Fundament für die Menschenrechte
"Sind sie keine Menschen? Haben sie nicht vernunftbegabte Seelen?", fragte am vierten Adventssonntag 1511 der Dominikanerpater Antonio Montesino in einer seiner Predigten über das Unrecht des Kolonialismus. Ein Jahr war er da bereits auf der mittelamerikanischen Insel Hispaniola als Missionar und erlebte das spanische Kolonialregime aus nächster Nähe: Die Ureinwohner wurden ohne Nachsicht bekämpft, beraubt, versklavt. Millionen von Indios wurden von den Conquistadoren ermordet.
So selbstverständlich die Antwort heute scheint: Die Frage, ob auch die Indios Menschen seien, war im 16. Jahrhundert keine rhetorische. Mit seinen Menschenrechtspredigten, in denen er die Eroberer "im Stand der Todsünde" sah und für ihr Handeln keinerlei Rechtfertigung erkennen konnte, wandte der Dominikaner sich nicht nur gegen die weltliche Obrigkeit.
"Sklaven von Natur aus"
Auch das Lehramt der Kirche rechtfertigte zu seiner Zeit das Handeln der Eroberer. 1493 hatte Papst Alexander VI. mit seinen Schenkungsbullen die eben erst entdeckte "Neue Welt" zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt und die Kolonialmächte aufgefordert, die "barbarischen Nationen" der Ureinwohner zu unterwerfen. Bereits einige Jahrzehnte zuvor hatte Papst Nikolaus V. in einer Bulle die Erlaubnis erteilt, Nicht-Christen in die Sklaverei zu zwingen. Die Ureinwohner seien den Europäern in allen Dingen unterlegen, nicht zum Vernunftgebrauch fähig – und daher ihre Versklavung gerechtfertigt. Philosophisch geadelt wurde diese Position durch den von der Theologie der Scholastik hochgeschätzten Aristoteles, der manche Menschen für "Sklaven von Natur aus" hielt, die nur zum Dienen geeignet seien.
Unter den Eroberern, gegen die sich die Predigt Montesinos wandte, war auch der 1484 in Sevilla geborene Bartolomé de Las Casas. Als Soldat und späterer Lehnsherr war der 1484 in Sevilla Geborene in die Kolonien gekommen. 1510 wurde er zum Priester geweiht – als erster in der "Neuen Welt" – und verteidigte zunächst das Kolonialregime. Doch je mehr er von der Brutalität der Conquistadores sah, desto mehr war er abgestoßen. Jahrzehnte später beschreibt er in seinem "Kurzen Bericht über die Zerstörung Westindiens" grausame Szenen: "[Die Conquistadoren] bauten große Galgen, die so beschaffen waren, dass die Füße der Opfer beinahe den Boden berührten und man jeweils dreizehn von ihnen henken konnte, und zu Ehren und zur Anbetung unseres Heilands und der zwölf Apostel legten sie Holz darunter und zündeten es an, um sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen."
Kampf für die Rechte der Ureinwohner
1522 wird Las Casas selbst Dominikaner. Für ihn ist die Antwort auf Montesinos Frage nun klar: Natürlich sind die Indios Menschen, und natürlich haben sie vernunftbegabte Seelen. Las Casas argumentiert in Spanien wie in den Kolonien für eine gewaltfreie Bekehrung der Indios, er wendet sich gegen ihre wirtschaftlich motivierte Ausbeutung und Unterdrückung, schreibt gegen die Grausamkeit und Gier des Kolonialismus an.
Linktipp: Stimme der Ureinwohner Amerikas
Das Weltreich Spanien basierte auf Sklaverei und Ausbeutung, der vor allem die Einwohner der "Neuen Welt" zum Opfer fielen. Aber Spanien brachte mit Bartolomé de Las Casas auch eine Stimme hervor, die sich mit kraftvollen Worten gegen dieses horrende Unrecht zur Wehr setzte.1537 diskutiert Las Casas seine Schrift zur friedlichen Mission in Mexiko mit bedeutenden Missionaren, darunter dem ersten Bischof von Mexiko, Erzbischof Juan de Zumárraga. Sie schicken eine Petition an Paul III., und schließlich wird auch der Papst zum Verbündeten: Am 2. Juni 1537 – sieben Jahre, nachdem der spanische König Karl V. die Versklavung der Indios verboten hatte – verkündet Papst Paul III. die Bulle "Sublimis Deus" ("Der erhabene Gott"). Das kurze Schreiben ist ganz auf der Linie Montesinos und Las Casas. Der Papst stellt nicht nur fest, dass die Ureinwohner vernunftbegabt sind und aus freien Stücken den Glauben annehmen können. Er verurteilt auch die Sklavenhalter als "Helfershelfer" des Teufels, "die nichts anderes begehrten, als ihre Habsucht zu befriedigen, dass sie unablässig daraufhin arbeiteten, die Bewohner West- und Südindiens und andere Nationen wie Tiere zum Sklavendienst einzuspannen". Paul III. bezeichnet die "Indianer" als "wirkliche Menschen" und bekräftigt ihr Recht auf Freiheit und Eigentum. Und, ungewöhnlich für das Lehramt der Kirche: Er wendet sich deutlich gegen seine Vorgänger: "Alles, was diesen Bestimmungen zuwiderläuft, sei null und nichtig", verfügt der Papst "kraft unserer apostolischen Autorität, ungeachtet all dessen, was früher in Geltung stand und etwa noch entgegensteht".
Auch wenn die klaren Worte des Pauls III. in den Kolonien immer wieder missachtet wurden und die Lebenswirklichkeit der Indios sich kaum veränderte: Nun hatten die Dominikaner und andere Orden das Lehramt auf ihrer Seite – und das blieb auch politisch nicht folgenlos: Der Kampf für die Rechte der Ureinwohner hatte Auswirkungen auf die Entwicklung der Idee der Menschenrechte. Der Kirchenhistoriker Hans-Jürgen Prien, der lange in Brasilien lehrte, bezeichnet daher "Sublimis Deus" als "Magna Charta des Völkerrechts". Sein Kollege Ricardo Piqueras, der an der Universität Barcelona die spanische Kolonialgeschichte erforscht, wird noch deutlicher. Er nennt die kurze Bulle – keine 500 Wörter ist sie lang – das "Fundament für ein neues politisches Denken, für das Völkerrecht, für die Menschenrechte".