"Einmischen wie Jesus" - Tag 2 des Papstes in Chile
Brandanschläge, Drohungen und besetzte Kirchengrundstücke: Vor und während des Besuches von Franziskus in Chile demonstrieren die Mapuche gegen ihre Enteignung durch den Staat, für die sie die Kirche mitverantwortlich machen. Am Mittwoch wird der Papst nun persönlich Vertreter der indigenen Bevölkerung treffen. Was sonst noch so am zweiten Tag der Reise passiert, erfahren Sie im Live-Ticker auf katholisch.de.
23:45 - Papst fordert mehr Gemeinschaftssinn im Bildungssystem
Der Papst hat Chiles Akademiker aufgefordert, in Studium und Beruf stärker auf ein gemeinschaftliches Vorankommen zu achten. Bei einer Rede in der Päpstlichen Katholischen Universität in Santiago am Mittwochabend (Ortszeit) verlangte er eine "integrierende Alphabetisierung". Diese müsse die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen besser aufeinander abstimmen, so Franziskus. Wenn Bildung Verstand, Herz und Handeln in Einklang bringe, ermögliche das den Studierenden ein harmonisches Wachstum nicht nur auf persönlicher, sondern zugleich auf sozialer Ebene.
Das Bildungssystem müsse zum Zusammenleben heranbilden, sagte der Papst vor knapp 2.500 Studenten und Lehrkräften. Es gehe darum, den Menschen zu zeigen, "in integrierender Weise zu denken und zu urteilen". In der heutigen flüchtigen Gesellschaft schwänden viele Bezugspunkte. Ohne das Bewusstsein und die Erfahrung eines "Wir" sei es aber sehr schwierig, eine Nation mit Zukunft aufzubauen.
Das kontroverse Thema des elitären chilenischen Bildungssystems, das zumeist Kindern reicher Familien zugutekommt, sprach der Papst nicht direkt an. Stattdessen regte er an, Bildungsgemeinschaften von der Universität auch auf andere Teile der Gesellschaft auszuweiten. So wiederholte er seinen Appell aus der Predigt vom Vormittag in Temuco, indem er "eine Interaktion zwischen dem Hörsaal und der Weisheit der indigenen Völker" forderte. Dies bewahre die akademische Welt vor ihrer "latenten Versuchung, die Schöpfung auf einige wenige interpretative Schemata zu reduzieren".
22:35 - Chiles Jugend soll sich einmischen wie Jesus
Der Papst hat die Jugend Chiles zu einer aktiven Mitgestaltung des Landes aufgerufen. Von der Skepsis der Erwachsenen sollten sie sich dabei nicht entmutigen lassen, sagte er am Mittwoch bei einer Begegnung mit jungen Menschen in Chiles Nationalheiligtum Maipu. Der Wallfahrtsort am Rand der Hauptstadt Santiago erinnert an die Unabhängigkeit des Landes vor 200 Jahren. Bei der Fahrt dorthin im Papamobil wurde Franziskus von Tausenden jubelnden und singenden Zuschauern begrüßt.
"Schön, dass ihr vom Sofa aufgestanden und hierhergekommen seid", sagte das Kirchenoberhaupt. Wenn Jugendliche "unruhig, suchend, idealistisch" seien, wiegelten viele Erwachsene ab: Junge Menschen würden auch noch reifer. "Als bedeute 'reifen' das Akzeptieren von Ungerechtigkeit, zu glauben, man könne nichts tun oder dass die Dinge halt immer schon so gewesen seien." Immer wieder wich der Papst vom Redemanuskript ab und ermunterte die jungen Zuhörer, sich einzumischen. "Lasst euch nicht zum Schweigen bringen", rief er ihnen zu. "Und liebt euer Chile. Denn euer Land braucht euch." Auch die Kirche brauche ein junges Gesicht. Die Jugendsynode dieses Jahr in Rom habe er einberufen, damit die Kirche sich von ihren Söhnen und Töchtern herausfordern und hinterfragen lasse.
