Die arbeitenden Armen
Ein Unternehmen, das in der Gebäudereinigung bestehen will, muss im Wesentlichen eines sein: billig. Nur so bekommt es Aufträge. Und dazu tragen die Beschäftigten nicht nur durch ihre niedrigen Löhne bei, sondern auch auf andere Weise. Katja Schultze muss ihre Wischmopps, Putztücher und Kittel zum Beispiel nach der Arbeit zu Hause waschen und sauber wieder mitbringen. Für Schutzhandschuhe sorge sie oft selber, sagt sie. Umso mehr ärgert sie sich darüber, wenn am Monatsende noch nicht einmal die Abrechnung stimmt. Schultze ist überzeugt: "Die wird systematisch gefälscht."
Nicole Simons von der Gewerkschaft IG Bau bestätigt: "Regelmäßig werden Zuschläge oder ganze Stunden vergessen, und korrigiert wird in der Regel nur, wenn die Mitarbeiter bei uns in der Sprechstunde waren und wir das auf juristischem Wege geltend zu machen versuchen. Soweit ich das einschätze, kalkulieren die das in ihre Angebote für die Kunden mit ein."
Tanja Kleine-Quadflieg aus der Geschäftsleitung der Clemens Kleine Holding, einem der Marktführer in der Gebäudereinigung, gibt durchaus zu, dass auch in ihrem Unternehmen fehlerhafte Abrechnungen erstellt werden. "Was ich klar bestreite ist, dass das mit Absicht geschieht, dass dahinter Systematik steckt. Bei 8.000 Beschäftigten schafft man es nie, dass alle Abrechnungen komplett sind. Und es kommt durchaus auch vor, dass Fehler zugunsten der Mitarbeiter passieren."
Aus Tagelöhnern wurden Niedriglöhner
Früher gab es Tagelöhner, heute gibt es Niedriglöhner. Katja Schultze verdient 9 Euro brutto in der Stunde. Das ist noch nicht mal unterste Grenze: Denn die Gebäudereinigung gehört zu jenen Branchen, in denen es bereits seit längerem einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Die insgesamt etwa eine Million Beschäftigten erhalten in den alten Ländern mindestens 9 Euro, in Ostdeutschland 7,56 Euro. Friseure arbeiten hingegen auch schon mal für unter vier Euro die Stunde.
Nach einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen müssen knapp acht Millionen Menschen in Deutschland mit einem Niedriglohn von weniger als 9,15 Euro brutto pro Stunde auskommen. Zwischen 1995 und 2010 stieg die Zahl der Niedriglöhner um mehr als 2,3 Millionen. Mehr als eine Million Niedrigverdiener bekommen weniger als fünf Euro. Für sie gibt es in den Sozialwissenschaften einen eigenen Begriff: "the working poor" - die arbeitenden Armen.
Um dennoch über die Runden zu kommen, schuftet ein Viertel der Geringverdiener mindestens 50 Stunden pro Woche, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab. Viele von ihnen müssen dennoch zusätzlich Hartz IV beantragen, weil der Lohn nicht ausreicht. Ihr Motiv für die Plackerei ist nicht Geld: Sie wollen unbedingt wieder auf eigenen Beinen stehen. Sie wollen um jeden Preis wieder im Berufsleben Fuß fassen.
"Man versucht ja nur, das Leben, das man sich jahrelang aufgebaut hat, zu halten", sagt Katja Schultze, die eigentlich anders heißt, aber mit ihrem richtigen Namen aus naheliegenden Gründen nicht in die Medien will. Die Kölnerin wird immerhin nach Tarif bezahlt. Nicole Simons von der IG Bau hat jedoch festgestellt: "Sobald eine Tariflohnerhöhung kommt, erfolgt eine extreme Arbeitsverdichtung. Das heißt, die Arbeitnehmer müssen im Prinzip den Stundenlohn selber rausarbeiten. Wenn sie vorher 1.000 Quadratmeter zu reinigen hatten in zwei Stunden, dann haben sie jetzt eben 1.200 Quadratmeter."
Warum wehrt sich kaum ein Betroffener?
Das ist ein Vorwurf, den Clemens-Kleine-Managerin Tanja Kleine-Quadflieg im Gegensatz zu den meisten anderen nicht sofort rundheraus bestreitet. Sie sagt jedoch, dass die Kunden den Unternehmen keine andere Wahl ließen: "Die Tariflöhne sind Teil unserer Kostenstruktur, und die Kosten müssen wir immer im Blick behalten, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Die öffentlichen Arbeitgeber wählen tendenziell immer den billigsten Anbieter aus. Bei den privaten geben auch schon mal Qualitätsmerkmale und Wirtschaftlichkeit den Ausschlag."
Die Gewerkschaft hat noch eine lange Liste mit weiteren Klagen: Geringfügig Beschäftigte werden demnach im Krankheitsfall oft nicht weiterbezahlt. Wenn Mitarbeiter in Urlaub gehen wollen, müssen sie selbst ihre Vertretung organisieren - oder sie dürfen nur nachmittags Urlaub machen, vormittags aber müssen sie weiterhin kommen. Putzleute, die im Krankenhaus arbeiten, müssen sich auf eigene Kosten gegen Hepatitis impfen lassen oder ohne vorherige Informationen in Räumen mit multiresistenten Keimen saubermachen. "Viele haben Ekzeme vom ständigen Putzen", erzählt Katja Schultze. "Die Hände sind kaputt."
Warum sich kaum einer wehrt? "Weil sie Angst haben", sagt Nicole Simons. "Angst, dass sie rausfliegen oder ganz schlechte Arbeit bekommen. Es gibt ja auch in der Gebäudereinigung gute und schlechte Jobs." Wer meckert, muss die Klos putzen. Oder im Polizeipräsidium die Arrestzellen voller Blut und Erbrochenem. Katja Schultze meint: "Wir Deutschen haben das Demonstrieren verlernt. Wir müssen es so machen wie die Franzosen, die gehen immer gleich auf die Straße."
Von Christoph Driessen (dpa)