Wiesemann will Sperren im Kopf überwinden
Vier Kundschafterreisen hat das katholische Bistum Speyer unternommen. Die letzte endet an diesem Montag. Beobachtet wurden so ganz unterschiedliche Länder und Kirchen wie in England, Nicaragua, Südafrika und auf den Philippinen. Das Ziel hieß "Lernen von der Weltkirche", um Anregungen für die eigene Entwicklung zu bekommen. Im Interview spricht Bischof Karl-Heinz Wiesemann über seine eigenen Erfahrungen als Kundschafter und erklärt, welche Prozesse in der Pfalz angestoßen werden sollen.
Frage: Herr Bischof Wiesemann, welche Idee steht hinter den Kundschafterreisen?
Wiesemann: Wir wollen uns von der Weltkirche bereichern und inspirieren lassen. Wir stecken in einer Umbruchsituation und spüren, dass die alten Rezepte nicht mehr so einfach funktionieren. Aber es geht natürlich nicht, Initiativen eins zu eins bei uns zu übernehmen. Wir wollen Sperren im Kopf überwinden und mit der Kreativität des Heiligen Geistes nach Modellen schauen, die uns in dieser Umbruchsituation helfen können. Dabei lernen wir auch von Menschen und Kirchen, die es nicht leicht haben, die gegen größte Widerstände, gegen Nöte, Armut und häufig auch gegen Naturkatastrophen ankämpfen müssen und trotzdem Zuversicht bewahren und den Neuaufbau wagen.
Frage: Wie liefen die Reisen ab?
Wiesemann: Grundidee war, Tandems aus Haupt- und Ehrenamtlichen loszuschicken. Begleitet wurden die Gruppen von der Führungsebene des Bistums. Der hohe Einsatz der Ehrenamtlichen ist bemerkenswert, da haben sich viele zwei Wochen Urlaub nehmen müssen. Zudem haben wir geschaut, dass die Tandems sowohl räumlich als auch von der seelsorglichen Situation ihrer Heimat her die ganze Bandbreite des Bistums von der Vorderpfalz bis ins Saarland abdecken.
Linktipp: Über den eigenen Kirchturm hinausschauen
Für die Pastoral auf Pirsch: 40 Freiwillige aus dem Bistum Speyer wollen in vier Ländern erleben, was Kirche dort lebendig macht. Die Kundschafter sollen frische Impulse für ihre Diözese mitbringen. (Artikel vom August 2016)Frage: Sie selbst haben an der Reise auf die Philippinen teilgenommen.
Wiesemann: Sehr interessant war, wie stark dort die lokale Kirchenentwicklung von einem gemeinsamen Visionsprozess ausgeht. Wir reagieren oft nur auf Notwendigkeiten. Wichtig ist, sich aus den Gemeinden von den Gläubigen inspirieren zu lassen. Ganz konsequent entsteht dort eine partizipative Kirche, in der Menschen auf allen Ebenen teilhaben. Weil bei uns das Traditionschristentum mit seinem Versorgungsdenken zu Ende geht, brauchen wir neue Formen der Teilhabe, abgeleitet aus dem gemeinsamen Priestertum aller Christen.
Frage: Das heißt konkret?
Wiesemann: Die Philippinen haben sehr große Pfarreien mit 30.000 oder 40.000 Gläubigen. In ihnen bestehen lebendige Basisgemeinschaften. Die Pfarrei ist dort eine Gemeinschaft der Gemeinschaften, die sich von der Basis her selbst organisieren und verlebendigen. Verbunden ist der Prozess mit Bildung: Menschen werden befähigt, vor Ort das Leben zu gestalten.
Die Basisgemeinschaften sind stark mit dem Alltagsleben der Menschen vor Ort, mit ihren Sorgen und Nöten verbunden. Karitatives und kirchliches Leben sind also nicht getrennt, sondern eins. Ausgangspunkt von allem ist die Spiritualität: Es geht um ein Leben aus dem Wort Gottes heraus. Aktivitäten beginnen damit, sich Zeit zu nehmen, das Wort Gottes zu hören und zu teilen.
Frage: Dahinter steht ein neues Modell von Kirche.
Wiesemann: Kein ganz neues. Auch wir in Deutschland haben starke Beteiligungsstrukturen, zum Beispiel in Pfarrei- und Verwaltungsräten. Wir haben einen starken Laienkatholizismus, große Erwachsenen- und Jugendverbände. Wir sind nicht schlecht aufgestellt, aber wir kommen jetzt an eine Abbruchkante.
Der pastorale Ansatz auf den Philippinen konzentriert sich auf das konkrete Lebensumfeld der Menschen, auf die Nachbarschaft. Man beginnt damit, die Menschen in ihren Häusern aufzusuchen und konkret nach ihren Hoffnungen, Wünschen und Sehnsüchten zu fragen. Eine Kirche, die an die Ränder geht, wie es Papst Franziskus sagt. Um richtig den Glauben zu verkünden, müssen wir stärker auf die Menschen hören.
„Es geht nicht um fertige Rezepte.“
Frage: Solche Modelle setzen voraus, dass Priester Verantwortung abgeben...
Wiesemann: ... und das fällt nicht allen leicht. Priester dürfen sich aber nicht als Sonne in einem Planetensystem, sondern müssen sich als Netzwerker verstehen. Eine verbundenere Welt braucht andere Leitungsstile. Bei der Umstrukturierung in unserem Bistum ist deshalb das Stichwort "ermöglichende Leitung" wichtig. Das Beispiel der Basisgemeinschaften auf den Philippinen zeigt, dass sie davon leben, dass sie großes Vertrauen genießen.
Frage: Wie geht es jetzt weiter, was bedeuten die Kundschafterreisen für die Menschen im Bistum Speyer?
Wiesemann: Wir werten die Reisen unter anderem auf einem Pastoraltag gemeinsam aus. Dort beginnt die eigentliche Transferleistung: Welche Inspirationen haben wir bekommen, was können und wollen wir umsetzen? Es geht nicht um fertige Rezepte, die den Menschen in der Pfalz und im Saarpfalzkreis gleichsam aufgedrückt werden. Wir wollen vielmehr quer durch die Diözese kreative Prozesse ermöglichen. Und dabei können die Kundschafter helfen, indem sie von ihren Erfahrungen erzählen. Etwa davon, dass sie gespürt haben, dass vieles möglich ist.