Die Wurzel des Hasses
Die Anfangsphase in den Beziehungen der beiden Buchreligionen ist geprägt von der Expansion des Islams. Beim Tod Mohammeds 632 hatte sich der Islam bereits auf der ganzen arabischen Halbinsel ausgebreitet. Die Nachfolger des Propheten, die Kalifen, führten die Verbreitung des Islams mit dem Schwert fort. Nach 100 Jahren kontrollierten sie ein Gebiet, das sich von den Pyrenäen bis nach Indien erstreckte. Die eroberten Territorien im Westen bewohnten mehrheitlich Christen.
Die "Ungläubigen" im Koran
Richtlinien, wie mit den neuen Untertanen umzugehen sei, fanden die Eroberer in ihrem heiligen Buch, dem Koran. Die Christen werden dort anerkennend als "Volk der Schrift" bezeichnet (Sure 5,Vers 77) und von den Heiden abgegrenzt. Letztlich seien sie jedoch ungläubig, da sie an die Dreifaltigkeit (5,73) und die Gottessohnschaft Jesu glauben. Den Gläubigen rät der Koran, sich keine Christen zu Freunden zu nehmen (5,51). An mehreren Stellen werden die Muslime aufgefordert, "Ungläubige" zu töten (zum Beispiel 4,89). "Die meisten Muslime interpretieren diese Stellen aber nicht als Erlaubnis, Christen umzubringen", erläutert Christine Schirrmacher, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Bonn, im Interview mit katholisch.de.
In der Praxis zeigten sich die Eroberer relativ tolerant ihren neuen Untertanen gegenüber. Zwangskonversionen gab es selten. Auch ihren Glauben durften die Christen weiterhin ausüben. Dafür mussten sie aber eine spezielle Kopfsteuer abtreten. Der Bau von neuen Kirchen war ihnen jedoch untersagt. Verbote – Christen durften nicht auf Pferden reiten und keine Waffen tragen – und Kleidungsvorschriften sollten ihren niederen Rang gegenüber den Muslimen kenntlich machen. Auch wenn die Dhimmis, so bezeichnet die islamische Rechtstradition Monotheisten, rechtlich betrachtet Bürger zweiter Klasse waren, ist ihr Status im Vergleich zu Andersgläubigen in den damaligen christlichen Gefilden zumeist positiver zu bewerten.
Die Ära von al-Andalus
Zum Synonym für den moderaten Umgang muslimischer Herrscher mit nicht-muslimischen Untertanen ist die Epoche der maurischen Dynastien auf der Iberischen Halbinsel geworden. Im Mittelalter beispiellos war das friedliche Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden in Al-Andalus, wie die arabischen Bewohner die Halbinsel bezeichneten. Neben der religiösen war es auch die kulturelle Toleranz, die Al-Andalus zum multi-kulturellen Schmelztiegel werden ließ. "Al-Andalus war eine einzige Kultur mit drei Religionen: Islam, Judentum und Christentum", erklärt Emilio Ferrín , Professor für Arabistik in Sevilla. Doch 1492 fiel mit Granada die letzte Festung der Mauren an die Heerscharen der katholischen Könige. Unmittelbar nach der "Reconquista" wurde das Alhambra-Edikt verabschiedet: Die Juden und verbliebenen Mauren mussten Spanien verlassen.
1453 eroberten die Osmanen Konstantinopel. Ein weiteres Mal konnte der islamische Herrschaftsbereich auf den europäischen Kontinent ausgeweitet werden. Erst vor den Toren Wiens stoppte der Vormarsch der osmanischen Armee. Den rechtlichen Status der Nichtmuslime in den einverleibten Gebieten regelte das Millet-System , das mit Andersgläubigen ähnlich verfuhr wie das Rechtssystem in Al-Andalus.
1683 scheiterte die letzte Belagerung Wiens. Der Niedergang des Osmanischen Imperiums war eingeläutet. Spätestens im 19. Jahrhundert war der "Kranke Mann am Bosporus" nur noch ein Spielball der europäischen Mächte. Mit ihrer wirtschaftlichen und technischen Überlegenheit schafften es die Europäer, in den Orient einzudringen und Kolonien zu errichten, dessen Kontrolle den Osmanen zunehmend entglitt.
