Pierbattista Pizzaballa über seine Aufgabe als Administrator des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem

"Ich komme nicht als Eroberer"

Veröffentlicht am 10.08.2016 um 12:01 Uhr – Von Andrea Krogmann (KNA) – Lesedauer: 
Heiliges Land

Jerusalem ‐ Seit Juli steht Pierbattista Pizzaballa als Administrator an der Spitze des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem. Im Interview spricht er über seine neue Aufgabe und die Herausforderungen im Heiligen Land.

  • Teilen:

Frage: Herr Erzbischof, Ihre Ernennung wurde teils mit einer gewissen Enttäuschung aufgenommen - weil nach zwei einheimischen Patriarchen wieder ein Europäer an der Spitze des Patriarchates steht. Wie gehen Sie damit um, dass es gleich zu Beginn eine gewisse Opposition gibt?

Pizzaballa: Ich weiß nicht, ob man es Opposition nennen kann, aber ich muss mit dieser Realität umgehen. Ich kann nicht Verständnis von allen erwarten, aber nach den ersten Reaktionen werden sich die Dinge beruhigen. Zudem ich muss betonen, dass ich nicht den Patriarchen ersetze. Formal stehe ich an der Spitze dieser Kirche und bin verantwortlich - aber es gibt derzeit keinen Patriarchen. Die Angst vor einer Änderung der Politik beruht auf Mutmaßungen. Die Rolle des Administrators ist von seiner Natur her zeitlich begrenzt. Für die Zeit, die ich dieses Amt innehabe, werde ich mein Bestes tun, um der hiesigen Kirche zu helfen.

Frage: Ist Ihre Ernennung von Rom mit dem Wunsch verbunden, bestimmte Dinge zu ordnen, bevor ein neuer Patriarch ernannt wird?

Pizzaballa: Nein, es gibt keine Agenda.

Frage: Dennoch gibt es Gerüchte über Schwierigkeiten im Patriarchat, nicht zuletzt finanzieller Art. Ist Ihr Einsatz als Administrator auch eine Gelegenheit, Ordnung zu schaffen?

Pizzaballa: Die Schwierigkeiten sind kein Geheimnis, und natürlich besteht meine Aufgabe auch darin, bei der Reorganisation dieser Ding mitzuhelfen, um eine Verbesserung zu erreichen.

Stichwort: Christen im Heiligen Land

Die Christen sind im Heiligen Land eine kleine Minderheit. Genaue Zahlen sind schwer zu benennen, auch angesichts des Wegzugs vieler Christen in den vergangenen Jahren. In Israel sind es rund zwei Prozent von knapp acht Millionen Bürgern. Nach amtlichen Angaben waren 2006 rund 150.000 Israelis Christen; die meisten von ihnen sind Araber. Die Christen sind im Heiligen Land in rund 30 verschiedenen Kirchen, kirchlichen Gemeinschaften oder Denominationen zusammengeschlossen. Die bedeutendsten sind die Griechisch-Orthodoxen, die Armenier, Syrer, Kopten, Äthiopier, die Katholiken, Lutheraner und Anglikaner. Die katholische Kirche tritt neben den "Lateinern", den Gläubigen des römischen Ritus, in verschiedenen ostkirchlichen Gemeinschaften auf: Maroniten, Melkiten sowie katholische Armenier und Syrer. Ein Ehrenrang innerhalb der Christenheit von Jerusalem wird dem orthodoxen Patriarchen Theophilos III. eingeräumt, dem Inhaber des frühchristlichen Patriarchalsitzes von Jerusalem. Er leitet auch die informelle Konferenz der christlichen Patriarchen und Bischöfe im Heiligen Land. Alle christlichen Kirchen im Heiligen Land leiden unter einer zunehmenden Auswanderung aufgrund der teils prekären politischen oder wirtschaftlichen Lage. Auch in der Region um Bethlehem, wo Christen früher die Mehrheit stellten, sind sie zur Minderheit geworden. Ihr Anteil an der Bevölkerung im enorm gewachsenen Jerusalem sank von rund 25 Prozent in den 1920er Jahren auf heute unter 2 Prozent. (KNA)

Frage: Was werden Sie als erstes angehen?

Pizzaballa: Ich bin kein Prophet. Als erstes gilt für mich: zuhören, schauen, beobachten. Ich muss versuchen, die Situation von innen her zu verstehen und dann entscheiden, was zu tun ist. Ich komme nicht als Eroberer, sondern um der Sache zu dienen.

Frage: Was heißt das konkret?

Pizzaballa: Ich muss zunächst alle Priester treffen. Sie sind es, die vor Ort arbeiten. Ich muss sie kennenlernen und ihnen zuhören, denn was immer ich tun werde, muss ich zusammen mit ihnen tun. Das gleiche gilt für die Weihbischöfe, die verschiedenen Gremien und Organisationen... Bislang kannte ich die Diözese nur von außen - insofern ist alles neu für mich.

Frage: Sie kommen von der Franziskaner-Kustodie ins Patriarchat. Die Zusammenarbeit zwischen beiden gilt als nicht immer einfach. Wird sich das mit einem ehemaligen Kustos an der Spitze des Patriarchats ändern?

Pizzaballa: Die sogenannten Spannungen zwischen beiden Institutionen scheinen mir der Vergangeneheit anzugehören. In den vergangenen Jahren als Kustos habe ich davon nichts gespürt. Aber natürlich wird es helfen, die Beziehungen noch zu verbessern.

