Pater Klaus Mertes über die Ermordung des Widerstandskämpfers Helmuth James von Moltke

Ökumene der Märtyerer

Veröffentlicht am 20.07.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Helmut James Graf von Moltke sitzt in einem Gerichtssaal.
Bild: © KNA
Geschichte

Berlin ‐ In seiner Enzyklika "Tertio Millennio Adveniente" schreibt Johannes Paul II. : "Der Ökumenismus der Heiligen, der Märtyrer, ist vielleicht am überzeugendsten. Die Gemeinschaft der Heiligen spricht mit lauterer Stimme als die Urheber der Spaltung." (Nr. 37)

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Märtyrer-Gefährtenschaft

Wenn das so ist – und es ist ja so –, warum wird dann im Land der Reformation nur so leise darüber gesprochen, dass in demselben Land, "Gott unter den Getauften die Gemeinschaft unter dem höchsten Anspruch des mit dem Opfer des Lebens bezeugten Glaubens" aufrecht erhielt (vgl. Ut unum sint, Nr. 84). Wie kann man auf 1517 zurückblicken, ohne sich den Blick durch 1944/45 verstellen zu lassen?

Zwei Briefmarken
Bild: ©KNA

Sonderbriefmarken der Deutschen Post aus dem Jahr 2007: 100. Geburtstag Claus Schenk Graf von Stauffenberg und 100. Geburtstag Helmuth James Graf von Moltke. Die Marke mit einem Wert von 55 Cent zeigt Portraits der beiden.

Kurze Erinnerung an das besonders markante Beispiel der Märtyrer-Gefährtenschaft von Alfred Delp SJ und Helmuth J. von Moltke: Gemeinsam standen sie am 10. Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof (Foto oben: Graf von Moltke), der sie zum Tode verurteilte: Man hatte ihnen nichts anderes nachweisen können als dies, dass sie miteinander im Kreisauer Kreis gesprochen hatten.

Was die Gefährten aber am Prozessverlauf überraschte, war: Der Anklagepunkt wurde dahingehend präzisiert, dass sie als Christen miteinander über die Zukunft Deutschlands konferiert hatten. Seiner Frau Freya schreibt Moltke: "Und dann wird dein Wirt ("Wirt" ist die übliche Selbstbezeichnung Moltkes in den Briefen an seine Frau) ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das ist alles ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen –, sondern als Christ und als gar nichts anderes … Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist Dein Wirt ausersehen gewesen: All die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war."

Geschichtstheologische Deutung

Und er fügt in eindrucksvoller Souveränität hinzu: "Das hat den ungeheuren Vorteil, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a. gemacht haben, und was b. sich lohnt."

Das Reformations-Jubiläum 2017 wäre eigentlich ein Anlass, diese beiden Texte radikal ernst zu nehmen. Eine "gewaltige Aufgabe" entdeckt Moltke. Es ist nicht mehr die Aufgabe, Deutschland nach dem Krieg wieder aufzubauen, sondern die noch größere, die Konfessionsgrenzen durch das Martyrium zu überschreiten, letztlich also: Die Kirche neu aufzubauen.

Dazu sieht er sich rückblickend "ausersehen". Das ist biblischer Sprachstil, "passivum divinum". Moltke, der mit seinen Gefährten in der Gefangenschaft intensiv die Bibel gelesen hat, kennt die Sprache der Bibel. Er deutet sein Todesurteil geschichtstheologisch: Gott handelt in diesem Prozess selbst. Er hat Moltke "ausersehen". Er gibt den ganzen Jahren vorher bis hin zum Prozess "nachträglich einen Sinn, der verborgen war." Und dieser Sinn heißt: Ökumene. Für Moltke "lohnt" es sich, dafür zu sterben. Das ist der innere Friede, die "ignatianische" Tröstung im Heiligen Geist, welche die theologische Erkenntnis Moltkes bestätigt.

Schritte hin auf die volle Communio

Glauben wir als Katholiken und Protestanten heute das, was Moltke da sagt? Wenn wir es glauben, dann hat das Konsequenzen. Dann ist das, was am 31. Oktober 1517 in Wittenberg seinen sichtbaren Ausgang nahm, am 10. Januar 1945 in Berlin schon von Gott her überwunden worden. Wie kann man dann stehen bleiben und nicht eilends Schritte auf die volle Communio hin machen wollen? Die Ökumene der Märtyrer jedenfalls ist die eigentliche theologische Herausforderung an die Christenheit heute.

Von Pater Klaus Mertes SJ

Der Artikel ist im Original in der Zeitschrift "Jesuiten", Ausgabe 2/2014 erschienen. Der Autor, Pater Klaus Mertes, ist Jesuit und Direktor des katholischen Kolleg St. Blasien im Schwarzwald.

Hintergrund: 70 Jahre Hitler-Attentat

Das gescheiterte Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler ist heute genau 70 Jahre her. Einer, der ebenfalls Widerstandskämpfer war, ist Helmuth James Graf von Moltke. Er gründete den Kreisauer Kreis, eine Widerstandsgruppe, der sich auch von Stauffenberg anschloß. Schon im Januar 1944 wurde Moltke von den Nationalsozialisten verhaftet. In der Haft entwickelte sich eine enge Freundschaft zu dem Jesuiten Alfred Delp, der ebenfalls gegen Hitler opponiert hatte. Beide wurden 1945 hingerichtet. (gho)