Pfarrer Wolfgang Fey ist beim 1. FC Köln für auffällige Fans zuständig

Was die Kirche vom Fußball lernen kann

Veröffentlicht am 05.05.2018 um 15:30 Uhr – Lesedauer: 
Fußball

Köln ‐ Fußball begeistert Menschen, doch er kann auch Gewalt hervorrufen. Wenn Fans des 1. FC Köln auffällig werden, kümmert sich Pfarrer Wolfgang Fey um sie. Er ist Mitglied der Stadionverbotskommission.

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Wolfgang Fey leitet die Kölner Pfarrei St. Pankratius. Doch der Pfarrer hat ein ungewöhnliches Ehrenamt: Er ist Mitglied der Stadionverbotskommission des 1. FC Köln. In diesem Gremium kümmert sich der Geistliche gemeinsam mit Fans und Juristen um die Sicherheit bei den Partien des FC. Worin diese Arbeit besteht und was die Kirche vom Fußball lernen kann, erzählt Fey im katholisch.de-Interview.

Frage: Pfarrer Fey, Sie sind Mitglied der Stadionverbotskommission des 1. FC Köln. Ein ungewöhnliches Amt für einen Geistlichen. Wie kam es dazu?

Fey: Das Rhein-Energie-Stadion liegt mitten auf dem Gebiet meiner Pfarrei. Der Präsident des FC, Werner Spinner, ist Mitglied in meiner Kirchengemeinde. Er wusste, dass ich früher als Militärpfarrer mit Gewaltszenarien und Aggression zu tun hatte. Er hat mich angesprochen, ob ich als Seelsorger in diesen Kreis kommen und ihm damit einen anderen Charakter geben kann.

Frage: Wie läuft Ihre Arbeit ab?

Fey: Bei jedem Spiel wird vorher, gemeinsam mit der Polizei, die Gefährdung eingeschätzt. Hinterher wird die Begegnung aufgearbeitet, und in der Regel gab es einzelne Zwischenfälle. Das sind nicht immer bedrohliche Fälle, aber es gibt Zeiten, in denen wir sehr viel zu tun haben. Es geht oft um Pyrotechnik und gewalttätiges Auftreten. Das ist viel Arbeit für ein Ehrenamt, das ich in meiner Freizeit ausübe.

Frage: Verstehen Sie diese Aufgabe auch als Seelsorge?

Fey: Es ist eine Arbeit, bei der es wichtig ist, dass man den auffälligen Fans, meist Ultras, mit Unvoreingenommenheit begegnet. Darin liegt eine Chance: Sie sollen merken, dass da jemand ist, der sie über die aktuelle Situation hinaus aus einem anderen Blickwinkel heraus ansieht. Ich sehe sie nicht nur als auffällige Fans, sondern als Menschen mit einer Würde, als Ebenbilder Gottes.

Bild: ©Susanne Hanke

Pfarrer Wolfgang Fey ist Mitglied der Stadionverbotskommission des 1. FC Köln.

Frage: Wie erklären Sie sich die Gewalt einiger Fans?

Fey: Die gewaltbereiten Fans gehören zu festen Gruppen mit einem eigenen Kodex und eigenen Ritualen. Ganz selten, etwa zu ein bis zwei Prozent sind Frauen unter den Auffälligen. Die Gewalt hat etwas mit dem Mann-Sein zu tun. Es handelt sich um junge Männer, oft mit ähnlichen Biografien. Sie sind meist zwischen 18 und 30 Jahren alt, haben noch keine eigene Familie und leben nicht in einer Beziehung. Deshalb spielt für ihr Selbstwertgefühl die Fan-Gruppe eine große Rolle, sie gibt ihnen Identität. Aus diesem Gemisch sind verschiedene Bräuche und Rituale entstanden, die die Gruppen pflegen. Das ist an sich in Ordnung: Es ist okay, zu trommeln, zu singen und Banner zu schwingen – das bringt Stimmung ins Stadion und gehört zum Selbstbewusstsein der Gruppen. Aber es kann nicht toleriert werden, wenn das in Verletzungen, Beleidigungen und Würdelosigkeiten umschlägt. Oder etwa in Pyrotechnik oder inszenierte Tribünenbilder, was schlicht gefährlich ist.

Frage: Wie geht die Kommission vor, wenn jemand auffällig wird?

