Der Campo Santo zwischen Kulturkampf und Weltkrieg
Es ist längst kein Geheimtipp mehr für deutsche Rom-Besucher, um auf einfachem Weg ins Innere des Vatikan zu gelangen. Aufs Code-Wort "Campo Santo" geben die Schweizergardisten den Weg frei - neuerdings freilich erst nach einem Screening durch die italienische Polizei. Hunderte Besucher pro Tag, viele Zehntausend im Jahr gelangen hier wenige Meter von den Menschenmengen des Petersplatzes entfernt in eine Atmosphäre der Ruhe mit einem zypressenbewachsenen Friedhof und einer Kirche. Als Sitz eines Priesterkollegs und der wissenschaftlichen Görres-Gesellschaft, getragen von einer Erzbruderschaft, ist der Campo seit über 150 Jahren exponierter Treff- und Bezugspunkt für Deutschsprachige in der Ewigen Stadt.
Besonders turbulent waren die Jahre von 1870 bis 1915 - vom Ende des Kirchenstaates bis zur Vertreibung aller "Teutonen" aus Rom. Dieser spannenden Epoche widmet sich jetzt eine umfangreiche Publikation "Päpstlichkeit und Patriotismus", die nun in Rom vom deutschen Kurienkardinal Paul J. Cordes vorgestellt wurde.
In diesem halben Jahrhundert sahen sich die deutschen Katholiken in Rom "hin- und hergerissen zwischen der Solidarität mit dem 'beraubten' Papsttum, der Ablehnung des neuen Italien und dem Patriotismus gegenüber dem eigenen deutschen Nationalstaat, in dem sie sich aber hinter den dominierenden Protestanten einreihen mussten", wie die Studie betont.
Als Höhepunkt eines überbordenden Nationalpatriotismus bezeichnete Cordes, der selber etliche Jahre im Kolleg gewohnt hatte, das Jahr 1870, in dem der italienische Nationalstaat entstand und das Deutsche Reich gegründet wurde. Die Kirche stand diesen Nationalgefühlen im Wege, wie der Kulturkampf in Deutschland und das Risorgimento in Italien zeigten, beide stramm anti-katholisch. Der Papst, der gerade erst auf dem Ersten Vatikanischen Konzil seinen Anspruch und seine Unverletzlichkeit betont hatte, war nun Gefangener des Vatikan, im päpstlichen Quirinalspalast hatte sich der König niedergelassen.
Am Campo Santo wird die Geschichte der Kirche erforscht
Der Campo Santo Teutonico war davon unmittelbar betroffen. An der - italienisch besetzten - Südseite des Petersdoms gelegen, unterlag er den Gesetzen des neuen Italien. Er durfte damals nicht päpstlich beflaggen und keine Fronleichnamsprozession außerhalb des Friedhofs durchführen. Von den Deutschen in Rom und auch im Campo Santo seien ständig Loyalitäten verlangt worden - mit dem Papst, mit Italien, mit Preußen, mit den Habsburgern.
Cordes verwies auf den Beitrag des Campo Santo in den bewegten Jahren für Kultur und Wissenschaft, vor allem als Forschungsstätte für Kirchengeschichte und Archäologie. Er erwähnte sein enormes karitatives und seelsorgliches Engagement, seine Hospize, auch seinen Einsatz für die Mission. Rektor De Waal (1837-1917), ein renommierter Katakombenforscher, hatte Biographien seiner vier Päpste erstellt, aber auch historische Studien, Theaterstücke und einen zeitgeschichtlichen Roman.
Die neue Publikaktion erinnert aber auch an die Unruhen im Modernismus-Streit. Der stramme Kurs unter Pius X. gegen liberale Abweichler konnte an einem Priesterkolleg mit Wissenschaftler, die eine Fachzeitschrift herausgaben, nicht unberührt lassen. Allerdings stand de Waal ob seiner Papsttreue als Garant für die Quartalsschrift, die unbeanstandet blieb.
Als Italien 1915 in den Krieg gegen Deutschland eintrat, mussten die Deutschen Rom verlassen. De Waal konnte bleiben, außer ihm hatte das Kolleg nur noch zwei weitere Bewohner - bis die Kollegiaten nach 1918 zurückkehren konnten und der Campo Santo später neue Blütejahre erlebte.
Cordes verwies auch auf eine Kuriosität: Das Umschlagbild des Buches zeigt ein schmiedeeisernes Kreuz mit einem Habsburger Doppeladler. Er war - wohl von de Waal - auf einen Dachgiebel des Kollegs gesetzt worden, als der Campo Santo noch Protektorat des österreichisch-ungarischen Kaisers war. Als Italien 1915 dem Deutschen Reich und Österreich des Krieg erklärte, ließ de Waal den Adler vorsichtshalber abmontieren. Irgendwann wurde er aber wieder angeschraubt, auch als es die Doppelmonarchie längst nicht mehr gab. Es schmückt bis heute - von unten aber schwer erkennbar - ein Türmchen des Campo.