Die Schmach der Kolonialisierung
Die Unterwerfung unter die kolonialen Obrigkeiten empfanden viele Muslime in Nordafrika und im Nahen Osten als Schmach. Zumal die Europäer die Religionszugehörigkeit zum Vorwand für diskriminierende Gesetze nahmen: Häufig verwehrten sie den muslimischen Einheimischen politische Rechte und den Zugang zu öffentlichen Ämtern. "Der Kolonialismus führte zu einseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit, zu großen sozioökonomischen Problemen und zur politischen Instabilität", erklärt Gerhard Czernak , Autor des Buches "Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht". Dieser Zustand war für gläubige Muslime unvereinbar mit dem eigenen Selbstverständnis, nach dem der Islam die vollendete Religion sei. Schließlich hatte Gott Mohammed als letztem Propheten nach Ibrahim (Abraham), Mussa (Moses) und Issa (Jesus) seine eigenen Worte diktiert. Als Antwort auf die eigene Unterlegenheit entstand im 19. Jahrhundert, der Hochphase des europäischen Imperialismus im Orient, der politische Reformislam.
Während einige Strömungen für eine Modernisierung plädierten und westliche Ideen mit in ihre Reformpläne miteinbezogen, wandten sich die Anhänger der Salafyia gegen jegliche Übernahme westlicher Ideen. Bis heute findet diese fundamentalistische Prägung des politischen Islam geistige Nachfolger. Den Grund allen Übels sehen die Salafisten in der Zerrissenheit der islamischen Gemeinschaft und in der "Verunreinigung" des Islam durch fremde Einflüsse. Um die ursprüngliche "Reinheit" ihrer Religion wiederherzustellen, halten sie die wortwörtliche Auslegung des Korans für unerlässlich. Die Geschichte interpretieren die Salafisten als einen ständigen Kampf zwischen "Glaube" und "Unglaube". Ihr Ziel ist es, den "Unglauben" zu besiegen und alle Muslime in einem Gottesstaat zu vereinen.
Im Interview mit katholisch.de erklärt Christine Schirrmacher, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Bonn, warum sich die Situation der Christen im Orient verschlechtert hat.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, sich der kolonialen Obergewalt zu entledigen. Die Machthaber der neu entstandenen Nationalstaaten bekämpften alle, die darin bestrebt waren, die Gesellschaft nach dem Wertesystem des ursprünglichen Islams umzuformen. An der Spitze dieser Staaten standen zumeist Despoten mit ihren Clans, die, je nach politischer Ausrichtung, unter der Schutzherrschaft der Sowjetunion oder der USA standen. Mit deren Hilfe gelang es ihnen, die Kontrolle über Staat und Wirtschaft der jeweiligen Länder zu gewinnen und sich auf Kosten des Volkes zu bereichern. Ein System, das in den Augen der Salafyia allein fremden Mächten und ihren Helfern dazu diente, Muslime auszubeuten.
Die Hegemonie des Islam als Ziel
Genährt wurde diese Argumentation durch die Politik der USA und ihrer Verbündeten nach Endes des Kalten Krieges: In dem Bemühen, ihren Einflussbereich auf die ehemaligen Verbündeten der zusammengebrochenen Sowjetunion zu erweitern und die chronisch politisch zerrüttete Region zu stabilisieren, intervenierten sie – auch mit militärischen Mitteln. In den Augen der islamischen Fundamentalisten war dies nur die Fortführung des Kolonialismus und ein weiterer Beweis für die "Verschwörung des Westens gegen den Islam".
Auf dem geistigen Nährboden der Salafyia wuchs der moderne Islamismus. Seine Anhänger haben sich dem Kampf gegen die "westlichen Verschwörer" verschrieben. Dekadenz, Individualismus und Säkularisierung sind weitere Komponenten, aus denen sich das "Feindbild Westen" zusammensetzt. Das langfristige Ziel der Fundamentalisten ist die weltweite Hegemonie des Islam. All denjenigen, die dem weltumspannenden Kalifat im Wege stehen, begegnen sie mit Intoleranz, Terror und Gewalt. Dieser Tage sind es vor allem die Christen des destabilisierten und in Gewalt versinkenden Orients, die unter diesem Hass leiden.
Von Sebastian Scholtysek