Ähnlich wie manche ständig auf einen geladenen Handy-Akku und aufs Online-Sein achteten, fuhr der Papst fort, sollten die Jugendlichen mit Jesus verbunden sein und sich von ihm inspirieren lassen. "Ohne diese Verbindung ertrinken unsere Gedanken und Ideen, unsere Träume und unser Glaube und wir werden aller Dinge überdrüssig", warnte er.
Franziskus verwies seine Zuhörer auf den chilenischen Heiligen Alberto Hurtado. Dessen Motto, "Was würde Jesus an meiner Stelle tun?", sollten sie sich zu eigen machen: ob auf dem Sportplatz, im Stadion, in der Schule, an der Uni oder beim Tanzen. "Der Tag wird kommen, an dem ihr, ohne dass ihr es merkt, den gleichen Herzschlag habt wie Jesus", sagte der Papst. Es reiche nicht, religiöse Unterweisungen zu hören oder Lehren auswendig zu lernen. Es gehe darum, zu leben wie Jesus und so zu Protagonisten der Geschichte und der Gesellschaft zu werden.
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17:20 - Papst trifft Mapuche-Vertreter beim Mittagessen
Papst Franziskus ist in Chile mit Vertretern des indigenen Volks der Mapuche zusammengetroffen. Die Begegnung fand nach Vatikanangaben bei einem Mittagessen am Mittwoch in Temuco statt, Hauptstadt der Region Araukanien und Zentrum des traditionellen Mapuche-Gebiets. An der Begegnung in einem Ordenshaus nahmen acht Mapuche, ein Opfer der Gewalt gegen Indigene im Landkonflikt sowie ein aus der Deutschschweiz stammender Siedler teil. Weiter war ein Einwanderer aus Haiti zugegen.
Zu dem Gespräch machte der Vatikan keine näheren Angaben. Araukanien erlebt seit Jahren Auseinandersetzungen um Landansprüche der Mapuche gegen Siedler und großen Unternehmen. Dabei kam es immer wieder zu Gewalt. Die Teilnehmer des Mittagessens waren somit Vertreter der an den Konflikten beteiligten Gruppen.
15:30 - Papst wirbt für Einheit und verurteilt Gewaltakte
Papst Franziskus hat die Völker Chiles zur Einheit aufgerufen und jeder Gewalt im Kampf um Anerkennung eine scharfe Absage erteilt. "Gewalt verwandelt die gerechteste Sache zur Lüge", sagte er am Mittwoch bei einem Gottesdienst nahe der Stadt Temuco in Südchile. "Man kann nicht Anerkennung verlangen, indem man den anderen vernichtet", warnte das Kirchenoberhaupt. Am Morgen seines zweiten Besuchstages in Chile waren in der Provinz Araukania erneut Brandanschläge verübt worden, dieses Mal auf zwei Helikopter und sechs Kapellen.
Zu Beginn seiner Predigt begrüßte der Papst die rund 150.000 Menschen in der Sprache der Mapuche. Dann lobte er die Schönheit der von Bergen, Wäldern und Flüssen geprägten Landschaft: Hier sei es einfach, in jeder Kreatur Gottes Hand zu erkennen. Gleichzeitig prangerte Franziskus die "Ungerechtigkeiten der Jahrhunderte" an, unter der die einheimische Bevölkerung der Mapuche und anderer Völker zu leiden haben.
Eine Messe für alle, die gelitten haben
Ebenfalls sprach Franziskus den umstrittenen Ort der Messe an. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Maquehue hatte das chilenische Militär in den Zeiten der Diktatur ein Folterzentrum betrieben. "Ich feiere diese heilige Messe für alle, die gelitten haben und gestorben sind, und für alle, die täglich auf ihren Schultern die Last so vieler Ungerechtigkeiten tragen müssen", sagte Franziskus sichtlich bewegt und bat um eine kurze Schweigeminute.
