Das Kreuz mit der Pille
Die Gesundheitsstation von Montalban, einer Armensiedlung vor den Toren Manilas, wimmelt von Müttern mit kleinen Kindern. In dem Flachbau steigen der Geräuschpegel und die schwülen Temperaturen an diesem Mittag um die Wette. Viele Frauen sind nicht wegen ihrer Sprösslinge hier. "Bei uns bekommen sie die Pille, Kondome und die Dreimonatsspritze gratis", erklärt die medizinische Assistentin Analyn Borbe. Mehr als die Hälfte der gebärfähigen Frauen auf den tief katholischen Philippinen verhüte inzwischen. "Wir müssen aber noch besser aufklären, viele Frauen verstehen nicht, dass sie die Pille regelmäßig nehmen müssen, damit sie wirkt", sagt die Krankenschwester. "Das ist entscheidend im Kampf gegen die Armut, das muss auch die Kirche einsehen."
Erbittert sträubten sich die Bischöfe gegen das "Gesetz zur Reproduktionsgesundheit" von 2012, das die Gratisabgabe von Kontrazeptiva an arme Frauen erlaubt. Nach katholischer Lehre ist nur die natürliche Familienplanung qua Enthaltsamkeit und Kalendermethode erlaubt. Aber die sei viel zu unsicher und die Frauen mit der Temperaturmessung überfordert, berichtet Borbe aus Erfahrung. "Und wie sollen sich Paare verhalten, bei denen ein Partner auswärts arbeitet und nur alle paar Monate nach Hause kommt? Sollen sie ihren Urlaubsplan mit den 'sicheren Tagen' der Frau abstimmen?"
Linktipp: Ein Leben ist hier nicht viel wert
"Menschenrechte sind mir egal", erklärte der philippinische Präsident Rodrigo Duterte. In von ihm ausgerufenenen Kampf gegen Drogen wird straffrei gemordet. Ein neuer Bericht von Jesuiten erhärtet das.Mit durchschnittlich 3,1 Kindern pro Frau hat der Inselstaat das stärkste Bevölkerungswachstum Südostasiens. Bis 2050 könnte die Einwohnerzahl von 100 Millionen auf 150 Millionen anwachsen. Einst bildete die Großfamilie in bäuerlichen Gesellschaften das soziale Netz; in urbanisierten Entwicklungsländern verstärkt sie dagegen die Armut. Arbeitsmarkt, Bildungssystem und sozialer Wohnungsbau halten mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt - schon gar nicht in einer Gesellschaft wie den Philippinen, die ihre Schwachen schon lange abgehängt und zurückgelassen hat. Jeder Vierte lebt in Armut. Rund zehn Millionen Philippiner hat die Not in die Arbeitsmigration getrieben.
Die kleine Elite aus etwa 20 Familien, die den größten Teil der Wirtschaft unter sich aufgeteilt haben, und Vertreter der dünnen Mittelschicht führen gerne die Bibel im Munde. Doch statt Chancengleichheit und gerechter Verteilung herrschen auf den Philippinen Korruption, Ausbeuterlöhne, hohe Arbeitslosigkeit und Wohnungselend. In den Slums, wo jeder Dritte jünger als 15 Jahre ist, hoffen sie jetzt auf Präsident Rodrigo Duterte, der sich den Massen als Heiland und Rüpel mit brutalen Methoden gegen die grassierende Drogenkriminalität empfahl.
Mit dem Priester zu sprechen ist peinlich
In der Ambulanz von Montalban wartet derweil Jorelyn Mariano auf eine Hormonspritze. Die 24-Jährige hält ihr viertes Kind im Arm. Sie alle seien ein Geschenk Gottes, bekräftigt die zierliche Frau. Aber nun lebten sie zu sechst auf 20 Quadratmetern. Verheiratet ist Jorelyn nicht - bei aller Kirchentreue unter Philippinern keine Seltenheit. Ihr Partner arbeitet als Tagelöhner auf dem Bau, erzählt sie. Wenn es gut läuft, habe die Familie 1.500 Pesos pro Woche, knapp 30 Euro. "Ich denke an die Zukunft. Nach Josephs Geburt sagte mir eine innere Stimme, dass es jetzt besser für die Kinder ist, nicht mehr schwanger zu werden." Mit dem Priester wolle sie nicht darüber sprechen. "Das wäre mir peinlich."
