Vom Reden und Tun
Frage: Herr Bischof Wiesemann, der Titel des Kongresses lautet "Mission Respekt – Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt". Ist das nicht ein Widerspruch? Kann derjenige, der Respekt vor anderen Religionen hat, überhaupt noch missionieren?
Wiesemann: Christinnen und Christen sind dazu berufen, dem Vorbild und der Lehre Jesu zu folgen und seine Liebe weiterzugeben. Mission bedeutet daher nicht, den anderen unbedingt auf seine Seite ziehen zu wollen, sondern zunächst Rechenschaft von der Hoffnung abzugeben, die in uns ist, wie es im ersten Petrusbrief heißt (1 Petr 3,15). Dies soll in Respekt und Solidarität vor dem anderen geschehen, ganz gleich welcher Religion oder Weltanschauung er oder sie angehört. Das heißt aber nicht, seinen eigenen Glauben zu verleugnen, sondern ihn vielmehr offen in das Gespräch einzubringen und für seine Überzeugungen einzustehen. Insofern sind Respekt und Mission kein Widerspruch, sondern Mission ohne Respekt ist nicht im christlichen Sinne. Die Bekehrung ist ein Werk des Heiligen Geistes, der Mensch kann darüber nicht verfügen. Wir sind aber dazu aufgerufen, den Menschen unseren Glauben zu bezeugen.
Frage: Wie kann ein "christliches Zeugnis" ihrer Meinung nach heutzutage aussehen?
Wiesemann: Wir haben es vielfach verlernt, über unseren Glauben zu sprechen. Und da viele Inhalte des christlichen Glaubens nicht mehr präsent sind oder in der Öffentlichkeit verdrängt werden, sollte christliches Zeugnis darin bestehen, sich mit den Inhalten unseres eigenen Glaubens besser vertraut zu machen und von ihm auch offen zu erzählen. Wir müssen wieder auskunftsfähig über unseren Glauben werden. Und zum Reden gehört das Tun. Christliches Zeugnis ist immer auch tätige Nächstenliebe, mit der die Not des anderen gelindert werden soll.
Frage: Das dem Kongress zugrunde liegende Dokument stellt moralisch-ethische Aspekte wie die Nächstenliebe in den Mittelpunkt. Kommt der Glaube dabei nicht zu kurz?
Wiesemann: Nächstenliebe ist christliches Zeugnis. Reden und Tun gehören zusammen, sie sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn ein Aspekt in beiden fehlt, läuft unser Zeugnis ins Leere. Reden ohne Tun ist ebenso leer wie eine Nächstenliebe ohne das Zeugnis des eigenen Glaubens. In diesem Sinne wäre es falsch, ethisch-moralische Aspekte des Zeugnisses gegen den Glauben auszuspielen. Das Dokument richtet den Blick auf die Art und Weise des Zeugnisses, weniger auf die Inhalte des Zeugnisses. Bei den Inhalten sind wir uns einig, dass es die Frohe Botschaft von Jesus Christus ist. Sie ist es, die alle an dem Dokument Beteiligten zusammengebracht hat und auf deren Grundlage wir gemeinsam stehen.
Frage: Der Kongress wird von vielen christlichen Organisationen mitgetragen. War es schwierig, die an einen Tisch zu bekommen? Wie wurde ein Konsens gefunden?
Wiesemann: Es ist einmalig, dass diese Organisationen gemeinsam ein Dokument veröffentlicht haben. Tatsächlich ist das Dokument Ergebnis eines längeren Prozesses, der aber von Beginn an von großem Respekt und Offenheit geprägt war. Es wurde schnell deutlich, dass wir alle vor derselben Situation stehen und nur gemeinsam vorgehen können. Damit ist das Dokument auch erst der Auftakt, denn das Dokument soll ja nun in den einzelnen Kirchen besprochen und vertieft werden. Es ist für mich schon ein besonderes Zeichen der Einheit, dass wir gemeinsam dieses Papier verabschiedet und an die Kirchen weitergeben.
„Wir können zum Beispiel viel von Kirchen in Afrika und Südamerika lernen, die ihren Glauben mit großer Freude bekennen.“
Frage: Was erwarten Sie sich persönlich vom Kongress?
Wiesemann: Es werden Teilnehmer aus aller Welt von ihren Erfahrungen mit dem christlichen Zeugnis in einer multireligiösen Welt sprechen. Ich wünsche mir, dass diese Erfahrungen auch in unseren Kontexten mehr aufgenommen werden und eine Rolle spielen können. Wir können zum Beispiel viel von Kirchen in Afrika und Südamerika lernen, die ihren Glauben mit großer Freude bekennen und sich auch offen als Christen zu erkennen geben. Auf der anderen Seite können die Geschwister von uns lernen, den interreligiösen Dialog zu vertiefen. Ich denke, das gegenseitige Lernen aus den Erfahrungen wird der größte Schatz des Kongresses sein.
Frage: Wie soll es nach dem Kongress in der Praxis weitergehen?
Wiesemann: Wie gesagt ist das Dokument der Auftakt eines Prozesses. Mit dem Kongress wird das Papier der Öffentlichkeit präsentiert und die beteiligten Kirchen und Organisationen verpflichten sich öffentlich, die im Papier genannten Prinzipien in ihrer Missionspraxis zu leben. Das wird zunächst bedeuten, das Papier intern weiter bekannt zu machen, Konsequenzen daraus zu diskutieren und schließlich eigene noch konkretere Handlungsempfehlungen daraus abzuleiten.
Das Interview führte Björn Odendahl