Putin kommt zum Papst
Sein Schreiben, verschickt anlässlich des G20-Gipfels in Sankt Petersburg Anfang September, drängte auf eine friedliche Beilegung der Syrienkrise . Aber dennoch ist es alles andere als alltäglich, dass ein Kremlchef das Zentrum der katholischen Weltkirche betritt.
Bis zum Sommer 2010 hatten Russland und der Heilige Stuhl keinen Botschafteraustausch. Russland gehörte damit zu dem letzten Zehntel der Staaten ohne volle diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan - etwa China, Nordkorea, Tuvalu oder Saudi-Arabien. Zuvor bestanden zwischen Moskau und Rom lediglich diplomatische Arbeitskontakte, festgezurrt wenige Monate nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vom damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Michail Gorbatschow, persönlich. Geschlagene fünf Viertelstunden dauerte das Gespräch am 1. Dezember 1989 mit Johannes Paul II., ungewöhnlich lang selbst für Staatsbesuche.
Sensibles Verhältnis zwischen der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche
Hintergrund der zögerlichen diplomatischen Annäherung waren nicht nur ideologische Vorbehalte aus den Jahrzehnten seit der russischen Revolution, sondern auch das sensible Verhältnis zwischen der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche. So hatte Johannes Paul II. (1978-2005) seit dem Ende des Kommunismus immer wieder den Wunsch geäußert, nach Russland zu reisen; seine Überzeugung war, Europa müsse mit beiden Lungenflügeln der westlichen und östlichen christlichen Tradition atmen, um Erbe und Identität zu wahren. Das Moskauer Patriarchat - damals unter Alexij II. (1990-2008) - hielt einen Papstbesuch jedoch nicht für opportun.
Traditionell betrachtet die russisch-orthodoxe Kirche Russland als ihr Territorium und katholische Aktivitäten als Eingriff in ihre Zuständigkeit. Die Errichtung von vier katholischen Bistümern durch Johannes Paul II. im Jahr 2002 weckte neue Vorwürfe, der Vatikan betreibe eine Abwerbung orthodoxer Gläubiger, und setzte den ökumenischen Dialog einige Schritte zurück.
Die Orthodoxie beschreibt das Verhältnis von Staat und Kirche mit dem Bild von Leib und Seele. Und sie hat Einfluss auf des Leibes Glieder, das Volk. Als Dimitri Medwedew im Dezember 2009 mit dem Angebot nach Rom reiste, die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan auszuweiten, geschah das wohl nicht ohne Segen des Moskauer Patriarchats. Als Putin im März 2007 mit Benedikt XVI. zusammentraf, begleitete ihn entgegen früherer Spekulationen kein Vertreter des Patriarchats. Es gehe um eine politische, keine ökumenische Begegnung, hieß es. Moskaus Kirchenleitung zieht auch im weltlichen Spiel behutsam die Fäden.
Diskussion über das Verständnis der Menschenrechte
Nach der Wahl von Papst Franziskus gratulierte Putin: "Ich bin überzeugt, dass sich die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Vatikan auf der Grundlage der uns verbindenden christlichen Werte erfolgreich fortsetzen wird", schrieb er an das Katholikenoberhaupt. Als verbindende Werte gelten im ökumenischen Gespräch der Schutz der traditionellen Familie und der Menschenwürde, Sexualethik und soziale Gerechtigkeit. Über das Verständnis der Menschenrechte wird seit geraumer Zeit diskutiert.
So delikat die Kontakte sind, sie währen lang: Schon mitten im Kalten Krieg, 1967, begab sich Nikolai Podgorny als erster russischer Präsident zur Papst-Audienz. Faktisch war er zwar nur der verlängerte Arm vom Chef der Kommunistischen Partei, Leonid Breschnew, aber immerhin doch formelles Oberhaupt der UdSSR. Die Unterredung mit Paul VI. kreiste um den Vietnamkrieg. Beide Seiten sorgten sich um eine Eskalation des US-amerikanischen Kriegseinsatzes. 2013 sind die geopolitischen Verhältnisse anders. Aber Russland und der Heilige Stuhl wissen auch um Gemeinsamkeiten, was ihre Vorbehalte gegen ein militärisches Eingreifen in Syrien angeht.
Von Burkhard Jürgens (KNA)