Epochaler Umbruch auf Umwegen
Die Liturgiereform war in Grundzügen schon seit langem vorbereitet. Impulse kamen vor allem aus Frankreich und aus Deutschland; sehr aktiv wirkte das Liturgische Institut in Trier mit. Im Vatikan war es der Liturgieprofessor Annibale Bunigni (1911-1982), der bereits unter Pius XII. Ideen für eine verständlichere Form des Gottesdienstes entwickelte. Er leitete auch in den Jahren nach dem Konzil die Kommission zur Umsetzung der Reform.
Diese Kommission erarbeitete das neue Messbuch, das ab 1969/70 weltweit die alte, mehr als 1.000 Jahre übliche Form der Heiligen Messe ersetzte. Bei dieser Umsetzung ging Bugnini über das hinaus, was die Konzilsväter mit 2.158 Ja-Stimmen gegen 19 Nein-Stimmen beschlossen hatten. Sein Erneuerungseifer und die rabiate Haltung gegenüber den Verfechtern des alten Ritus, der quasi über Nacht verboten wurde, trug dazu bei, dass sich ab 1970 die Traditionalisten unter Führung des französischen Erzbischofs Marcel Lefebvre (1905-1991) von Rom entfernten.
Grundzüge selbst für traditionelle Bischöfe konsensfähig
Die vom Konzil beschlossenen Grundzüge der Liturgiereform waren hingegen selbst für traditionell denkende Bischöfe noch konsensfähig. Dass es neben den lateinischen mehr Texte in den Volkssprachen geben sollte, war ebenso akzeptabel wie die Forderung, die Gottesdienste so zu gestalten, "dass die Christen durch die Riten und Gebete dieses Mysterium wohl verstehen lernen und so die heilige Handlung bewusst, fromm und tätig mitfeiern."
Die Prinzipien der Erneuerung waren so einleuchtend, dass sie die Zustimmung fast aller Konzilsväter fanden. So heißt es im Text: "Der Mess-Ordo soll so überarbeitet werden, dass der eigentliche Sinn der einzelnen Teile und ihr wechselseitiger Zusammenhang deutlicher hervortreten und die fromme und tätige Teilnahme der Gläubigen erleichtert werde. Deshalb sollen die Riten unter treulicher Wahrung ihrer Substanz einfacher werden ... Einiges, was durch die Ungunst der Zeit verloren gegangen ist, soll ... nach der altehrwürdigen Norm der Väter wiederhergestellt werden." Den Bischöfen wurde ans Herz gelegt, "Sorge zu tragen, dass die neuen Formen aus den bestehenden gewissermaßen organisch herauswachsen" und dass keine unnötigen Neuerungen eingeführt werden.
In Umsetzung der Konstitution bald schmerzhafte Brüche
In der Umsetzung von "Sacrosanctum concilium" kam es aber schon bald zu schmerzhaften Brüchen. Das Lateinische verschwand fast völlig, viele Wand-Altäre wurden abgebaut, einige gar heimlich zerstückelt und verbrannt. Das "heilige Geheimnis" des Messopfers wurde, wie mancher empfand, zu einer Art Abendmahls-Erinnerungsfeier umgedeutet. Dann dauerte es nicht lange, bis Priester mit selbst gestrickten Hochgebeten und mit Gitarrenmusik an dem in die Mitte der Kirche gerückten Altar die letzten Spuren der "alten Messe" verwischten.
Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) haben mehrfach versucht, diese Auswüchse auf ein vertretbares Maß zurückzuschneiden, und auch Papst Franziskus neigt in der Liturgie nicht zu Experimenten. Selbst unter den in die Jahre gekommenen Modernisierern von einst ist die Wertschätzung einer würdigen Liturgie inzwischen wieder gewachsen.
50 Jahre nach der Verkündigung von "Sacrosanctum concilium" nähert sich die katholische Kirche wieder allmählich dem an, was die Konzilsväter 1963 tatsächlich beschlossen: einer Feier des Gottesdienstes, die "das christliche Leben unter den Gläubigen vertieft" und die das "stärkt, was dazu beiträgt, alle in den Schoß der Kirche zu rufen".
Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)