Ausgehend vom Evangelium, in dem Jesus seinen himmlischen Vater um Einheit unter seinen Jüngern bittet, warb der Papst für Einheit unter Chiles Völkern. Diese sei aber nicht mit Einförmigkeit zu verwechseln. Unterschiede dürften keinesfalls verstummen oder neutralisiert werden. "Der Reichtum eines Landes entsteht gerade daraus, dass jeder Teil sich entschließt, sein Wissen mit den anderen zu teilen", sagte Franziskus. Wie das aussehen kann, wurde zu Beginn des Gottesdienstes deutlich, als Vertreter der Mapuche mit Musikinstrumenten und Laubzweigen das Schuldbekenntnis der Liturgie gestalteten.
Einheit, so der Papst in seiner Predigt weiter, sei eine "versöhnte Verschiedenheit", für die Denkweisen abgelegt werden müsse, "dass es höhere und niedere Kulturen gibt". Unnütz dafür seien auch "schöne, aber unkonkrete Vereinbarungen". Solidarität sei das Mittel, diese Einheit zu erreichen, "die einzige Waffe gegen die 'Rodung' unserer Hoffnung", so Franziskus. Mehrfach wurde er in seiner Predigt von spontanem Applaus unterbrochen.
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13:45 - Erneut Brandanschläge auf Kirchen
In Chile ist es unmittelbar vor dem mit Spannung erwarteten Besuch von Papst Franziskus in der Unruheregion La Araucania zu mehreren Brandanschlägen gekommen. Wie die Zeitung "La Nacion" (Mittwoch) berichtet, wurden zwei Hubschrauber und zwei weitere kleine Kapellen angezündet. Der Anschlag auf die Helikopter ereignete sich auf dem Flugplatz von La Colcha rund 250 Kilometer nördlich von Temuco, wo der Papst am Mittwoch einen Gottesdienst zelebrieren wird.
Außerdem gingen innerhalb von 48 Stunden sechs kleine Kapellen in Flammen auf. Am Tatort wurde laut Medienberichten ein Bekennerschreiben gefunden, das auf radikale Mapuche als Urheber hindeutet. Zuletzt gab es in Chile immer wieder Brandanschläge auf kirchliche Einrichtungen, zu der sich radikale Mapuche bekannten. Die Gruppe "Weichan Auka Mapu" begründete ihre Anschläge damit, dass Kirchenvertreter mitverantwortlich für Repressionen gegen die Mapuche seien.
10:30 - Großes Sicherheitsaufgebot für Papstmesse in Temuco
An seinem zweiten Besuchstag in Chile wird Papst Franziskus heute mit einem großen Sicherheitsaufgebot in Temuco erwartet. Laut Medienberichten sind mehr als 4.000 Polizisten sowie mehrere tausend zivile Ordnungskräfte für den Besuch des Kirchenoberhaupts abgestellt. Temuco ist die Hauptstadt der Region Araukanien, in der seit langem ein Konflikt um die Landrechte der eingeborenen Mapuche herrscht. Franziskus feiert eine Messe auf dem Militärflughafen Maquehue, der ebenfalls von Angehörigen des indigenen Volks beansprucht wird.
Den Berichten zufolge werden die Transfers des Papstes während seines knapp sechsstündigen Aufenthalts auch durch Helikopter und Drohnen sowie durch einen umfangreichen Geleitschutz am Boden abgesichert. Das Gottesdienstgelände kann nach Angaben der Organisatoren bis zu 380.000 Besucher aufnehmen. Viele Pilger werden aus dem benachbarten Argentinien erwartet, dem Heimatland des Papstes.
Franziskus will während eines Mittagessens mit Angehörigen der Mapuche sprechen. Anschließend setzt er sein Besuchsprogramm in der Hauptstadt Santiago fort. Dort ist ein Treffen mit Jugendlichen im Nationalheiligtum Maipu geplant. Dabei will sich der Papst mit einer Rede an die junge Generation wenden. Danach ist eine weitere Rede an der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile vorgesehen.