Dutzende Kilometer stadteinwärts blickt Senatorin Risa Hontiveros von ihrem Büro über die südlichen Ausläufer Manilas. Baukräne prägen die Silhouette. Sie ziehen immer neue Büro- und Wohntürme in die Höhe, für jene, die ihren sicheren Platz in der 23-Millionen-Einwohner Metropole gefunden haben. Anderthalb Jahrzehnte rangen liberale Politiker mit konservativen Gegnern und der Kirche um das Verhütungsgesetz erinnert sich Hontiveros. Laut Umfragen befürworteten drei Viertel der Bevölkerung die Gratisabgabe von Pille und Kondom an Arme, auch wegen der hohen Müttersterblichkeit.
Für Hontiveros, damals Abgeordnete und Mitautorin des Gesetzes, ging es schlicht um ein Gebot der Gerechtigkeit. "Reiche philippinische Frauen, die sich Verhütungsmittel leisten können, bekommen im Schnitt zwei Kinder", berichtet sie. "Von armen Müttern wissen wir, dass die meisten nach zwei oder drei Kindern auch nicht mehr schwanger werden wollen." Tatsächlich bekämen sie dann aber sechs, sieben oder mehr Kinder. Diesen Familien gelinge es nicht mehr, den Kreislauf der Armut zu durchbrechen. "Deshalb muss der Staat den Armen kostenlose Verhütungsmittel zur Verfügung stellen."
Keine sachliche Debatte bei Verhütung
Die Mutter von vier Kindern bezeichnet sich als praktizierende Katholikin, die immer nach der natürlichen Methode verhütet hat. Doch mit ihrer Kampagne gegen das Gesetz habe sich die Kirche damals zu sehr in die Politik eingemischt. "Die Bischöfe setzten Verhütung mit Abtreibung gleich. Das nenne ich keine sachliche Debatte." Bis heute berufen sich Kommunalregierungen auf die kirchliche Position und blockieren die Gratisverteilung der Pille.
„Ein Großteil der Männer lehnt die Verwendung von Gummis sowieso ab.“
Für ein keines Erdbeben sorgte ausgerechnet Papst Franziskus, als er bei seiner Pressekonferenz auf dem Rückflug von Manila im Januar 2015 klarstellte, Katholiken sollten sich nicht vermehren "wie die Karnickel". Den saloppen Papstvergleich deuteten einige als Abrücken vom kirchlichen Verbot künstlicher Verhütungsmittel. Doch am Bischofssitz von Manila nahe der alten Kathedrale aus spanischen Kolonialzeiten warnt man vor Missverständnissen. "Franziskus ging es um die katholische Pflicht zur verantwortlichen Elternschaft, von der schon Paul VI. 1968 in seiner Enzyklika 'Humanae vitae' gesprochen hat", betont Weihbischof Broderick Pabillo. Ehepaare sollen demnach ihre Familienplanung auch mit den wirtschaftlichen Voraussetzungen abstimmen. "Aber nicht indem der Staat die Frauen mit Chemie und Hormonen vollpumpt."
Dass die Kirche auch Kondome ablehnt, ist aus Sicht von Expertinnen wie Krankenschwester Analyn Borbe übrigens weniger relevant: "Ein Großteil der Männer lehnt die Verwendung von Gummis sowieso ab." Für Bischof Pabillo läuft die ganze Diskussion allerdings längst in eine völlig falsche Richtung. Kinder vor allem als Armutsrisiko zu sehen, werde der Schönheit von Familie nicht gerecht. "Es gibt nicht zu viele Kinder, sondern zu wenig Chancen und Gerechtigkeit - mit der Gratispille macht es sich der Staat zu einfach."