Wiener Erzbischof äußert sich zur Auslegung von "Amoris laetitia"

Schönborn: "Dubia" sind längst beantwortet

Veröffentlicht am 14.07.2017 um 13:50 Uhr – Lesedauer: 
Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien, bei der Pressekonferenz zur Familiensynode am 16. Oktober 2014 im Vatikan.
Bild: © KNA
Papstschreiben

Bonn ‐ Kardinal Christoph Schönborn wehrt sich gegen Äußerungen von Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Dieser hatte kürzlich Schönborns Auslegung des nachsynodalen Schreibens "Amoris laetitia" kritisiert.

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Der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn hat erneut Stellung zur Auslegung des päpstlichen Schreibens "Amoris laetitia" bezogen. Die Antwort auf die sogenannten "Dubia" sei "sehr einfach", sagte Schönborn laut der britischen Zeitschrift "The Tablet" am Donnerstag. Die Lehre der Kirche, dass eine gültige Ehe unauflöslich ist, gelte auch weiterhin. Das habe Papst Franziskus nie in Frage gestellt, denn es beziehe sich auf "Grundsätze der Bibel, des Evangeliums und der Lehre Jesu". "Aber diese Antwort ist keine Antwort auf all die einzelnen Fälle und Situationen, mit denen wir jeden Tag umgehen müssen", so Schönborn, der sich am Rande eines Familienkongresses im irischen Limerick äußerte.

In der Praxis müsse zwischen einzelnen Fällen unterschieden werden. "Wir müssen die Tugend der Besonnenheit anwenden und das bedeutet, klar die Wirklichkeit zu sehen." Dabei erinnerte Schönborn auch an das Schreiben "Familiaris Consortio" von Johannes Paul II., in dem dieser die Hirten verpflichtet habe, zwischen unterschiedlichen Lebenssituationen zu differenzieren. Schönborn wandte sich sowohl gegen eine unbeugsame als auch gegen eine zu lockere Haltung zu Amoris laetitia. Der Weg der Differenzierung sei weniger simpel, aber "fruchtbarer", so der Erzbischof.

Schönborn kritisierte zudem das Verhalten der "Dubia-Kardinäle" Walter Brandmüller, Raymond Burke, Carlo Caffarra und des kürzlich verstorbenen Joachim Meisner. Öffentlich Druck auf Franziskus auszuüben, um eine Antwort auf ihren Brief zu erzwingen, sei ein "absolut unpassendes Verhalten" für Kardinäle als "engste Mitarbeiter des Papstes", so der Erzbischof. Zu dem zweiten im Juni aufgetauchten Brief der Kardinäle, in dem sie Franziskus zur Klärung offener Fragen um eine Audienz bitten, sagte Schönborn: "Wenn sie eine Audienz beim Papst wollen, dann sollen sie ihn danach fragen, aber nicht öffentlich machen, dass sie nach einer Audienz gefragt haben."

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Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat Kardinal Christoph Schönborns Auslegung von "Amoris laetitia" kritisiert. Jetzt antwortet der Wiener Erzbischof.

Weiter wies Schönborn die Kritik Kardinal Gerhard Ludwig Müllers an seiner Auslegung von Amoris laetitia zurück. "Das ist meine Meinung, und ob sie andere Leute teilen, ist ihre Sache", sagte der Erzbischof. Müller hatte kurz nach seiner Absetzung als Glaubenspräfekt betont, die bisherigen Interpretationen des päpstlichen Schreibens seien "nicht überzeugend". Dabei nahm er Bezug auf Schönborn und Kurienkardinal Walter Kasper, die sich für einen differenzierten Umgang bei der Kommunionzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen ausgesprochen hatten.

Unbeantwortete Fragen

Ihren Ausgangspunkt nahm die Dubia-Debatte mit einem Brief der vier Kardinäle vom September 2016. Die darin enthaltenen fünf Fragen bezogen sich vor allem auf das achte Kapitel von Amoris laetitia und den damit verbundenen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Die Fragen waren in sogenannter Dubia-Form ("Zweifel") verfasst: eine jahrhundertealte Praxis, um eine für Bischöfe unklare Rechtslage mit der Glaubenskongregation zu klären; formal sind die Fragen nur mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten.

Die erste Frage sollte klären, ob eine Person zur Eucharistie zugelassen ist, die zivil geschieden und wiederverheiratet ist, obwohl ihre kirchliche Ehe noch Bestand hat, also nicht annulliert wurde. Die vier weiteren Fragen beschäftigen sich mit scheinbaren Widersprüchen zur Kirchenlehre. Nachdem der Papst den Brief der Kardinäle nicht beantwortet hatte, machten diese ihn im November 2016 öffentlich. Kritiker bemängelten dieses Vorgehen und wiesen darauf hin, dass das Dubia-Verfahren nicht die richtige Form für Fragen an den Papst darstelle.

Linktipp: Dürfen sie nun oder nicht?

Noch immer ringt die Kirche um die richtige Auslegung von "Amoris laetita". Befürworter und Gegner der Kommunion für Wiederverheiratete stehen sich unversöhnlich gegenüber. Doch einer hält sich bedeckt. (Artikel von Juli 2016)

Verschiedene Bischofskonferenzen und einzelne Diözesen hatten nach der Veröffentlichung von Amoris laetitia Handreichungen zum Umgang mit Wiederverheirateten herausgegeben. In Deutschland, Belgien und Malta etwa wurde das Schreiben so interpretiert, dass unter bestimmten Umständen und nach ausführlicher Gewissensprüfung die Zulassung zur Eucharistie für Wiederverheiratete möglich sei. Kardinal Gerhard Ludwig Müller oder die polnische Bischofskonferenz hingegen hatten eine solche Handhabung abgelehnt, solange das Paar nicht "wie Bruder und Schwester" zusammenlebt.

Papst Franziskus selbst hat sich bislang nur indirekt zur Diskussion um das Schreiben geäußert. Kurz nach der Veröffentlichung von Amoris laetitia im April 2016 wurde er auf die richtige Auslegung angesprochen und verwies auf die Interpretation Schönborns. Dieser hatte das Schreiben in Rom vorgestellt und ein Exposee zu dem Dokument verfasst. Im September 2016 bestätigte der Papst per Brief die argentinische Diözese San Miguel in ihren neuen Leitlinien. Darin hatte sie Wiederverheiratete zur Kommunion im Einzelfall zugelassen.

Von Tobias Glenz