Seit 300 Jahren ruhen die Nichtkatholiken Roms auf einem besonderen Fleck

Protestantischer Friedhof in katholischer Hauptstadt

Veröffentlicht am 24.09.2016 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 
Gräber eines Friedhofs im Sonnenlicht
Bild: © KNA
Kultur

Rom ‐ Im Schatten hoher Zypressen vereint er Verstorbene aller Nationen und Religionen. Der 300 Jahre alte protestantische Friedhof in Rom, mit dem sich nun eine Ausstellung befasst.

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Da schiebt eine junge Mutter den Kinderwagen durch die schmalen, schattigen Alleen uralter Zypressen, und auf einer Bank hält jemand stille Zwiesprache mit einem Buch. Gärtner lichten das üppige Grün und säubern bedächtig die Wege, an denen Grabmäler wort- und bildreich die Liebe der Hinterbliebenen zu den Verstorbenen bekunden. Es ist ein fast exotischer Ort im sonst so lauten, chaotischen Rom: der protestantische Friedhof. In der katholischen Hauptstadt ist er nach 300 Jahren zu einem Garten der Ruhe für Tote wie Lebende geworden.

Ausstellung bis Mitte November

Nun befasst sich zum Jubiläum das Kulturzentrum "Casa di Goethe" in Rom mit dem ungewöhnlichen Friedhof in einer Ausstellung, die an diesem Freitag startete und noch bis 13. November zu sehen ist.

Menschen gehen auf einem Friedhof spazieren
Bild: ©KNA

Beliebt auch bei Spaziergängern: Der protestantische Friedhof in Rom.

Der Friedhof entstand praktisch mit dem Segen des Papstes. Als 1688 die katholische Königsfamilie der Stuarts aus England ins Exil nach Rom ging, gewährte Clemens XI. (1700-1721) den anglikanischen Mitgliedern des Hofstaats, ihre Toten bei der Cestius-Pyramide zu bestatten. Als erster, so berichtet der Historiker Nicholas Stanley-Price, nahm 1716 ein Dr. Arthur aus Edinburgh diese Genehmigung in Anspruch. Sein Grab wurde der Grundstein des protestantischen Friedhofs.

Noch immer ist er in Betrieb: Etwa 20 Begräbnisse pro Jahr verzeichnet der idyllische Gottesacker im Viertel Testaccio. "Erkundigungen gibt es fast täglich", sagt Friedhofsdirektorin Amanda Thursfield - aber nicht jede Anfrage ist ganz ernst, und es gelten strenge Kriterien: Nur in Italien residierende Ausländer, die zudem Nichtkatholiken sind, können auf einen Platz hoffen. Ab und zu wird eine alte Liegestätte frei; der Trend zu Urne hat das Raumproblem etwas entschärft.

Mit der wachsenden Zahl von Bildungsreisenden ab dem 18. Jahrhundert gab es in Rom häufiger die Notwendigkeit, Nichtkatholiken zu bestatten: In geweihte Erde durften sie nicht, der Schindanger für Prostituierte und Kriminelle kam ebenfalls nicht infrage, die Rückführung von Leichnamen war umständlich und teuer.

So spiegelt der "cimitero acattolico", der "nichtkatholische Friedhof", wie ihn die Römer nennen, auch eine beginnende Internationalisierung - die heute größer ist denn je: Allein wegen der Doppelstruktur von Botschaften in Italien und beim Heiligen Stuhl hat Rom mehr diplomatische Vertretungen als jede andere Hauptstadt der Welt, wie Thursfield bemerkt. Hinzu kommen Mitarbeiter der römischen UN-Einrichtungen, Studierende, Dichter, Künstler, die von dem Licht und dem Flair der Stadt angezogen wurden - und blieben.

Trauergesellschaft mit bewaffnetem Geleitschutz

Das Verhältnis der katholischen Römer zu den Protestanten und deren Friedhof war dabei nicht immer spannungsfrei. Als 1824 der preußische Gesandte Christian von Bunsen das Areal zum Schutz vor Schafherden mit einem Graben und zwei Mäuerchen umgab, nannte man die Senke "Hundegraben" - ob wegen dort entsorgter Tierkadaver oder wegen der Protestanten, ist unklar. Manche Nachrichten über Diskriminierungen sind laut Stanley-Price übertrieben: Dass Beerdigungen oft nachts stattfanden, betraf - aus klimatischen Gründen - auch Katholiken. Aber bewaffneter Geleitschutz für nichtkatholische Trauergesellschaften blieb bis weit ins 19. Jahrhundert üblich.

Päpstliche Zensoren achteten auch peinlich darauf, dass evangelische Grabinschriften nicht etwa die Hoffnung auf Auferstehung bekundeten - das hätte bei Katholiken Zweifel wecken können, ob nicht auch außerhalb ihrer Kirche Heil zu finden ist. Abgelehnt wurde beispielsweise der Vers, den sich eine Engländerin für ihre 1852 verstorbene Tochter wünschte: "Selig die Toten, die im Herrn sterben"; man verständigte sich auf einen diplomatischen letzten Gruß von der "trauernden, doch freudenvollen Mutter".

Friedhof: Die letzte Ruhestätte

Was ist im Todesfall zu beachten? Welche Formen der Beisetzung gibt es in Deutschland? Wie hat sich die Bestattungskultur verändert und wie ist es heute um den Friedhof bestellt? Katholisch.de gibt in einem umfangreichen Dossier Antworten auf diese und andere Fragen.

Bis in die jüngere Vergangenheit hielt der Friedhof die Tore meist geschlossen, und so lange "kursierten eine Menge Geschichten", erzählt Thursfield. Seit der Öffnung vor ein paar Jahren entwickelte er sich zu einer Oase für Römer, die "in Ruhe dasitzen und den Frieden genießen". Mancher lokale Katholik merkt dabei auch erst, dass es andere christliche Konfessionen gibt. Ein Besucher, berichtet die Direktorin, fragte: "Sie sagten doch, das ist ein nichtkatholischer Friedhof - wieso stehen hier dann Kreuze?"

Das Grab von Gottfried Semper

So sind die 5.000 Gräber auch ein Lehrstück der Vielfalt von Religionen und Nationen: Neben den berühmtesten Toten, den englischen Dichtern Shelley und Keats und Goethes Sohn August, ruhen hier Angehörige der griechischen Juweliersfamilie Bulgari, der italienische Kommunisten-Vater Antonio Gramsci oder der Architekt der Dresdner Oper, Gottfried Semper - Finnen und Amerikaner, Buddhisten, Atheisten, Zoroastrier. "Eine stille Versammlung aus der ganzen Welt" nannte ein englischer Reisender 1880 diesen Garten: "der Friedhof derer, die außerhalb der Gemeinschaft mit Rom sterben, und doch vielleicht der katholischste Ort in der Stadt".

Von Burkhard Jürgens (KNA)