Nordeuropas erster Purpurträger im katholisch.de-Interview

Anders Arborelius: So lernen wir Kardinäle uns kennen

Veröffentlicht am 20.05.2018 um 15:53 Uhr – Lesedauer: 
Anders Arborelius im Porträt
Bild: © KNA
Kardinäle

Bonn/Stockholm ‐ Das Kardinalskollegium ist über die ganze Welt verteilt. Wie lernen sich die Purpurträger da gegenseitig kennen? Einer, der es weiß, ist Anders Arborelius aus Schweden. Der Kardinal erzählt es im Interview.

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Der Stockholmer Bischof Lars Anders Arborelius wurde im vergangenen Jahr zum Kardinal kreiert. Damit ist er der erste und bislang einzige Purpurträger Nordeuropas. Mit katholisch.de sprach er über die Diasporakirche Schwedens, das Kennenlernen unter den Kardinälen und die Auswirkungen einer immer größeren Internationalität des Kardinalskollegiums.

Frage: Herr Kardinal, Sie sind der erste schwedisch-stämmige Kardinal. Wie haben Sie darauf reagiert, als Sie im Juni 2017 ernannt wurden?

Arborelius: Die Kardinalsernennung war eine echte Überraschung für mich. Ich konnte es beinahe nicht glauben! Die katholische Kirche in Schweden ist eine kleine Gemeinschaft und wir hatten noch nie einen Kardinal. Aber ich bin verwundert, dass meine Ernennung ein so großes Interesse in Schweden erregt hat. Immer noch werde ich auf der Straße oder in der U-Bahn von Menschen angesprochen.

Frage: Schweden ist ein sehr protestantisch geprägtes Land. Warum gab es dieses große Interesse für einen Kardinal?

Arborelius: Vielleicht liegt es daran, dass wir Schweden sehr patriotisch sind. Wenn einer von uns den Oscar, den Nobelpreis oder eine Weltmeisterschaft gewinnt oder eben Kardinal wird, dann freut man sich einfach darüber. Ich denke jedoch, dass es auch eine andere Erklärung gibt: In Schweden hat man sich mit der konfliktreichen Vergangenheit zwischen Protestanten und Katholiken versöhnt. Viele Jahrhunderte herrschten antikatholische Stimmungen im Land, die schrittweise mehr und mehr verschwunden sind. Das sieht man etwa daran, dass ich von den anderen Kirchen und der Presse zur Kardinalsernennung beglückwünscht wurde. Die große Popularität von Papst Franziskus in Schweden hat sicher auch Anteil daran. Von offizieller Seite – dem König oder der Regierung – war nichts zu hören. Das hat viele Menschen verwundert.

Frage: Franziskus will an die Ränder gehen, auch mit seinen Kardinalernennungen. Gehört Schweden zur Peripherie?

Arborelius: In katholischer Hinsicht sicher. Wir Katholiken machen ja nur etwa ein oder zwei Prozent der Bevölkerung Schwedens aus und die meisten von uns haben einen Migrationshintergrund. Meine Ernennung war daher typisch für den Papst. Franziskus stellt die kleinen Gemeinschaften, die Armen, die Menschen in der Peripherie in den Vordergrund. Außerdem verstehe ich meine Kardinalsernennung als eine Anerkennung für Schweden. Der Papst hat sich sehr positiv über die Bereitschaft Schwedens geäußert, Ausländer und Flüchtlinge zu aufzunehmen. Bereits vor mehreren Jahrzehnten kamen viele Flüchtlinge aus Lateinamerika und heute kommen viele Christen aus dem Nahen Osten zu uns.

Frage: Wie lässt sich die Kirche in Schweden beschreiben?

Arborelius: Wir sind eine Minderheit, eine kleine Gemeinschaft, aber wir versuchen trotzdem, die Frohe Botschaft weiterzutragen. Deshalb gebrauchen wir nicht das Wort Diaspora, sondern sprechen lieber von Mission – auch wenn es nicht so einfach ist, denn Schweden ist ja ein sehr säkulares Land, noch viel säkularer als Deutschland. Aber unsere Katholiken sind meist sehr vom Glauben überzeugt. Wenn jemand als Katholik nach Schweden kommt, wird er entweder im Glauben wachsen oder er verliert den Kontakt zur Kirche. Doch trotz aller Schwierigkeiten wächst die Kirche in Nordeuropa: Jedes Jahr werden einige Schweden katholisch und viele andere kommen durch Einwanderung dazu.

Frage: Wie sind die Beziehungen der schwedischen Kirche nach Deutschland?

Arborelius: Sie sind sehr gut. Ich bin immer verwundert, dass es in Deutschland so viel Interesse für die Kirche im Norden gibt. Dadurch sind die Beziehungen zwischen unseren Ortskirchen gewachsen. Unsere Erfahrung kann für Deutschland hilfreich sein, denn mit dem Blick in den Norden sieht die deutsche Kirche in die eigene Zukunft. Auch wenn wir nicht viel anbieten können, haben wir eine Botschaft: Mit der Hoffnung ist kirchliches Leben auch in der Zukunft möglich.

