Gedenktag: 11. Oktober

Johannes XXIII. - Ein Mann für den Übergang

Veröffentlicht am 11.10.2017 um 10:45 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Priesterchen, Priesterchen!" Mit diesen Worten ärgerten seine Freunde den kleinen Angelo Roncalli. Rund 70 Jahre später bestieg er den Stuhl Petri. Heute ist der Gedanktag des heiligen Johannes' XXIII.

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"Priesterchen, Priesterchen!" Angelo Guiseppe Roncalli war Ministrant bei einer Beerdigung, als ihn seine Freunde mit diesen Worten provoziert haben sollen. Der Sechsjährige sei darüber dermaßen erzürnt gewesen, dass er heftig mit dem Weihrauchfass schwenkte und einen der "Übeltäter" am Kopf traf. Daraufhin habe er sich bei allen Trauergästen entschuldigen müssen.

Auch wenn es den kleinen Angelo damals geärgert haben mag, war ihm eigentlich zu diesem Zeitpunkt schon klar: Er wollte Pfarrer werden. Rund 70 Jahre später bestieg er den Stuhl Petri als Johannes XXIII. – und sollte zum Heiligen werden.

Als Roncalli am 25. November 1881 in Sotto il Monte, einem kleinen Dorf in der italienischen Diözese Bergamo, geboren wurde, war sein späterer Weg noch keinesfalls abzusehen. Denn als drittes von dreizehn Kindern – und erster Sohn – eines Bauernehepaars sah es die Tradition vor, dass er irgendwann den heimischen Hof und damit die Verantwortung für die Familie übernehmen würde. An das Abitur oder gar ein Studium war nicht zu denken. Doch es kam anders.

Roncalli wurde durch den Pfarrer seiner Heimatgemeinde gefördert

Auch wenn er seine Fähigkeiten zunächst nicht immer für die Schulaufgaben nutzte, erkannten die Lehrer sein Potenzial schon früh, bezeichneten ihn als "klug", "fähig" und einen "lebendigen Geist". Gefördert vom örtlichen Gemeindepfarrer besucht der junge Angelo nach der Dorfschule das bischöfliche Internat im Nachbarort Celana. Allein für den Fußweg zur Schule und zurück benötigte er täglich rund sechs Stunden. Da seine Mitschüler im Gegensatz zu ihm aus der städtischen Mittelschicht stammten und fast drei Jahre älter waren als er, wurde Roncalli zum Außenseiter.

Video: © jacko37778's channel/youtube.com

Bereits 1958 ein Medienereignis: Das "Habemus Papam" von Johannes XXIII.

Das wurde dem jungen Angelo zuviel. Mit elf Jahren wechselte er in das Priesterseminar in Bergamo - zu dieser Zeit fast die einzige Option, in Italien eine höhere Schulbildung zu erhalten. Diese Episode seines Lebens hat den späteren Johannes XXIII., der für seine tiefe Frömmigkeit bekannt war, geprägt. Nach seinem Schulabschluss begann er um 1900 das Studium der Theologie am römischen Apollinare-Seminar, das er fünf Jahre später als promovierter Kirchenhistoriker verließ.

Am 10. August 1904 wurde Roncalli mit gerade einmal 23 Jahren in der römischen Kirche Santa Maria in Monte Santo zum Priester geweiht. Bei einer seiner ersten Messen begegnete er Papst Pius X., der dem jungen Geistlichen gesagt haben soll: "Bravo, mein Segen sei mit dir! Ich hoffe, du wirst dieser hohen Berufung Ehre machen."

1905 wird Roncalli Sekretär des Diözesanbischofs von Bergamo

Roncalli tat sein Bestes, um dem Wunsch des Papstes nachzukommen. Bereits ab 1905 war er Sekretär des neuen Diözesanbischofs von Bergamo, Radini Tedeschi, der ihm vor allem sozialpolitisch ein Vorbild war. So berichtete Johannes XXIII. später, was sein Mentor ihm mit auf den Weg gab: "Die Katholische Aktion muss vor allem dort eingreifen, wo Gerechtigkeit und Nächstenliebe offensichtlich missachtet werden."

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Video: © katholisch.de

"Wir sind Heilig": Bernhard Paul, der Direktor des Zirkus Roncalli, über Papst Johannes XXIII., nach dem er seinen Zirkus benannt hat.

