Der historische Jesus
Sie sind aus dem Abstand mehrerer Jahrzehnte geschrieben worden, enthalten aber zahlreiche mündliche und schriftliche Überlieferungen aus früherer Zeit. Die Evangelien sind Zeugnisse des christlichen Glaubens, der die Erinnerung an Jesus lebendig halten will. Sie heben im Rückblick hervor, was am Wirken und Leiden Jesu besonderen Eindruck gemacht hat. Sie tauchen die Geschichte Jesu ins Licht des Glaubens an die Auferstehung.
Nach heutigem Forschungsstand hat Markus als erster (um 70 n. Chr.) ein Evangelium geschrieben. Matthäus und Lukas haben das Markusevangelium als Quelle benutzt, aber viele weitere, teils uralte Traditionen aufgegriffen. Einen eigenen Weg geht Johannes. Sein Evangelium gilt als das "geistliche", weil es Jesus, den "Sohn" in seiner tiefen Einheit mit Gott, dem "Vater" zeigt.
Neben den vier neutestamentlichen Evangelien gibt es kurze Jesuszitate bei Paulus. Überdies entsteht ab dem 2. Jh. eine reiche "apokryphe" Jesusliteratur. "Apokryph" heißt "geheim"; oft handelt es sich um Bücher, die nur für einen kleinen Teil von Eingeweihten gedacht worden sind. Viele erzählen von der Kindheit Jesu, andere von Offenbarungen des Auferstandenen an seine Jünger, einige auch von der Verkündigung des irdischen Jesus. Ihre historische Substanz ist allerdings sehr dünn. Ganz kurz wird Jesus auch bei jüdischen und römischen Schriftstellern erwähnt (Flavius Josephus, Tacitus, Sueton). Allerdings lassen sie kein detailliertes Bild erkennen.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Evangelien erkennen und bewerten
Der Quellenwert der Jesusüberlieferung wird mit genau denselben Methoden überprüft wie jeder andere antike Text über jede andere Person. Wichtig sind genaue Vergleiche zwischen den Evangelien; sie lassen Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen, die historisch bewertet werden müssen. Durch sprachliche Analysen am Urtext lässt sich – mit großer Vorsicht – in einer Reihe von Fällen vom überlieferten Evangeliumstext auf eine ältere Version schließen, die eingearbeitet worden ist. Ganz wichtig ist es, Jesus in das Judentum seiner Zeit einzuordnen: vom Gottesdienst bis zur Arbeitswelt. Weil im Falle Jesu die Erwartungen, Verlässliches zu erkennen, besonders hoch sind, muss auch die wissenschaftliche Sorgfalt besonders hoch sein.
Die Quellen erlauben es nicht, eine umfassende Biographie Jesu zu schreiben; aber sie liefern eine Grundlage, um Eckdaten seines Lebens und vor allem zentrale Themen seiner Verkündigung zu beschreiben.
Zum Autor
Dr. Thomas Söding ist Professor am Lehrstuhl für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum. Die Schwerpunkte seiner Arbeit in Forschung und Lehre sind die Exegese der Evangelien, die paulinische Theologie, die Theorie und Praxis der Schriftauslegung sowie die Ökumene. Außerdem ist Söding Konsultor des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung.Der neutestamentlichen Überlieferung nach wurde Jesus in Bethlehem zur Zeit des Königs Herodes geboren (Matthäus 1-2; Lukas 1-2). Die Geburt war nach heutiger Rechnung ca. 6 v. Chr. Jesus stammte aus einer Handwerkerfamilie und übte selbst den Beruf eines Zimmermanns aus (Markus 6). Seine Mutter ist Maria; Josesph ist nach dem Neuen Testament sein Adoptivvater. Die Kindheitsgeschichten sprechen von einer Jungfrauengeburt, gewirkt durch den Heiligen Geist, gemäß alttestamentlicher Verheißung (Jesaja 7,14, in der griechischen Version). Der Name "Jesus" heißt "Gott hilft".
Über die Kindheit und Jugend nichts Sicheres bekannt
Über die Kindheit und Jugend Jesu ist nichts Sicheres bekannt. Die neutestamentlichen Evangelien konzentrieren sich auf die kurze Zeit seines öffentlichen Lebens und Wirkens. Matthäus, Markus und Lukas erzählen von einem Jahr, Johannes erzählt von zwei bis drei Jahren. Allen vier Evangelien umreißen den geographischen Rahmen zwischen Galiläa, besonders dem See Genezareth, und Jerusalem, füllen ihn aber unterschiedlich.
Das sicherste Datum der Biographie Jesu ist sein Tod am Kreuz "unter Pontius Pilatus" (Matthäus 24; Markus 15; Lukas 23; Johannes 19). Er lässt sich ziemlich genau auf den 14. oder 15. Nisan (7./8. April) des Jahres 30 (oder 33) n. Chr. datieren. Jesus wurde als "König der Juden" hingerichtet, weil man ihn als einen politischen Aufrührer hingestellt hat (der er nicht war). Historisch gesichert ist auch, dass der Beginn seines öffentlichen Wirkens mit der Taufe im Jordan durch Johannes begonnen hat (Matthäus 3; Markus 1; Lukas 3; Johannes 1).
Das zentrale Thema der Verkündigung Jesu ist das Reich Gottes. Dieses Reich ist die große Hoffnung Israels auf vollendetes Heil für alle. Dass es nahegekommen sei, ist die Grundbotschaft Jesu (Mk 1,15). Er offenbart diese Nähe in vielen Gleichnissen und Heilungen, im Gespräch mit seinen Jüngern und im Streit mit seinen Gegnern. Sie ist mit ihm verbunden. Der Anspruch, den Jesus dadurch erhoben hat, ist ihm zum Vorwurf gemacht worden. Er hat zu seinem Tod geführt. Jesus hat ihn aus Treue zu seiner Sendung angenommen und ist ihn in der Hoffnung auf die Auferstehung gestorben.