Ein roter Pileolus neben einem Globus.
Bild: ©dpa/Maksym Yemelyanov/fotolia.com

Die Kardinäle sind über die ganze Welt verstreut. Wie können sie sich gegenseitig kennenlernen?

Frage: Papst Franziskus ernennt viele Kardinäle, die aus verschiedenen, teils sehr entlegenen Regionen auf der ganzen Welt leben. Wie ist es angesichts dieser Situation möglich, sich innerhalb des Kardinalskollegiums kennenzulernen?

Arborelius: Das ist wirklich schwierig, denn wir alle kommen nur sehr selten zusammen. Natürlich kenne ich einige Kardinäle, doch die große Mehrheit ist mir nicht persönlich bekannt. Es ist eine wichtige Aufgabe, sie kennenzulernen und vielleicht Freundschaften zu schließen.

Frage: Welche Möglichkeiten gibt es, mit anderen Kardinälen in Kontakt zu bleiben? Nutzen Sie Facebook oder andere soziale Netzwerke?

Arborelius: (lacht) Nein, über Facebook tauschen wir uns nicht aus. Das läuft eher über Telefonate und Besuche. Vor kurzem war ich einige Monate in den Vereinigten Staaten und habe in Chicago und Los Angeles die dortigen Kardinäle besucht. Wir kannten uns schon von früher. Im vergangenen Jahr war Kardinal Woelki in Schweden zu Besuch und wir haben uns getroffen. Allmählich lerne ich die anderen Kardinäle kennen, aber es fehlen natürlich noch viele. Diesen Sommer kommt Kardinal Rosa Chavez aus El Salvador nach Schweden, weil viele seiner Landsleute bei uns leben. Das sind vielleicht eher Zufälle, aber immerhin gibt es etwas Kontakt. Ich kann nicht sagen, dass das mit allen Kardinälen so ist. Bald haben wir von der Nordischen Bischofskonferenz unseren Ad-Limina-Besuch in Rom. Dort werde ich mit einigen Kurienkardinälen sprechen. Man sieht: In einer Weltkirche ist es sehr schwierig, mit allen Kardinälen zusammenzukommen.

Frage: Wird die große Internationalität des Kardinalskollegiums die zukünftigen Konklaven verändern?

Arborelius: Ich denke schon. Es wird schwieriger werden, einen Papst zu wählen, denn viele kennen sich untereinander nicht. Die Konklaven könnten länger dauern als früher. Das ist der Preis, wenn man Kardinäle aus vielen Ländern der Weltkirche ernennt. Es ist eine neue Herausforderung.

Frage: Durch die Kardinalsernennungen von Papst Franziskus gibt es Bischöfe und Erzbischöfe, die keine Kardinäle sind, obwohl ihre Bischofsstühle lange mit einem Kardinalsbirett verbunden waren. Gibt es daher negative Reaktionen auf Kardinalsernennungen wie Ihre?

Arborelius: Ich kann verstehen, dass man in Städten, die es gewohnt waren, von alters her einen Kardinal zu haben, etwas enttäuscht ist oder sich vergessen fühlt, wenn die Ernennung ausbleibt. Aber ich selbst habe keine Hass-Briefe oder ähnliches bekommen. Aber ich kann die Reaktionen verstehen. Die Kirche verändert sich: Der Schwerpunkt ist nicht mehr Europa, sondern liegt überall in der Welt. Auch innerhalb Europas gibt es diese Verschiebung, denn Nordeuropa hatte ja nie zuvor einen Kardinal. Für viele ist das schwierig zu verstehen.

Frage: Es ist Tradition, dass jeder Kardinal eine Titelkirche erhält. Haben Sie Ihre Kirche schon in Besitz genommen?

Arborelius: Ja, ich bin schon zweimal dort gewesen. Es ist eine sehr interessante Kirche: Santa Maria degli Angeli, ganz in der Nähe des Bahnhofs Termini. Das Gebäude ist sehr alt und beherbergt klassische Kunst von Michelangelo und Bernini. Die Pfarrei ist sehr sozial engagiert: Es gibt Hilfsprojekte für die Armen in der Nähe des Bahnhofs. Sie erhalten von der Gemeinde Medikamente, Essen und Kleidung. Außerdem gibt es dort Schutzwohnungen für Frauen in Not. In meiner Titelkirche habe ich sogar die erste Messe auf Schwedisch gefeiert, denn bei einem Aufenthalt war zeitgleich eine Gruppe von schwedischen Firmlingen dort. Das schwedische Fernsehen interessiert sich für Santa Maria degli Angeli und möchte dort zwei Sendungen mit mir aufnehmen.

Von Roland Müller

Linktipp: Der erste Kardinal aus Nordeuropa

Wie fühlt man sich, kurz bevor man Kardinal wird? Unmittelbar vor seiner Abreise zum heutigen Konsistorium in Rom hat katholisch.de mit dem Stockholmer Bischof Anders Arborelius gesprochen. (Artikel vom 28.06.2017)