Blick auf Jerusalem. Im Vordergrund steht ein Kreuz.
Bild: ©SeanPavonePhoto/Fotolia.com

Im Heiligen Land leben nach Schätzungen derzeit rund 60.000 bis 70.000 römisch-katholische Christen.

Frage: Als eine Ihrer ersten Amtshandlungen haben Sie den jordanischen Teil Ihrer Diözese besucht.

Pizzaballa: Hintergrund des Besuchs war eine Konferenz christlicher Juristen und Kirchenrechtler des Nahen Ostens. Dies habe ich zum Anlass genommen, um Jordanien als wichtigen Teil des Patriarchats zu besuchen.

Frage: Zum Amtsantritt von Patriarch Fouad Twal gab es Überlegungen, die Diözese aufzuteilen. Die Rede war von einem Bistum für die hebräischsprachigen Katholiken, aber auch von einer eigenen Diözese für Jordanien. Bestehen diese Überlegungen noch?

Pizzaballa: Es gibt keinerlei Diskussion darüber. Die Diözese ist groß, aber wir dürfen nicht nur den geografischen Aspekt berücksichtigen, sondern müssen auf die Zusammensetzung schauen. Die lateinischen Katholiken im Nahen Osten sind nicht sehr zahlreich. Dazu kommen kulturelle und traditionelle Verbundenheiten und die Zusammensetzungen der anderen Kirchen. Eine perfekte Lösung gibt es nicht, aber das Heilige Land war immer vereint und wird es auch bleiben.

Frage: Während Ihrer Zeit als Kustos waren Sie gut in die jüdisch-israelische Gesellschaft vernetzt, was von einheimischen Christen teils kritisch gesehen wird. Wird es in dieser Hinsicht eine neue Politik geben?

Pizzaballa: Nein. Meine Aufgabe ist temporär, entsprechend sollte meine Agenda im Verhältnis zu dem stehen, was ich leisten kann. Es ist nicht an der Zeit, auch nur über eine neue Politik nachzudenken. Ich komme in das Patriarchat, so wie es ist, und versuche, in bestimmten Bereichen zu helfen, das ist alles. Ich denke allerdings schon, dass wir eine offene Kirche sein müssen - und bis zu einem bestimmten Punkt sind wir es bereits. Dass ich eine gewisse Nähe zur israelischen Gesellschaft habe, bedeutet nicht, dass ich sie nicht auch zur anderen Seite haben kann. Das Kriterium "hier" oder "dort" können wir nicht akzeptieren: Die Kirche ist für alle.

Stichwort: Lateinisches Patriarchat von Jerusalem

Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem betreut die rund 60.000 bis 70.000 römisch-katholischen Christen im Heiligen Land. Seine Jurisdiktion erstreckt sich über das Staatsgebiet von Israel, Jordanien, Zypern und die Palästinensischen Gebiete. Die Ursprünge des Patriarchats liegen in der Zeit der Kreuzfahrer, die sich als "Lateiner" bezeichneten. Es erlosch jedoch mit dem Fall Akkos 1291. Im Jahr 1847 belebte Papst Pius IX. das Patriarchat neu. Im Heiligen Land ist die katholische Kirche des lateinischen Ritus mit mehr als 30 Pfarrgemeinden vertreten, in denen Arabisch die Liturgiesprache ist. Dazu kommt etwa ein Dutzend "pastorale Missionen" für anderssprachige Gläubige. Dazu zählen auch mehrere hebräischsprachige Gemeinden; ihnen gehören einige Katholiken jüdischer Herkunft sowie christliche Eheleuten von Juden an. Im Heiligen Land gibt es zudem zahlreiche katholische Ordensniederlassungen mit mehr als 1.000 weiblichen und rund 500 männlichen Ordensleuten. (KNA)

Frage: Was sind die größten Herausforderungen dieser Kirche?

Pizzaballa: Für eine Antwort darauf ist es zu früh. Was ich etwa in Jordanien gesehen habe, ist eine sehr lebendige Präsenz der Kirche. Diese schöne und gute Realität sollte erhalten und unterstützt werden.

Frage: Sie sagen, als Administrator ist Ihre Zeit begrenzt. Gibt es eine Prognose, wann ein neuer Patriarch ernannt werden wird?

Pizzaballa: Nein. Und wenn es sie gäbe, würde ich nicht darüber sprechen.

Frage: Sollte man Sie zum Patriarchen ernennen - nähmen Sie das Amt an?

Pizzaballa: Der Gehorsam steht nicht infrage; darüber diskutiert man nicht, sondern man tut es. Aber das ist eine rein theoretische Frage.

Zur Person

Pierbattista Pizzaballa (*1965) ist ein italienischer Franziskaner und Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchates von Jerusalem. Pizzaballa hat sein neues Amt offiziell Mitte Juli angetreten. Am 10. September erhält er im italienischen Bergamo die Bischofsweihe. Der Norditaliener hatte erst im April seine zwölfjährige Amtszeit als Franziskaner-Kustos im Heiligen Land, also als oberster Hüter der christlichen Stätten, beendet. Pizzaballa studierte Theologie in Rom und Jerusalem und wurde 1990 zum Priester geweiht. Vor seiner Wahl zum Kustos 2004 war der Franziskaner im Auftrag seines Ordens Seelsorger für die hebräischsprachigen Christen in Jerusalem.
Von Andrea Krogmann (KNA)