Bei diesen Exerzitien stellen sich die großen Fragen des Lebens

In der Wüste wartet Gott

Veröffentlicht am 14.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Spiritualität

München ‐ Fast zwei Wochen ohne Dusche und Waschbecken, dafür mit Temperaturschwankungen von 30 Grad: Wüstenexerzitien sind eine Grenzerfahrung. Doch die Mühe lohnt sich, denn in der Ödnis wartet Gott.

  • Teilen:

"Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn!" So kündigt Johannes der Täufer die Geburt Jesu an. Der Vers aus dem Markusevangelium gehört zu den Standardbibelstellen im Advent. Dennoch konzentrieren sich die Gedanken der meisten Christen in der Zeit vor Weihnachten wohl nicht auf karge Wüstenlandschaften, sondern vor allem auf Gemütlichkeit, Kerzenlicht und besinnliche Lieder.

"Gott kann uns überall entgegenkommen"

Eine Ausnahme stellt Andreas Schmidt dar, Spiritual des Münchner Priesterseminars und Mitglied der charismatischen Gemeinschaft Emmanuel. Aktuell steckt er mitten in den Vorbereitungen für die "Wüstenexerzitien", die er regelmäßig begleitet. Das nächste Mal wird er im Februar mit einer Gruppe nach Jordanien fliegen, um sie mit "geistlichen Übungen" – so lässt sich der Begriff "Exerzitien" übersetzen – bei ihrer Gottsuche zu begleiten. Die Anmeldungen kommen aus ganz Deutschland und darüber hinaus.

"Gott kann uns überall entgegenkommen", sagt Schmidt bei einer Tasse Tee. Aber die Wüste sei der bevorzugte Ort der Gotteserfahrung. "Wenn man in die Wüste fährt, dann ist das ein besonders geeigneter Rahmen, in dem man sich öffnet, und wo Gott in besonderer Weise zum Herzen sprechen kann", erläutert der 43-Jährige.

Bild: ©Steffen Münch

Andreas Schmidt bei einer Messe während der Wüstenexerzitien.

Genau diese Erfahrung hat Steffen Münch gemacht, der die Exerzitien der Gemeinschaft Emmanuel als Teilnehmer erlebte: "Die Wüste bietet einen unglaublich schönen Rahmen, mit der Natur zu verschmelzen, nachts in die Sterne zu schauen, eins zu werden … Da lässt Gott nicht lange auf sich warten." Seine Stimme zeugt von der Begeisterung, die die Wüste bis heute in ihm auslöst.

Warum führt man fast zwei Wochen ein karges Leben in der Wüste?

Denkt man an die äußeren Bedingungen einer Wüstenlandschaft, bringt die Romantik aber auch Entbehrungen mit sich. Die Teilnehmer lassen nicht nur sämtliche technische Geräte inklusive Uhr zu Hause zurück. Laut Münch ersetzen "Unmengen von Erfrischungstüchern" Waschbecken, Dusche und Toilette. Während tagsüber in dieser Jahreszeit Temperaturen von 20 bis 25 Grad herrschen, kann es nachts auf null Grad abkühlen. Immerhin muss jeder nur seinen Tagesrucksack tragen, das übrige Gepäck transportiert eine Gruppe Beduinen. Jeden Tag laufen die Teilnehmer eine bestimmte Wegstrecke. Am Abend kommen sie an das von Beduinen vorbereitete Lager, wo sie unter freiem Himmel übernachten.

Wie kann man sich dafür entscheiden, fast zwei Wochen lang ein so karges Leben zu führen? Steffen Münch gibt zu, dass er sich als Mann zunächst von der Idee eines Outdoor-Abenteuers angezogen fühlte. Damit hätte er jedoch das Gespräch nicht bestanden, das mit jedem Interessierten im Zuge der Anmeldung geführt wird. Dort wird geklärt, ob die Exerzitien für den Jeweiligen das Richtige sind. Dabei gehe es nicht darum, Extremsportler zu sein, sondern ob man wirklich auf der Suche nach Gott ist. Münch, der zuvor nur wenig mit dem Glauben zu tun hatte, erlebte kurz vor seinen Exerzitien etwas, das er "Gotteserfahrung" nennt. Daraufhin habe er Lust bekommen auf dieses Abenteuer mit Gott.

