Bischof Fürst "tief beeindruckt" von Christen im Nordirak
Staubige Straßen, die von einem halbzerstörten Dorf zum nächsten führen, zerschossene Häuser, geschändete Kirchen und Friedhöfe, Schützengräben, verlassene Felder – der sogenannte "Islamische Staat" hat in der Ninive-Ebene ganze Arbeit geleistet… 17 Dörfer in der Diözese Alqosh hatten die Terrormilizen im Sommer überrannt, nur der Bischofssitz, Geburtsort des Propheten Nahum, selbst blieb verschont. Kann man nach dem Inferno 2014 – 2016 noch Hoffnung auf eine Zukunft der Christen im Irak haben? – "Dies hier ist heiliges Land, Chaldäa", sagt Bischof Mikhael Maqdasy, "und auf die dunkle Zeit wird auch wieder eine helle folgen. Wir sind seit fast 2000 Jahren hier."
Die Christen im Nordirak, kein Wunder bei ihrer langen, wechselvollen Geschichte, sind von großer Glaubensstärke geprägt. Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst, zu dessen Besuchsprogramm in Erbil und der Ninive-Ebene dieser Tage auch der Gottesdienst der Kreuzerhöhung in der Kathedrale von Ankawa zählte, einem vor allem von Christen bewohnten Stadtteil der Millionenmetropole Erbil, zeigte sich tief beeindruckt: "Es ist unglaublich ermutigend zu sehen, wie die chaldäischen Christen trotz sehr schwieriger Umstände ihren Glauben kraftvoll leben!" Beim Gottesdienst der Kreuzerhöhung reichten die Plätze kaum, um alle Generationen aufzunehmen in der Kathedrale.
Unterstützung bereits seit 2000
Die Diözese Rottenburg-Stuttgart unterstützt die Menschen um Erbil bereits seit dem Jahr 2000 und hat in dieser Zeit mit knapp einer Million Euro dort geholfen, vor allem bei Flüchtlingsprojekten. Etwa die Hälfte dieser Summe floss in den restlichen Nordirak. Hinzu kommen Hilfsaktionen einzelner Gemeinden und Dekanate. Derzeit zum Beispiel sammelt das Dekanat Mühlacker fleißig Geld, um den Umbau eines Krankenhauses in Ankawa zu einer Heimstatt für 40 pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren sowie etwa 100 Flüchtlingsfamilien zu finanzieren, die dringend ein Dach über dem Kopf brauchen und sich die üblichen Mieten nicht leisten können. Die Diözese, so Dr. Detlef Stäps, Leiter ihrer Hauptabteilung Weltkirche, kooperiert daneben mit Caritas International bei der Unterstützung von Flüchtlingscamps in Zaxo und Dohuk und weiteren Partnern.
Da speziell für die bedrohten Christen im Nordirak relativ viele Einzelspenden bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart auflaufen, nutzte Heinz Detlef Stäps den Besuch in Erbil auch, um mit dem dortigen Erzbischof Bashar Warda über künftige Hilfsprojekte zu sprechen. Der sehr dynamische 49-Jährige ist für viele seiner Kirchenmitglieder so etwas wie der Fels in der Brandung. Um diese in der Heimat zu halten, weiß Warda, bedarf es vor allem vierer Dinge – "Häuser, Schulen, Jobs und dann die Kirchen, in dieser Reihenfolge". Der Erzbischof ist pausenlos im Einsatz, um seine Schäfchen zum Bleiben zu motivieren, Geldgeber für Hilfsprojekte im Ausland zu finden und diese ins Laufen zu bringen. Vier Schulen hat die Erzdiözese Erbil inzwischen vom Staat lizenziert bekommen, eine Universität, direkt gegenüber der Kathedrale in Ankawa soll im Januar 2019 das Mariam-Hospital mit 50 Betten eröffnen und insgesamt 130 Menschen einen Arbeitsplatz geben. Ursprünglich war das Gebäude einmal als Einkaufszentrum konzipiert; die vergangenen Jahre stand es leer.
Auch wenn zwei Drittel der ursprünglich über eine Million Christen im Irak seit 2003 das Land verlassen haben – es gibt auch Geschichten, die Erzbischof Warda Hoffnung machen. Die von Saveen Oshana und seiner Frau Ban Isaqi zum Beispiel: Die beiden 29-Jährigen haben miteinander an der Universität von Brisbane / Australien Gesundheitsmanagement studiert und sich trotz lukrativer Jobangebote nach dem Master-Abschluss dort zur Rückkehr nach Erbil entschlossen. "Wir wollen lieber in der Heimat leben, bei unseren Familien und Freunden", sagt Saveen, der künftig das Mariam-Hospital managen soll. Erzbischof Warda hofft natürlich, dass das Beispiel der beiden Rückkehrer Schule macht: "Daheim ist daheim – und die westliche Welt auch nicht immer das Paradies."
Blühendes Gemeinwesen statt schierem Überleben
Das Motto des Erzbischofes für die Zukunft steht für Dynamik: "Thrival – not survival". Blühendes Gemeinwesen statt schierem Überleben. Auch in den Dörfern der Ninive-Ebene keimt an vielen Stellen zarte Hoffnung auf. In Tellsqof, das mehr als zwei Jahre IS-Terror hinter sich hat, zeigt Pfarrer Salar stolz seine wunderschön wiederaufgebaute Kirche. Einen Steinwurf entfernt entsteht gerade in Eigenarbeit ein Jugendzentrum, einige der früheren Bewohner sind inzwischen in ihre Häuser zurück gekehrt. Neues Leben zwischen den Ruinen. Viele Gebäude sind allerdings im Krieg schwer beschädigt oder ganz zerstört worden.
Und dann sind da noch die Wanderer zwischen den Welten: Pfarrer Sizar Happe etwa, Leiter der chaldäischen Gemeinde Stuttgart, der seinen obersten Dienstherrn Gebhard Fürst beim Besuch im Nordirak begleitete. Die Stuttgarter Pfarramtssekretärin Rasha Safar, die zum ersten Mal seit sieben Jahren ihre Eltern in Alqosh wieder sah. Oder Pfarrer Nashwan Kosa, der an der Hochschule für Kirchenmusik in Rottenburg studiert. Für Leute wie sie, weiß Erzbischof Warda, wird wohl langfristig kein Weg zurück in die alte Heimat führen; sie sind in Deutschland angekommen. Um jene aber, die noch da sind in Erbil, Ankawa, Tellsqof, Alqosh und den anderen Dörfern will er weiter kämpfen: "Wir Chaldäer sind im Übergang von einer etablierten Kirche im Irak zu einer missionarischen Kirche, die über die ganze Welt zerstreut ist. Aber wir sind sehr stark im Glauben."