Venezuelas Sozialisten entmachten die Opposition

Protest, Entlassung, Bischofsappell

Veröffentlicht am 07.08.2017 um 11:11 Uhr – Lesedauer: 
Venezuela

Caracas ‐ In Venezuela hat die verfassungsgebende Versammlung ihre Arbeit aufgenommen. Erste Amtshandlung: Die Generalstaatsanwältin wird entlassen. Derweil rumort es in der Armee. Und ein Bischof appelliert an Europa.

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Trotz heftiger Kritik aus dem In- und Ausland hat am Wochenende in Venezuela die verfassungsgebende Versammlung (ANC) ihre Arbeit aufgenommen. Als Präsidentin wurde die ehemalige Außenministerin Delcy Rodriguez gewählt. Gleich zum Auftakt der ANC machte die überwiegend aus Regierungsanhängern bestehende Versammlung klar, wohin die künftige politische Reise Venezuelas gehen soll.

Die ANC bestimmte Tarek William Saab als neuen Generalstaatsanwalt. Der ehemalige Ombudsmann für das venezolanische Volk hat bei der Opposition einen schlechten Ruf, schmetterte er doch alle Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen ab. Tarek William Saab gilt als linientreuer Sozialist, der im Gegensatz zu bisherigen Generalstaatsanwältin Luisa Ortega keinerlei Kritik an der umstrittenen ANC übte.

Machtkampf am Sonntag

Zuvor hatten sich in Caracas dramatische Szenen abgespielt. Die Generalstaatsanwaltschaft wurde von bewaffneten Sicherheitskräften umstellt. Generalstaatsanwältin Ortega war eine der letzten noch im Amt befindlichen Gegenspielerinnen der Sozialisten. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hatte deshalb einen Schutzmechanismus für Ortega aktiviert. Doch dies hinderte die verfassungsgebende Versammlung nicht daran, Ortega zu entlassen. Der entsprechende Beschluss fiel am Samstag bei der ersten regulären Sitzung des Gremiums in Caracas.

Am Sonntag dann der nächste Machtkampf: In einer Kaserne kam es zu einem Aufstand, rebellierende Militärs stellten sich gegen die verfassungsgebende Versammlung und forderten ein Ende der "Tyrannei des Mörders Nicolas Maduro". In einem Video, das General Juan Caguaripano zeigen soll, wurde zu Widerstand aufgerufen. Auch dieser Aufstand wurde nach Angaben des sozialistischen Spitzenfunktionärs Diosdado Cabello niedergeschlagen. Kommandant Remigio Ceballos erklärte, sieben aufständische Personen seien festgenommen worden.

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Am Wochenende hatte der venezolanische Bischof Mario Moronta die Nationalgarde zum Seitenwechsel aufgerufen. "Wir fordern die Sicherheitskräfte dazu auf, umzukehren und sich auf die Seite der Menschenrechte zu stellen", sagte der Bischof von San Cristobal dem Sender Radio Vatikan. Die Soldaten hätten gelobt, das Volk und die Demokratie zu verteidigen. Sie dürften sich den Demonstranten nicht länger entgegenstellen, zitierte die deutsche Redaktion von Radio Vatikan den Bischof. An die europäischen Länder appellierte Moronta, keine Waffen zu liefern.

Vatikan forderte einen Verzicht auf die ANC

Wenige Stunden vor der geplanten konstituierenden Sitzung hatte der Vatikan die Regierung von Staatspräsident Nicolas Maduro in Venezuela zum Verzicht auf die verfassungsgebende Versammlung aufgerufen. Statt Versöhnung und Frieden zu fördern, nähre diese ein "Klima der Spannung und der Auseinandersetzung" und sei eine Hypothek für die Zukunft, erklärte das vatikanische Staatssekretariat. Nötig sei eine Verhandlungslösung zusammen mit einer Öffnung humanitärer Korridore für Lebensmittel und Medikamente, Neuwahlen, Respektierung des Parlaments sowie der Freilassung politischer Gefangener. Am Samstag wurde der prominente Oppositionspolitiker Leopoldo Lopez zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage aus dem Militärgefängnis in den Hausarrest verlegt. 

Seit Wochen gibt es in Venezuela Massenproteste gegen die sozialistische Regierung, die Anfang April vergeblich versucht hatte, das Parlament, in dem die Opposition seit den Wahlen 2015 die Mehrheit hat, auf juristischem Wege zu entmachten.

Maduro regiert seit Jahren mit Hilfe von Sonderdekreten und dem Ausnahmezustand am Parlament vorbei. Zudem sind seitdem keine Regional- und Kommunalwahlen mehr durchgeführt worden, obwohl diese längst überfällig sind. Stattdessen ordnete Maduro im Mai die verfassungsgebende Versammlung an, deren Teilnehmer am vergangenen Sonntag gewählt wurden. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Foro Penal wurden insgesamt schon mehr als 120 Menschen bei Protesten getötet.

Von Tobias Käufer und Norbert Demuth (KNA)

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