Muttersorgen
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Was hat sie nicht schon alles von ihren Kindern erdulden müssen, unsere heilige Mutter Kirche! Noch zu gut erinnere ich mich daran, dass in meinen Studententagen bürgerliches Heiraten nicht gerade en vogue war. Wer als wenigstens einigermaßen fortschrittlich gelten wollte, führte eine manchmal auch nur dem Namen nach wilde Ehe. Wenn er oder sie es nicht gleich vorzog, eine der vielen Spielarten von Wohngemeinschaften oder Kommunen auszuprobieren.
Mutter Kirche war das damals gar nicht recht. Sie beharrte darauf, dass nach ihrer Meinung und Gottes Willen nur ein vor ihren Altären gegebenes Ja-Wort eine echte Ehe begründen könne. Doch das Argument, allein eine kirchlich geschlossene Ehe sei eine Verbindung, die Gott segne, fanden wir irgendwie kleinkariert: Etwas liebevoller und großzügiger hatten wir uns unseren Gott schon vorgestellt.
Und heute? Heute wäre Mutter Kirche wahrscheinlich froh, wenn sie es immer noch nur mit ein paar Männern und Frauen zu tun hätte, die ohne Trauschein mit jemandem des jeweils anderen Geschlechts zusammenleben wollten. Stattdessen ist in dieser Woche nun aber mit der Wucht und Plötzlichkeit eines sommerlichen Gewittersturms die politische Forderung nach einer "Ehe für alle" über sie hereingebrochen. Das, was vor einer Generation noch ein Ladenhüter zu sein schien, liegt nun ganz vorn in der Auslage: Heiraten im Standesamt soll nun jeder können, gleich ob heterosexuell, homosexuell oder was auch immer.
Mutter Kirche graust es nicht nur, sie sieht auch ihre Lehren und Traditionen in einem wesentlichen Punkt missachtet. Um einige Jahrzehnte gelassener geworden und der wilden Ehe selbst längst entwachsen, möchte ich ihr in dieser Situation quasi tröstend den Arm um ihre vor Trauer oder Zorn zuckenden Schultern legen. "Schau", würde ich dann sagen, "es ist doch nur der Staat, der hier in seinem Bereich die Lebensverhältnisse seiner Bürgerinnen und Bürger neu regelt. Du kannst auch weiterhin die Ehe einzig als Verbindung von Mann und Frau betrachten, Scheidungen ablehnen und den Kinderwunsch zur Bedingung für eine gültige Ehe machen. Ein Sakrament ist doch etwas ganz anderes als ein staatlicher Rechtsakt."
Wenn sie sich dann wieder etwas beruhigt hätte, weil auch andere ihrer Kinder sie in ähnlicher Weise zu trösten versuchten, würde ich dann allerdings mit meiner Mutter Kirche über Gottes Barmherzigkeit reden wollen. Und darüber, ob unserem Vater im Himmel nicht vielleicht doch die liebende Verbindung zweier Männer oder zweier Frauen ebenso viel wert ist wie die eines Mannes und einer Frau …