Bild: ©Steffen Münch

In der Wüste sind Pflanzen und Tiere zu Hause.

Vor dem Abflug hatte der 33-jährige Maschinenbauingenieur weder Angst vor den fehlenden hygienischen Möglichkeiten, noch vor den Schlangen und Skorpionen, die man vereinzelt antreffen könne. "Ich war aufgeregt davor, mit einer religiösen Gemeinschaft loszufahren", gibt Münch zu. Da er aus Berlin kommt, kannte er solche Gemeinschaften nicht. Vor allem ungewohnt sei die Art gewesen, den Glauben "extrovertierter" zu leben. In der Wüste habe er dann aber eine tolle Gemeinschaft erlebt. "Es war schnell und einfach, mit Leuten in Kontakt zu kommen", erinnert er sich.

Bei den Wüstenexerzitien hielten sich Einzel- und Gemeinschaftselemente die Waage, erklärt Schmidt. Neben meist stillem Wandern verbringen die Teilnehmer die Tage mit geistlichen Impulsen, Gesprächsgruppen, Bibellesen, Gottesdiensten und Lobpreisgebeten. Natürlich gibt es auch Dienste – für das Feuermachen, das Mülleinsammeln, das Altarbauen. Auch die Sakristei will getragen werden.

"Nicht mehr funktionieren müssen."

Über die Themen selbst möchte der promovierte Theologe gar nicht so viel verraten – das Prinzip der Exerzitien sei, nicht alles vorher zu wissen und sich leiten zu lassen. Deshalb ist die Teilnahme auch auf ein Mal beschränkt.

Wenn man so ganz aus dem Alltag herausgerissen ist, kämen Dinge hoch, die sonst keinen Platz hätten. "Nicht mehr getrieben zu sein, komplett aus dem normalen Problemkreis auszubrechen, in einer komplett neuen Welt", beschreibt Münch das Gefühl. Und Schmidt ergänzt: "Nicht mehr funktionieren müssen." Früher oder später stießen die Teilnehmer auf die großen Fragen des Lebens. Oft seien das Beziehungsgeschichten, große Lebensereignisse oder die Frage nach einer geistlichen Berufung. Diese Erlebnisse bleiben dann aber nicht in der Wüste. Steffen Münch weiß von vielen Konsequenzen, die die Zeit dort für seine Mitteilnehmer hatte.

Bild: ©Steffen Münch

Abends sitzen die Teilnehmer der Wüstenexerzitien gemeinsam am Lagerfeuer.

Wie erlebt man Gott in einer sandigen Felslandschaft? "Man begibt sich wirklich in Gottes Hand", antwortet Münch. Er erinnert sich, wie er an einem Abend in seinem Schlafsack lag, einen Sandsturm aufkommen spürte und wilde Hunde jaulen hörte. "Ich fand das super, das war so ein Moment, wo ich gemerkt habe: Ich lebe einfach", sagt er. "Ich hatte keine Angst. Ich glaube, dass man in dem Vertrauen sein darf, dass ein guter Hirte da ist."

Schmidt ist fasziniert von der Wüste

Dieses Vertrauen braucht man, wenn man in der Wüste an seine Grenzen stößt, wie Andreas Schmidt erfahren musste. Nachdem man in den ersten Nächten ohnehin nicht gut schlafe, habe er am Abend des dritten Tages mit Kopfschmerzen dagelegen. Als er sich umdrehte, hörte er ein verdächtiges Geräusch: Seine Matte verlor die Luft. "Ich dachte: Jetzt muss es nur noch anfangen, zu regnen. In dem Moment fielen die ersten Tropfen", erzählt er. Inzwischen kann er beherzt über die Situation lachen.

Überhaupt überwiegt bei dem Exerzitienbegleiter die Faszination für die Wüste, wo er seine "blanke Existenz" vor Gott gefühlt habe. Daneben faszinieren Schmidt, der 2018 zum fünften Mal dabei sein wird, die ganz unterschiedlichen Leute, die mit ihm nach Jordanien aufbrechen. Entsprechend freue er sich schon auf die gemeinsame Zeit im Februar – und darauf, beim Zähneputzen die Sonne über dem Wüstensand aufgehen zu sehen.

Von Theresia Lipp