Diese Gedanken finden sich unter anderem in seiner Enzyklika "Pacem in terris" von 1963 wieder, in der er "über den Frieden unter allen Völkern in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit" schreibt. Der Papst warb später aber auch deshalb so intensiv für den Frieden, weil er als junger Mann den Krieg kennenlernte. Er diente 1915 zunächst als Sanitätssoldat und wurde ein Jahr später Militärseelsorger.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – Roncalli war mittlerweile 37 Jahre alt – arbeitete er zunächst als Jugend- und Studentenpfarrer, bevor er 1925 Erzbischof und Apostolischer Visitator in Bulgarien wurde. Seinem Wahlspruch "Oboedientia et Pax" (Gehorsam und Frieden) verschrieb er sich für den Rest seines Lebens. In Sofia machte der gebürtige Italiener erstmals persönliche Erfahrungen mit der Ökumene - und ihren Problemen. Das Verhältnis zu den orthodoxen Christen befand sich zu dieser Zeit auf einem Tiefpunkt. Der Papst sollte sich später daran erinnern und das Thema "Ökumene" auf die Agenda für das Zweite Vatikanische Konzil setzen.

Zunächst brauchte man Roncalli jedoch noch an anderer Stelle: als Apostolischen Delegaten für die Türkei und Griechenland. Während er in der Türkei wieder verstärkt als Seelsorger tätig war, leistete er während des Zweiten Weltkriegs der bedrängten griechischen Bevölkerung Hilfe. Er verhinderte unter anderem die Deportation vieler Juden, indem er im Namen der Apostolischen Delegation Reisevisa ausstellte, die ihnen die Flucht ermöglichten.

Das Zweite Vatikanische Konzil

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) ist das wichtigste kirchliche Ereignis des 20. Jahrhunderts. Es leitete umfangreiche Reformen der katholischen Kirche ein. Dazu zählen Gottesdienste in der Muttersprache, die Anerkennung der staatlichen Religionsfreiheit, ein stärkeres Miteinander der christlichen Konfessionen (Ökumene) und der Dialog mit nichtchristlichen Religionen. Erfahren Sie im Dossier mehr darüber.

Gegen Ende des Krieges berief Papst Pius XII. den mittlerweile 63-Jährigen zum Apostolischen Nuntius in Paris – einen der bedeutendsten, aber auch schwierigsten Posten der vatikanischen Diplomatie. Erzbischof Roncalli selbst wusste: Für den Job wurde eine politisch unbelastete Persönlichkeit, eine "schwarze Soutane mit weißer Weste" gesucht. Dabei ging es vor allem um die Aufarbeitung der kirchlichen Beziehungen zum französischen Vichy-Regime. Später meinte Johannes XXIII. zu seiner Berufung: "Wenn die Pferde nicht mehr können, nimmt man die Esel."

Vor allem in Paris, aber auch schon zu seiner Zeit in Istanbul traf Roncalli Menschen anderer Traditionen und Weltanschauungen, sprach mit Juden und Orthodoxen, mit Atheisten und Marxisten. Dabei wurde ihm der wachsende Graben zwischen der katholischen Kirche und der modernen Welt bewusst. Kirchliche Riten, Traditionen und Lehren wurden von immer größer werdenden Teilen der Bevölkerung nicht mehr verstanden. Das musste sich in den Augen des späteren Papstes ändern.

Kardinal Roncalli kehrt zu seinen Wurzeln zurück

Am 12. Januar 1953 wurde Roncalli schließlich zum Kardinal erhoben und drei Tage später zum Erzbischof und Patriarchen von Venedig ernannt. Bei seiner Ankunft begrüßte er die Venezianer mit folgenden Worten: "Seht in eurem Patriarchen nicht den Politiker und nicht den Diplomaten, sondern seht in ihm ausschließlich den Seelenhirten." Diese Rückkehr zu seinen Wurzeln sei eine nützliche und gute Schule für die Hirtensorge und "gleichsam eine Vorbereitung auf das Papsttum" gewesen, sagte der italienische Kurienkardinal Alfredo Ottaviani später über Johannes XXIII.

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KNA-Chefredakteur Ludwig Ring-Eifel über den "Konzilspapst"

Auch wenn er der restlichen Welt nur wenig bekannt war, hatte sich der Italiener kirchenintern einen guten Ruf erarbeitet: als politisch versierter Diplomat und bodenständiger Seelsorger. So kam es, dass Roncalli am 28. Oktober 1958 - es war der vierte Tag des Konklaves - zum Papst gewählt wurde. Dem Vernehmen nach erhielt Roncalli 38 Stimmen - bei zu dieser Zeit gerade einmal 51 wahlberechtigten Kardinälen. Als 261. Oberhaupt der katholischen Kirche nannte er sich Johannes XXIII.

