Dokument des Schreckens
Der Junge berichtete dem Pfarrer, dass es von den Unterlagen zu Hause noch viel mehr gebe. Denn wenn die Familie Papier zum Schmieren oder eben für einen Einband brauche, bediene sie sich immer an diesem dicken Buch auf dem Dachboden. Der Geistliche ließ es daraufhin kommen - und sorgte so dafür, dass das "Hexenprotokoll von Flamersheim" aus den Jahren 1629/1630 der Nachwelt erhalten blieb.
Flamersheim ist heute ein Stadtteil von Euskirchen. Und dort stellte Claudia Kauertz von der Archivberatung des Landschaftsverbandes Rheinlandes (LVR) jetzt dieses Hexenprotokoll vor - aber nur digital.
Odyssee eines historischen Dokuments
Denn obwohl der Flamersheimer Pfarrer vor mehr als 150 Jahren das Original gerettet hatte, endete die Odyssee des Dokuments noch lange nicht. Der Weg der Schrift führte auf kuriose Art und Weise in die Vereinigten Staaten, wo Kauertz sie ausfindig machte und in eine Online-Version überführen ließ.
Was die LVR-Expertin herausgefunden hat, lässt sich so zusammenfassen: Der Pfarrer gab das Buch seinem Vetter Gottfried Eckert, der Lateinlehrer in Köln und begeisterter Sammler von Quellen zur rheinischen Geschichte war. Als Eckert dann 1897 starb, machten seine Söhne die historischen Dokumente zu Geld, indem sie diese an Antiquariate verkauften. Dort stieß schließlich der amerikanische Hexenforscher George Lincoln Burr auf das Protokoll. Und Burr, Bibliothekar der Cornell University, vermacht das Dokument neben vielen anderen der Hochschulbücherei, wo es Kauertz im August ausfindig machte. Ihrer Bitte, die 54 doppelseitig beschriebenen Blätter zu digitalisieren, kam die Bibliothek nach, obwohl der Zustand des Buchs dies kaum zuließ.
Die Akten, die einst als Reserveblock benutzt wurden und deshalb auf den Anfangsseiten, in der Mitte und am Ende Lücken aufweisen, werfen ein Licht auf die grausame Praxis der Hexenverfolgung insgesamt und auf die im Rheinland. Genaue Zahlen über die Opfer gibt es noch nicht, da vieles noch gar nicht erforscht ist. Aber Experten schätzen, dass zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert allein im Rheinland mindestens 1.000 Menschen als Hexen verbrannt wurden - nicht nur Frauen, auch Männer und Kinder, sogar Priester. Deutschlandweit waren es rund 60.000.
Pakt mit dem Teufel und Hexentanz
Das wiederentdeckte Flamersheimer Hexenprotokoll berichtet von fünf Frauen aus dem benachbarten Kirchheim, die als Hexen angeklagt wurden - allesamt alleinstehende, verwitwete oder von ihren Männern verlassene Frauen. Drei von ihnen fanden laut Protokoll den Tod, bei zweien bleibt offen, was letztlich mit ihnen geschah. Die Opfer traf der Vorwurf, mit dem Teufel einen Pakt eingegangen oder zum Hexentanz geflogen zu sein und bei der vermeintlichen Sause Satan gehuldigt zu haben. Eine der Frauen hatte angeblich Vieh mit einem Schadenszauber belegt.
Als Zeugin zitiert das Protokoll die Äbtissin des nahe gelegenen Kloster Schweinheim, Sibilla von Kinzweiler. Sie berichtet darüber, dass "ein fahles Pferd unterwegs krank wurden und in Ahrweiler gestorben" sei. Und noch ein anderes "schönes graues Pferd" habe sich etliche Tage "gar übel angestellt", bevor es gestorben sei.
Entdeckt wurde das Flamersheimer Hexenprotokoll im Rahmen des Forschungsprojektes "Herren und Hexen. Hexenprozesse in der Nordeifel und in angrenzenden Regionen". Dabei kooperieren seit Jahresbeginn der Geschichtsverein für den Kreis Euskirchen , der Lehrstuhl für Geschichtliche Landeskunde in Trier und der Landschaftsverband. Das wiedergefundene Dokument bietet den Wissenschaftlern noch viel Stoff - vor allem da, wo durch das Abreißen der Blätter nur Fragmente übrig geblieben sind.
Von Andreas Otto (KNA)