen ihre Protestaktionen oft an Gottesdienste in der Pfarrei Santa Rita in Havanna an, wo auch Papst Franziskus bei seinem Besuch Station machte. Aus Anlass des Weltgebetstags weist etwa die Menschenrechtsorganisation "Anmesty International" auf die immer häufigeren Kurzinhaftierungen der "Damas de Blanco" hin. Sie hat eine Petition für Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf Kuba gestartet.
Insel mit langer kolonialer Geschichte
Auch das Titelbild des diesjährigen Weltgebetstags erzählt vom Leben auf Kuba. Das Werk der jungen kubanischen Künstlerin Ruth Mariet Trueba Castro zeigt einen Blick aus einem Fenster. Davor steht ein farbiges Kind an der Hand einer Frau mit heller Hautfarbe – aufgrund seiner langen kolonialen Geschichte leben auf der Insel ganz unterschiedliche Ethnien zusammen.
Auf die beiden fährt ein einfacher Pferde- oder Eselskarren zu – Gefährte, die in Kuba noch heute ganz selbstverständlich benutzt werden, um Menschen oder Güter transportieren. Teile des Rahmens in der Zeichnung sind in den Farben der kubanischen Flagge gestaltet. "Im Bild der Künstlerin lädt uns die symbolische Fenster- und Türöffnung ein in deren Heimatland. Für die Menschen in Kuba wiederum eröffnen sich neue Perspektiven", so wird das Kunstwerk auf den Internetseiten des Weltgebetstags erklärt.
Nach Schätzungen sind rund 60 Prozent der rund 11,4 Millionen Kubaner katholisch. Sie bereiteten Papst Franziskus bei seiner Reise im September 2015 einen begeisterten Empfang. Mit ihnen werden sich heute viele deutsche Gläubige eng verbunden fühlen: Rund 700.000 Exemplare der Gottesdienstordnung hat allein das hiesige Komitee für den Weltgebetstag verkauft, weswegen Sprecherin Lisa Schürmann mit rund einer Million Gottesdienstbesuchern rechnet.