Leonard Cohen lebte seine Religion - jetzt starb er mit 82 Jahren

Der Meister der Melancholie ist tot

Veröffentlicht am 11.11.2016 um 08:42 Uhr – Lesedauer: 
Musik

Bonn ‐ Der kanadische Songpoet Leonard Cohen ist tot. Erst im Oktober war sein letztes Album voll endzeitlicher Texte erschienen - damals betonte Cohen, er wolle 120 Jahre alt werden. Jetzt starb er mit 82 Jahren.

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Die Welt kannte ihn als knorrigen Poeten, der die ewige Ballonmütze des Zeitungsjungen mit dem Borsalino des dunklen Dandys zu seinen Markenzeichen machte. Die Lieder von Leonard Cohen waren stets religiös gefärbt. Sein jüngstes Album "You want it darker" drang gar in endzeitliche Gefilde vor. So sehr, dass sich Cohen zum öffentlichen Zurückrudern genötigt sah. In einem Interview sagte er, er neige zu Übertreibung und Drama. Er werde weitermachen und wolle 120 Jahre alt werden. Nun ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.

In Montreal kam Leonard Cohen zur Welt, im Vorort Westmount, einem Viertel der Wohlhabenden, vor allem protestantischer und jüdischer Einwanderer der dritten Generation. Leonards Vater Nathan besaß dort ein renommiertes Textilkaufhaus; das Haus der Familie stand in der Belmont Avenue 599. Der eher stille Knabe erbte von seinem Vater Zurückhaltung und Korrektheit; seine musische Gabe und den Hang zur Melancholie soll er von der Mutter Masha mitbekommen haben, der Tochter eines aus Russland ausgewanderten Talmud-Gelehrten.

Hang zum Geheimnisvollen, Pathetischen, Mystischen

Leonards Vorfahren hatten das Judentum in Kanada mitaufgebaut. Urgroßvater Lazarus wanderte in den 1860ern aus Litauen ein. Der angesehene Kaufmann wurde Vorsteher einer Synagogengemeinde, sein jüngerer Bruder Tzvi Hirsch Cohen Oberrabbiner von Montreal. Leonards Großvater Lyon setzte die Kohanim-Tradition fort, bekleidete internationale zionistische Ämter. Zeit seines Lebens beachtete Leonard Cohen den Sabbat - aber er behielt auch immer einen Hang zum Geheimnisvollen, Pathetischen, Mystischen. So brachte er sich etwa Grundtechniken der Hypnose bei, mit einer dunklen, ruhigen, sanften Stimme, seinem Markenzeichen.

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Sein eigentlicher Zugang zur Kunst war immer die Poesie. "Let Us Compare Mythologies", hieß 1956 sein erster Gedichtband. Erste Erfolge erlaubten ihm Reisen in Europa und einen mehrjährigen Aufenthalt auf der griechischen Insel Hydra. Dort schrieb er zwei Romane und den Gedichtband "Blumen für Hitler". Und lernte die Liebe seines Lebens kennen. Als er Hydra 1967 verließ, schrieb er ihr den Song "So long, Marianne".

Im bewegten "Summer of Love" startete Cohen eine zweite Karriere als Singer-Songwriter - mit der Absicht, mit dem schnellen Geld wieder Muße zum Gedichteschreiben zu haben. Doch die Musik blieb, auch über seine düsterste depressive Phase Anfang der 70er Jahre hinaus. Mit der Kalifornierin Suzanne Elrod zeugte er Sohn Adam und Tochter Lorca. Und auch wenn sich Leonard 1979 von ihr trennte, sagte Suzanne später: "Ich habe mich immer verheiratet gefühlt. Leonard ist der verantwortlichste Mensch, den man sich vorstellen kann." 1990 etwa harrte er nach einem Verkehrsunfall über Wochen am Krankenbett Adams aus.

Cohens Gedichte und Lieder sind voll von religiösen Anleihen, Zitaten, Brechungen und Variationen. Der Song "Who by Fire" etwa greift auf die Liturgie zum Jom Kippur und zum jüdischen Neujahr zurück. Das Album "Various Positions" (1984) enthält unter anderem sein rätselhaftes "Hallelujah" und auch den Song - oder ist es ein Gebet? - "If it be Your Will".

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Ein ausgelaugter Leonard Cohen suchte Anfang der 90er die Stille in einem buddhistischen Kloster in den Bergen nahe Los Angeles. Er übte sich in Selbstdisziplin und japanischer Zen-Meditation und wurde 1996 unter dem Namen "Jikan" (deutsch: "der Raum zwischen zwei Stillen") zum Mönch ordiniert - der berühmteste Schüler von Zen-Meister Kyozan Joshu Sasaki (1907-2014). Cohens jüdischem Glauben tat das keinen Abbruch, wie er erläuterte: Es gehe beim Zen nicht um Anbetung oder ein Gottesbild, sondern um Meditation. "Ich habe eine Religion, und ich suche keine andere. Ich bin ein Jude."

Anspielungen auf einen baldigen Tod

Das hätte es also sein können mit dem Sänger Leonard Cohen - hätte nicht seine Managerin in den fünf Jahren, die er im Kloster verbrachte, fast sein ganzes Vermögen veruntreut. So musste es weitere Alben und Tourneen geben. Je mehr sich der Lebenskreis des leidenden Mystikers schloss, desto mehr Anspielungen auf einen baldigen Tod enthielten Cohens Texte.

Diese Tendenz verstärkte sich auf dem jüngsten Album "You want it darker". Ende Juli starb die Norwegerin Marianne Ihlen, Leonards Muse und einstige Geliebte auf Hydra. In einem Brief an die Sterbende schrieb er: "Ich glaube, ich werde dir sehr bald folgen. Ich bin nah bei dir, dicht genug, dich zu berühren." Der "verantwortlichste Mensch" hat sein Versprechen gehalten - keine vier Monate nach Ihlens Tod ist er ihr nun gefolgt.

Von Alexander Brüggemann (KNA)