Fey: Wenn jemand oder eine Gruppe auffällig geworden sind, legen wir großen Wert darauf, mit jedem Beschuldigten einzeln zu sprechen. Das macht viel Arbeit: Im letzten Sommer hatten wir etwa 200 Einzelgespräche. Das sind keine Gespräche, in denen Entscheidungen getroffen werden. Aber jeder hat das Recht, alleine oder mit einem Beistand vor der Kommission zu sprechen. Man kann auch einen Brief schreiben. Ohne voreingenommen zu sein, versuchen wir als Kommission zu verstehen, wie jeder einzelne die Situation wahrgenommen hat und wie er mit zeitlichem Abstand auf den Vorfall zurückblickt. Wir versuchen im Gespräch herauszufinden, was hilft, denn wir wollen keinen Fan verlieren. Sie sollen, wenn möglich, im Block bleiben können. Wenn sich aber im Gespräch zeigt, dass es keine Einsicht gibt und jemand mehrfach aufgefallen ist und etwa schon Stadionverbote gehabt hat, dann sprechen wir auch Sanktionen aus. Wir versuchen bei Gruppen herauszufinden, wer der Anführer war, wer ein Mitläufer, wer vielleicht zum ersten Mal dabei ist oder wer notorisch auffällt. Aber die Stadionverbotskommission ist kein Gericht. Unser Ziel ist es, die Sicherheit im Stadion zu garantieren. Auch Familien mit Kindern sollen sicher ins Stadion gehen können, jedes Heimspiel muss ein Familienspiel sein. Wir verstehen den FC als eine wichtige Institution für Köln, die Menschen über Viertel-Grenzen und gesellschaftliche Schichten hinweg zusammenbringt. Das hat in einer so großen Stadt etwas mit Identität zu tun.

Frage: Fans bemängeln oft, dass der Profi-Fußball zu einem finanziellen Geschäft geworden ist. Wie sehen Sie das?

Fey: Es ist sehr viel Geld unterwegs. Das wird von unseren Fans massiv kritisiert, auch in Richtung des Deutschen Fußball Bundes. Der Bezahlfußball mit seinen Millionenumsätzen verdirbt die Identifikation mit dem Sport und dem Verein. Letztlich ist es kein sportlicher Wettbewerb mehr, wenn ich mir die entsprechende Gewinnsituation erkaufen kann, wie es etwa der FB Bayern München tut. Sport ist etwas anderes.

Linktipp: "Fußball stiftet Identität"

Sind Fußballspiele die Gottesdienste des 21. Jahrhunderts? Dieser und anderen Fragen ist die Gemeindereferentin Rebecca Benahmed aus dem Bistum Trier in ihrer Diplomarbeit nachgegangen. Sie spricht im Interview mit katholisch.de über religiöse Aspekte im Fußball, was Kirche von dem Sport lernen und warum dieser nie einen Gottesdienst ersetzen kann.

Frage: Viele Stadien sind gut besucht, die Kirchen meist leer: Was kann die Kirche vom Fußball lernen?

Fey: Die Kirche kann lernen, dass Fußball den Menschen wichtig ist, weil sie spüren, dass es um etwas geht. Deshalb sind die Fans mit Herzblut dabei und fiebern mit. Doch bei beiden kann man etwas gewinnen: beim Fußball Tore, bei der Kirche besseres Leben. Die Kirche kann auch lernen, dass die Menschen sich für ihr Wohngebiet, ihren Stadtteil, ihren Lebensort engagieren, wenn er ihnen Identität gibt. Die ansprechende Botschaft heißt Gemeinschaft, die man weiterschenken kann.

Frage: Was macht die Kirche falsch?

Fey: Die Kirche wird die Menschen nicht gewinnen, wenn sie keine Identifikation ermöglicht. Das ist im Moment das größte Problem, das keiner von den Bischöfen bis hin zum Pfarrer sehen will. Kirche hat immer etwas mit Gefühlen und einer hohen Identifizierung zu tun. Man muss dafür brennen, Menschen begeistern können und ein Stück weit verrückt sein. Schon alleine wegen der schwierigen Nachwuchssituation der Kirche. Wie die Fußball-Fans muss auch die Kirche eine Kultur entwickeln, die Menschen mitzieht und eine Identität bietet.

Frage: Zwischen Fußball und Religion gibt es Unterschiede und Parallelen. Woran denken sie dabei besonders?

Fey: Die Parallelen sind klar: Es kommt eine große Gemeinschaft zusammen, die sich ritualisiert um ein Spiel versammelt. Das Thema Spiel hat viel mit Religion zu tun. In der Antike wurde Liturgie als liturgisches Spiel verstanden. Das ist in der Geschichte der Kirche immer wieder aufgegriffen worden. Der Barock ist schließlich nichts anderes als das Spiel auf einer heiligen Bühne. Die Jesuiten haben das in der Zeit der Gegenreformation erfolgreich genutzt. Der einzige Unterschied, den man klar herausstellen kann, ist der, dass in einer Messe jeder gewinnt. Aber beim Fußball siegt nur die Hälfte oder niemand.

Frage: Die Bundesligasaison kommt zu ihrem Ende. Einige Teams bangen um den Abstieg. Ist es okay, für den Sieg seiner Mannschaft zu beten?

Fey: Natürlich kann man für den Sieg seines Teams beten, aber man muss dann damit leben, wie der liebe Gott darauf antwortet. Beten heißt nicht, sich einen Sieg zu erkaufen. Den muss sich die Mannschaft schon selbst erspielen.

Von Roland Müller