Doch wurden dem Pontifex auch zahlreiche andere Namen gegeben: zum Beispiel "Papa Buono" (Guter Papst), Konzils- oder Übergangspapst. Ja, Johannes XXIII. war ein "Papa Buono", der durch seine Menschlichkeit und Volksnähe an den heutigen Papst Franziskus erinnert. Er schaffte beispielsweise den Fußkuss und die bislang vorgeschriebenen drei Kniefälle bei Privataudienzen ab.

Und ja, er war auch ein Übergangspapst. Fakt ist, dass er selbst nur mit einem kurzen Pontifikat gerechnet hat. Mit dem Namen Johannes XXIII. stellte er sich in die Tradition seiner 22 Vorgänger, von denen nur Wenigen eine lange Amtszeit vergönnt war. Fakt ist aber auch, dass sich der Papst mit diesem Namen, der seit dem 15. Jahrhundert nicht mehr gewählt wurde, ebenso bewusst in eine andere Tradition stellte: in die der einen Kirche, die vor dem Zerfall in die römisch-katholische und die orthodoxe existiert hatte.

Johannes der 23. mit Sprechblase: "Angelo, nimm dich nicht so wichtig."
Johannes der 23. mit Sprechblase: "Wer Glauben hat, zittert nicht. Er überstürzt nicht die Ereignisse, er ist nicht pessimistisch, er verliert die Nerven nicht."
Johannes der 23. mit Sprechblase: "Ich bin kein bedeutender Papst wie mein Vorgänger; ich bin kein schöner Papst – seht nur meine Ohren an –, aber ihr werdet es gut bei mir haben."
Johannes der 23. mit Sprechblase: "Ich weiß, wie undankbar Landarbeit ist. Der Weinbauernsohn Roncalli sagt es euch. Und dennoch: Wenn der liebe Gott mich nicht hätte Papst werden lassen, so wäre ich am liebsten Bauer geworden."
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Er war ein Papst des Übergangs – aber nicht so, wie es viele von ihm erwartet hatten. Die Zahl der Kurienmitglieder, die unter Pius XII. stark geschrumpft war, sollte wieder wachsen. Durch den neuen Oberhirten erhofften sich die Kardinäle also vor allem eine Stärkung ihres Einflusses. Johannes XXIII. wollte jedoch mehr, als lediglich alte Verhältnisse wieder herzustellen: nämlich die Kirche erneuern und so den Übergang in eine neue Epoche einleiten. Sie sollte in der Gesellschaft wieder wahr- und ernstgenommen werden. Deshalb war er letztlich auch der "Konzilspapst", der erkannt hatte, dass sich die Kirche nicht von alleine würde öffnen können.

Nach nicht einmal dreimonatiger Amtszeit kündigte der Papst daher im Januar 1959 ein allgemeines, "ökumenisches" Konzil an, von dem er selbst nicht einmal wissen konnte, wohin es die Kirche führen würde. Das "Vaticanum II" (1962-65), dessen Ende Johannes XXIII. nicht mehr miterlebte, bleibt sein Vermächtnis. Es sorgte mit seiner Gottesdienstreform für eine Öffnung der Kirche gegenüber ihren Gläubigen, für eine Öffnung gegenüber anderen Konfessionen und Religionen und für eine Öffnung gegenüber Staat und Gesellschaft. Die Kirche sollte ihren Absolutheitsanspruch nunmehr rein geistlich interpretieren.

Johannes XXIII. starb am 3. Juni 1963 an den Folgen seiner Krebserkrankung. Seine Heiterkeit verlor er aber bis zum Schluss nicht. Noch auf dem Sterbebett war es der "Papa Buono", der aufmunternden Worte für die Menschen fand, die sich um ihn kümmerten: "Sorgt euch doch nicht so sehr um mich. Ich bin bereit für die große Reise. Meine Koffer sind gepackt." Seit dem 27. April 2014 ist er ein Heiliger. Und sein Gedenktag? Der ist nicht etwa der Tag seiner Heiligsprechung oder sein Todestag - sondern der 11. Oktober. Der Tag, an dem 1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet wurde.

Von Björn Odendahl

Hinweis: Der Artikel erschien erstmals im April 2014.