Die aktuelle Reise fordert das Talent des Papstes als Versöhner

Franziskus vor schwieriger Mission in Kolumbien

Veröffentlicht am 06.09.2017 um 16:55 Uhr – Lesedauer: 
Papstreisen

Rom/Bogotá ‐ Auf dem Flug musste Franziskus dem Hurrikan Irma ausweichen - wie ein Omen, dass in Lateinamerika auf ihn auch Gegenwind wartet. In Kolumbien wird es die Friedensbotschaft des Papstes schwer haben.

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Stürme umgehen, um sicher zum Ziel zu kommen: In letzter Minute, als Papst Franziskus am Mittwoch zu einem fünftägigen Kolumbienbesuch aufbrach, wurde eine Routenänderung beschlossen, weil der Hurrikan "Irma" über der Karibik wütet. Statt über Puerto Rico zu fliegen, nahm die Sondermaschine der Alitalia einen südlicheren Kurs über Barbados, Trinidad und Tobago. Rücksicht auf widrige Winde ist vielleicht genau das, was Franziskus auf seiner 20. Auslandsreise braucht.

Gewalt zwischen Regierung und Rebellen forderte 300.000 Tote

Fünf Jahrzehnte bewaffneter Kampf mit der linken FARC-Guerilla liegen hinter Kolumbien. Die Zahl derer, die in dem bürgerkriegsähnlichen Konflikt getötet wurden, wird auf 300.000 geschätzt; bei allen bewaffneten Auseinandersetzungen, also auch jenen der Guerilla-Organisation ELN, der Paramilitärs und Milizen von Drogenbanden, kamen nach offizieller Zählung seit den 80er-Jahren acht Millionen Menschen in irgendeiner Form zu Schaden. Das lässt erahnen, welch brutale Realität die Gewalt für die 50 Millionen Kolumbianer ist.

Franziskus kennt Kolumbien. Als argentinischer Ordenspriester und später als Bischof von Buenos Aires besuchte er das Land mehrfach. Den Friedensprozess zwischen FARC und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos verfolgte er intensiv, zumal auch die Kirche an der Annäherung beteiligt war. Umso mehr fällt ins Gewicht, wenn er selbst die Visite als eine "etwas spezielle Reise" bezeichnet.

Kolumbianische Bürger feiren die Verkündigung des Friedens zwischen Regierung und Rebellen.
Bild: ©picture alliance / AP Photo

Kolumbianische Bürger feiern die Verkündigung des Friedens zwischen Regierung und Rebellen.

Er wolle Kolumbien helfen, "voranzugehen auf seinem Friedensweg", sagte der Papst auf dem Weg nach Bogota vor mitreisenden Journalisten. Und dann bat er sie um ihr Gebet für dieses Ziel. Dem 80-jährigen Papst ist klar, dass sein Erfolg nicht allein von wochenlang ausgefeilten Redeskripten abhängt, auch nicht von seinem Gespür für den Augenblick.

So tief ist die Wunde in der kolumbianischen Gesellschaft nach 50 Jahren Gewalt, dass ein erstes Friedensabkommen zwischen FARC und Regierung bei einer Volksabstimmung knapp scheiterte. Nach erneuten Verhandlungen klappte es dann im zweiten Anlauf. Knackpunkte sind unter anderem die gesellschaftliche Integration der ehemaligen Kämpfer und die Strafverfolgung - mithin so etwas wie das Verzeihen, ein Kernthema des Papstes. Aber auch die kolumbianische Bischofskonferenz ist in dieser Frage gespalten wie nie zuvor.

Bezeichnenderweise verzichtet das Reiseprogramm auf das Wort "reconciliación" - Wiederversöhnung - und spricht nur von "conciliación", Versöhnung. Es gab noch nie eine Einheit, die man wieder zusammenflicken könnte.

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Seit der Staatswerdung vor über 200 Jahren begleitet Kolumbien die Kontroverse um Recht und Rolle der Landlosen und Kleinbauern, um linke Arbeiterbewegungen und ihr Verhältnis zu den großen politischen Strömungen des Landes. Die bekriegten sich die Geschichte hindurch oft bis aufs Blut, gehörten aber immer zum Establishment der Besitzenden. Der Aufruf zur Versöhnung im Motto der Reise - "Demos el primer paso", zu Deutsch "Tun wir den ersten Schritt" - er ist nichts weniger als ein Appell, mit dem Frieden Neuland zu betreten.

Warum reist der Papst in Kolumbien nicht an die Ränder?

Für einen Papst, der beständig den Gang an die Ränder der Gesellschaft predigt, wirken seine Stationen in Kolumbien ein bisschen mondän: die Hauptstadt Bogotá, das Agrar- und Handelszentrum Villavicencio, die quirlige, von Akademikertum geprägte Metropole Medellin, das Touristenparadies Cartagena am Karibischen Meer. Manche meinen, in dem Programm die mäßigende Hand des konservativen Kardinals Rubén Salazar aus Bogotá zu erkennen.

Der kolumbianische Befreiungstheologe Fernando Torres Millan würde diese Sicht jedoch gegen den Strich bürsten. Gerade auch die ausgewählten Städte, sagte er im Vorfeld der Reise, machten existenzielle und soziale Randgebiete sichtbar, "in denen prophetische Gesten, Schreie und Klagen zum Vorschein kommen können" - eine aufbegehrende Jugend in Bogotá, Konfliktopfer in Villavicencio, die Realität des Drogenhandels in Medellín, Cartagenas Schutzheiliger Pedro Claver, der an die Unterdrückung der Afrokolumbianer erinnert. Die Frage ist, wie behutsam und zugleich bestimmt Franziskus seine Versöhnungsbotschaften dort artikuliert, wo sie als unbequem empfunden werden. Torres hofft jedenfalls auf einen "kirchlichen Frühling" für Kolumbien. Einen Frühling nach dem Sturm.

Von Burkhard Jürgens (KNA)