7:30 - Vatikan-Journalisten stecken unter Brücke fest
Mit dem Schrecken davongekommen sind mehrere Vatikan-Journalisten auf der Reise des Papstes nach Chile: Auf dem Rückweg von einer Veranstaltung in Santiago am Dienstagabend verkeilte sich ihr Bus unter einer Brücke. Zeugen sprachen von einer Rauchentwicklung im Innenraum. Das Fahrzeug wurde evakuiert. Zu Schaden kam niemand.
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6:40 Uhr - Mapuche besetzen Kirchengrundstück
Mit der Besetzung eines Kirchengrundstücks im Erzbistum Concepcion wollen Vertreter indigener Gemeinden am Rande des Papstbesuchs in Chile ein Treffen mit dem Erzbischof erzwingen. Wie chilenische Medien am berichteten, besetzten rund 20 Angehörige der Mapuche das Gelände - auf einem Spruchband die Forderung nach "Rückgabe des widerrechtlich angeeigneten Landes". Papst Franziskus ist darauf als Karikatur in Gestalt eines Teufels abgebildet.
Die Mapuche sind die Ureinwohner im Süden von Chile und Argentinien. Nach der chilenischen Unabhängigkeit 1818 begann in den 1860er Jahren die Entrechtung: Einmarsch der Armee, Enteignung, Niedergang der eigenen Tradition und Sprache. Erst seit einigen Jahren setzt eine Neubesinnung auf die eigene Kultur und Identität ein. Eine kleine Minderheit radikalisiert sich politisch. Die Mapuche zählen zum ärmsten und am wenigsten gebildeten Teil der Bevölkerung.
4:00 Uhr - "Strikt privat": Papst traf Missbrauchsopfer
Papst Franziskus ist in Chile mit Missbrauchsopfern zusammengetroffen. Die Begegnung fand bereits am Dienstagmittag in "strikt privater Form" in der Nuntiatur statt, wie Vatikansprecher Greg Burke am Abend in Santiago mitteilte. Andere Personen seien nicht zugegen gewesen, um ein ungestörtes Gespräch über die Leidensgeschichten der Opfer zu ermöglichen. "Der Papst hat sie angehört und mit ihnen gebetet und geweint", sagte der Sprecher.
Das Treffen habe etwa eine halbe Stunden gedauert, sagte Burke. Es habe sich um eine "kleine Gruppe" gehandelt. Die Zahl der Gesprächsteilnehmer, deren Geschlecht und die Art der Vergehen wollte er auch auf Nachfrage nicht präzisieren. Dies geschehe zum Schutz der Betroffenen, so der Sprecher.
Das war der erste Tag des Papstes in Chile
Er feierte einen Gottesdienst mit 400.000 Gläubigen, traf Bischöfe und Gefangene: Das war der erste Tag von Papst Franziskus in Chile, an dem es auch zu unerfreulichen Ereignissen kam.0:15 - Umstrittener Bischof sorgt für Kritik
In Chile haben Vertreter von Missbrauchsopfern zurückhaltend auf die öffentliche Entschuldigung des Papstes für Missbrauchsfälle mit katholischen Geistlichen reagiert. Besondere Kritik übten sie an der Präsenz des umstrittenen Bischofs von Osorno, Juan Barros, beim Gottesdienst mit dem Kirchenoberhaupt am Dienstag. Barros wird verdächtigt, Fälle von Kindesmissbrauch vertuscht zu haben.
Der in Chile bekannte Jesuitenpater Felipe Berrios sagte der Tageszeitung "La Tercera": "Die Präsenz von Barros ist eine Provokation." Barros selbst sagte zu Journalisten, es würden Lügen über ihn verbreitet. Kritik übte auch Marta Larraechea, Ehefrau von Ex-Präsident Eduardo Frei. "Barros nimmt an der Messe im O'Higgins-Park teil - was für eine Schande. Wofür bat der Papst um Entschuldigung?", schrieb sie auf Twitter. (bod/KNA)